Reise nach Brandenburg Wenn die SPD auf ostdeutsche Realität trifft
Gebeutelt von den Europawahl-Ergebnissen und viel Kritik am Kanzler reist die SPD nun nach Ostdeutschland, um vor den Landtagswahlen von sich zu überzeugen. Vor Ort ist die Zustimmung für die AfD groß.
Linda Rudolph ist 25 Jahre alt und ruht offensichtlich in sich selbst. Sie erzählt gerne, warum sie nach der Schule in Cottbus geblieben ist - während andere schnell das Weite suchten und in größeren Städten wie Berlin oder Dresden ihre Zukunft sahen.
Sie entschied sich für eine Ausbildung bei der Lausitz Energie AG, kurz LEAG. Also ausgerechnet bei jenem großen Bergbauunternehmen der Region, das inzwischen mit Millionen vom Bund zum Abschied von der Braunkohle und zum Ausbau erneuerbarer Energien gezwungen wird und nebenbei noch Jobs retten soll.
"Transformation" nennt die SPD das gerne in ihren Bundestagsreden, in denen dann von Menschen wie Linda Rudolph die Rede ist, die sich angesichts der Herausforderungen "unterhaken sollen" bei der SPD, die "alle mitnehmen" will - sozialdemokratische Sätze eben, die immer fallen.
Die Region nicht fallen lassen
Mit Blick auf die Politik aus Berlin wird Linda Rudolph emotional. "Es wird zu viel über uns statt mit uns gesprochen", sagt sie. "Was sind deine Ängste, was sind deine Sorgen?"
Sie verlangt, dass Politiker Interesse zeigen und die Region nicht einfach fallen lassen. "Wir wollen!", sagt sie fordernd. Aber die Ansprache sei oft die falsche. Sie hat keine Lust, die Bedeutung der Politiker-Sätze erst einmal im Internet nachschlagen zu müssen, um zu verstehen, was gemeint ist. Gemeint ist damit auch Kanzler Olaf Scholz, der manchmal besonders komplizierte Sätze sagt.
Die AfD ist allgegenwärtig
Ein Vorwurf aber auch an die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast, die zwei Tage lang versucht, die Region zu verstehen. In den vergangenen Jahren gingen ihre Reisen nach Westdeutschland, zum Beispiel in ihren schwäbischen Wahlkreis mit einem Besuch im Kloster Maulbronn, der Geburtsstätte der schwäbischen Maultasche. Oder auch nach Frankfurt am Main zum Landtagswahlkampf.
Jetzt also ist Mast in Brandenburg, dem Bundesland, das den Politikbetrieb in Berlin geographisch umschließt. Die Distanz zwischen den Menschen in der Lausitz und der Berliner Politik-Prominenz wirkt im Gegensatz dazu riesig.
"SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke hält das Land gut zusammen", erklärt Katja Mast auf die Frage, welche Rolle die SPD hier noch spiele. Zur Wahrheit gehört dieser Tage: Die AfD ist allgegenwärtig. In der Fußgängerzone von Cottbus hängen noch die Plakate. Aus der Europa- und Kommunalwahl in Brandenburg ist die AfD vielerorts als stärkste Kraft hervorgegangen. Damit muss die SPD nun vor allem vor der anstehenden Landtagswahl im September umgehen.
"Es ist cool, zuzugeben, Nazi zu sein"
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Maja Wallstein stammt von hier. Sie beobachtet eine wachsende junge rechtsextreme Szene, die regelrecht "chic" geworden sei. "Es ist cool, zuzugeben, Nazi zu sein. Es ist cool geworden, Gewalt anzuwenden", sagt sie dem ARD-Hauptstadtstudio.
Ihre Sorge ist die Rückkehr der "Baseballschlägerjahre" wie in den 1990er-Jahren. Immer wieder läuft sie eine Woche lang mit einem Bollerwagen durch die Region und versucht trotz vieler Anfeindungen, mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Es geht dabei nicht einmal mehr darum, jemanden von der SPD zu überzeugen, sagt sie. Sie wolle vielmehr noch das Gefühl vermitteln, dass "die Politik" die Menschen nicht vergessen hat.
Aus ihrer Sicht war es "ein Versagen der Politik, nicht zu spüren, dass die Menschen verletzt sind, dass sie Verlustängste haben". Wallstein rät ihrer Partei, neue Beziehungen zu den Menschen aufzubauen. Auf sozialpolitische Themen zu setzen reiche nicht mehr aus.
Die Menschen wollen konkrete Lösungen
Diese Einschätzung teilt Tobias Schick, ebenfalls Sozialdemokrat und Oberbürgermeister von Cottbus. Dort ist die SPD zweitstärkste Kraft - hinter der AfD.
Das liege vor allem daran, dass sich die Menschen von den "alten Parteien" nicht wahrgenommen fühlen, erklärt er. "Schaffen wir überhaupt die Integration der vielen Geflüchteten?", fragen ihn viele. "Die Leute haben Angst vor dem Krieg. Muss mein Enkel zur Armee?" Solche Sorgen begegnen ihm.
Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg hofft er, dass sich am Ende doch die meisten für die SPD-Kandidaten entscheiden und damit auch für Ministerpräsident Woidke. "Dass sie ihn am Ende wählen, weil er das Land Brandenburg gut regiert. Obwohl er von der SPD ist", sagt Schick augenzwinkernd.