Scholz und Macron in Hamburg Hanseatische Paartherapie
Sanfte Brise an alter Wirkungsstätte - Kanzler Scholz hat zur deutsch-französischen Kabinettsklausur nach Hamburg geladen. In nordisch-lockerer Atmosphäre soll es auch um schwergewichtige Themen gehen.
In Paris wertet man es als positives Zeichen, dass der Kanzler nach Hamburg eingeladen hat. Dorthin, wo er lange selbst gewirkt hat. Ein gemeinsamer Besuch im Airbus-Werk, Hafenrundfahrt, Fischbrötchen - der Bundeskanzler versucht es mit der hanseatischen Art der Annäherung. Denn Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatten keinen guten Start.
Anlässlich von 60 Jahren Élysée-Vertrag versuchten sie die Kurve zu bekommen - mit "Essensdiplomatie": Macron lud Scholz im Januar in sein Lieblingsrestaurant "La Rotonde" in Paris ein. Der revanchierte sich mit einer Essenseinladung nach Potsdam im Sommer.
Trotz der kulinarischen Lockerungsübungen ist es weiterhin schwer zu beurteilen, ob Macron und Scholz mittlerweile einen persönlichen Draht zueinander gefunden haben. Zu unterschiedlich scheinen die Temperamente zu sein. Aber auch inhaltlich gibt es zwischen Deutschland und Frankreich veritable Streitpunkte.
Schwierige Rüstungsprojekte
In Hamburg wird man sich bei Airbus im Glanz eines deutsch-französischen Erfolgsprojekts präsentieren. Das Gemeinsame wird betont werden. In Hamburg-Finkenwerder geht es um die erfolgreiche deutsch-französische Zusammenarbeit in der zivilen Luftfahrt. Im militärischen Bereich gibt es dagegen regelmäßig Reibungspunkte. Zuletzt hatten das deutsch-französisch-spanische Unternehmen Airbus und das französische Rüstungsunternehmen Dassault einen Streit um FCAS, das Kampfflugzeugsystem der Zukunft, auf offener Bühne ausgetragen.
Ähnlich turbulent ging es beim deutsch-französischen Kampfpanzer der Zukunft, kurz MGCS, zu. Auch hier waren die beteiligten Hersteller aus Deutschland und Frankreich nicht besonders kooperativ.
Fragt man in Berlin bei Bundestagsabgeordneten nach, dann hört man zumindest unter der Hand, dass manche keinen dringenden Grund sehen, Milliarden in ein deutsch-französisches Panzerprojekt der Zukunft zu stecken. Denn die Bundeswehr setzt seit Jahrzehnten auf den erfolgreichen Kampfpanzer Leopard, der immer wieder modifiziert wird. Frankreich setzt auf den Leclerc, der allerdings in die Jahre gekommen ist. Die Grande Nation hat also - anders als Deutschland - Bedarf an einem Nachfolgemodell.
Trotzdem scheint es in Berlin wenig zu stören, dass das Main Ground Combat System (MGCS) statt 2035 wohl erst im Jahr 2045 kommen könnte. Bis Dezember 2023, so Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu in Évreux, wolle man sich nun zumindest darüber verständigen, wer bei welchen Teilbereichen des Panzerprojekts den Hut aufhaben wird.
Uneinigkeit gibt es zwischen Deutschland und Frankreich auch beim Future Combat Air System (FCAS).
Deutsche Annäherung an die USA
Projekte wie MGCS oder FCAS hat Staatspräsident Macron gemeinsam mit Ex-Kanzlerin Merkel bereits 2017 angeschoben. Unter dem Eindruck eines US-Präsident namens Trump sollte die US-Abhängigkeit abgebaut werden. „Strategische Autonomie“ nannte man das damals.
Sechs Jahre danach ist auf beiden Seiten des Rheins aber Ernüchterung eingetreten. Es dominieren nationale und industriepolitische Egoismen. Zudem beobachtet man in Frankreich aufmerksam, dass Deutschland seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wieder zunehmend den Schulterschluss mit den USA sucht. Und dort und auch in Israel mit dem "Sondervermögen" entscheidende Waffensysteme wie F-35-Kampfjets, schwere Transporthubschrauber oder das Raketenabwehrsystem Arrow bestellt.
Daraus ergeben sich Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis, sagt Jacob Ross, Frankreich-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Denn gleichzeitig betone Deutschland regelmäßig, es wünsche sich eine stärkere Zusammenarbeit mit Frankreich.
Franzosen sehen nukleare Abschreckung als gefährdet an
Zu den schwierigen Rüstungsprojekten kommen auch strategische Fragen, die beide Länder entzweien. Beispielsweise bei dem vom Kanzler 2022 in Prag angekündigten Europäischen Luftverteidigungssystem, European Skyshield. Während Deutschland hier aufs Tempo drückt, sind Polen und die Atommacht Frankreich nicht beteiligt.
Dabei gehe es den Franzosen nicht nur um Industriepolitik, sagt Ross von der DGAP. Sie sehen durch die deutsche European-Sky-Shield-Initiative auch ihre nukleare Abschreckung gefährdet. Denn nach französischer Lesart könnte die Arrow-Raketenabwehr von den Russen als Bedrohung gelesen werden und eine Rüstungsspirale auslösen. Schließlich könnten damit in bis zu 100 Kilometern Höhe auch russische Atomraketen abgefangen werden. In Paris wird zudem hartnäckig die Position vertreten, dass man von Scholz' European-Sky-Shield-Initiative überrascht worden sei, es also keine enge Abstimmung gegeben habe.
Das zeigt ein weiteres Mal, von der Verteidigungs- und Außenpolitik über die Energiepolitik: Der deutsch-französische Motor läuft nicht rund. In Hamburg wäre es also dringend an der Zeit für eine politische Annäherung in netter Atmosphäre.