Faeser zur Kriminalstatistik "Müssen bei sozialen Ursachen ansetzen"
Schon vor der Vorstellung der Statistik sorgten die Zahlen für Diskussionen: 2023 wurden mehr Straftaten registriert. Das BKA machte vor allem drei Gründe dafür aus. Innenministerin Faeser will mehr Prävention.
Im vergangenen Jahr hat die Polizei in Deutschland so viele Straftaten registriert wie seit 2016 nicht mehr. Im Jahr 2023 wurden bundesweit rund 5,94 Millionen Straftaten statistisch erfasst. Das sind 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte bei der Vorstellung der Statistik dennoch: "Deutschland ist weiterhin eines der sichersten Länder der Welt."
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nahm auch die erfasste Gewaltkriminalität zu. "Hier gilt für mich ohne Wenn und Aber Nulltoleranz", sagte Faeser weiter. Das bedeute ein konsequentes Durchgreifen der Polizei, schnelle Verfahren und spürbare Strafen.
Gleichzeitig müsse die Prävention gestärkt werden: "Wir müssen bei den sozialen Ursachen ansetzen, die sich hinter Kriminalität und Gewalt verbergen", sagte Faeser. Dazu gehörten fehlende Schulabschlüsse und Perspektivlosigkeit sowie Kinderarmut. "Das bedeutet auch: Gute Sozial- und Bildungspolitik ist die wirkungsvollste Prävention."
Für den Anstieg könnten nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) 2023 vor allem drei Faktoren eine Rolle gespielt haben: Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation und starke Zuwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums, die für den Einzelnen zu schlechteren Integrationschancen führen kann.
Hohe Zuwanderung
Mit 17,8 Prozent gab es einen starken Anstieg bei nichtdeutschen Tatverdächtigen. Den Grund sehen die Kriminalisten in insgesamt weiter hohen Zuwanderungsraten. Dadurch steige die Bevölkerungszahl insgesamt und der Anteil der Nichtdeutschen daran. Zu den Risikofaktoren gehörten auch die Lebensbedingungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die wirtschaftliche Unsicherheit und Gewalterfahrungen.
Auch hier betonte Faeser eine Nulltoleranz. "Das bedeutet bei ausländischen Tätern, neben den strafrechtlichen Konsequenzen, auch, dass sie Deutschland deutlich schneller verlassen müssen als es bislang der Fall war. Wer sich nicht an die Regeln hält muss gehen", sagte die Bundesinnenministerin.
Effekte der Pandemie und Inflation
Außerdem war 2023 das erste Jahr ohne pandemiebedingte Beschränkungen. Erhöhte Mobilität führte demnach zu mehr Tatanlässen und -gelegenheiten. Vor allem bei Jugendlichen vermuten die Experten Nachholeffekte - dass Straftaten mangels Gelegenheit später verübt wurden. Kinder und Jugendliche seien etwa durch den Mangel an sozialen Kontakten und Stressbelastungen innerhalb der Familie besonders von Corona-Beschränkungen betroffen gewesen. Dies habe häufig zu psychischen Belastungen geführt, "was sich auch auf ihre Anfälligkeit, Straftaten zu begehen, auswirken kann".
Ebenfalls könnte nach Ansicht der Forschenden die relativ hohe Inflation und ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen zu mehr Straftaten geführt haben. Zumindest fielen die Fall- und Tatverdächtigenzahlen in ökonomisch schwächeren Regionen höher aus.
Die PKS wird jährlich bundesweit auf Grundlage der von den 16 Landeskriminalämtern übermittelten Daten erhoben. Sie gibt lediglich die registrierten Taten wieder. Die Größe des Dunkelfelds ist nicht bekannt.
Kriminologe: "PKS ist unvollständig und verzerrt"
Es gibt auch Kritik an der Statistik - etwa vom Kieler Kriminologe Martin Thüne. Er will die PKS in ihrer jetzigen Form abschaffen und durch eine bessere Datengrundlage ersetzen. Generell gebe es "eine problematische Datengrundlage", sagte Thüne der "Frankfurter Rundschau". "Auf dieser Basis zu sagen, Deutschland sei unsicher geworden, halte ich für Unsinn."
Thüne verwies darauf, dass die Statistik "in der Öffentlichkeit polarisiert". Es würden daraus Maßnahmen abgeleitet, "die auf dieser Datengrundlage besser nicht abgeleitet werden sollten".
Bei der Erfassung ausländischer Tatverdächtiger ist die Statistik nach Ansicht Thünes "systematisch verzerrt". Als ein Problem nannte er, dass in der öffentlichen und politischen Debatte die Zahl ausländischer Verdächtiger regelmäßig mit der ausländischen Wohnbevölkerung verglichen würden. Dabei würden aber viele Taten von Tatverdächtigen erfasst, die nicht in Deutschland lebten, wie Touristen oder Pendler. Deswegen werde der Anteil an den Tätern immer größer sein als an der Wohnbevölkerung.