Verband beklagt Personalmangel Pflegebranche warnt vor Notstand
Hohe Arbeitsbelastung und zu wenig Personal - der Berufsverband für Pflegeberufe zeichnet ein drastisches Bild der eigenen Branche. Der Bundestag soll heute über erste Reformen für Kliniken entscheiden.
Mit deutlichen Worten schlägt der Berufsverband für Pflegeberufe wegen des akuten Personalmangels in der Branche Alarm. Bundesweit würden derzeit Hunderttausende Fachkräfte fehlen. "Wenn wir nicht schnell grundlegende Reformen bekommen, kann man die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten", mahnte die Vorsitzende des Verbands, Christel Bienstein, im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Es fehle massiv an Personal: Laut Bienstein sind bundesweit aktuell etwa 200.000 Vollzeitkräfte zu wenig in der Pflege beschäftigt. Bis zu 70 Prozent der Mitarbeitenden seien lediglich in Teilzeit tätig. Hinzu komme die Krankheitsquote unter den Beschäftigten, die aufgrund der hohen Arbeitsbelastung höher ausfalle als in anderen Berufsgruppen.
Auch in der Vergangenheit habe es bereits Notstände in der Pflegebranche gegeben, sagte Bienstein weiter. Doch: "Eine vergleichbare Situation hat es in den vergangenen 50 Jahren nicht gegeben."
Bettenmangel in Kinderkliniken
Vor allem in den Krankenhäusern sei "eine sichere und qualitativ hochwertige Pflege kaum mehr möglich", warnte die Verbandschefin. Auch, weil immer mehr hochkomplexe Krankheiten behandelt werden müssten, verbunden mit einem intensiveren Arbeitsaufwand.
Zuletzt war das Problem des fehlenden Personals auch anhand der Situation in Kinderkliniken deutlich geworden. Zahlen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zufolge konnten bei einer Stichtagserhebung am 24. November in 110 befragten Kliniken lediglich 367 von insgesamt 607 aufstellbaren Betten überhaupt betrieben werden. In 70 Prozent der Fälle nannten die Krankenhäuser fehlendes Personal als einen der Hauptgründe.
Bundestag entscheidet über "kleine" Krankenhausreform
Eine erste "kleine" Krankenhausreform will heute der Bundestag auf den Weg bringen - mithilfe der neuen Regelungen sollen vorrangig Kinderkliniken finanziell entlastet werden, aber auch der Personalmangel in der Pflegebranche abgemildert werden.
Für Kinderkliniken ist nach den Plänen der Bundesregierung in den kommenden beiden Jahren eine Unterstützung von jeweils 300 Millionen Euro vorgesehen. Standorte, die auch als Geburtsklinik betrieben werden, sollen nochmals 120 Millionen Euro zusätzlich erhalten.
Um die Beschäftigten in der Pflege zu entlasten, sollen bestimmte Behandlungen in Krankenhäusern künftig als Tagesbehandlung vorgenommen werden, womit eine Übernachtung der Patientinnen und Patienten entfallen würde. So sollen - so die Hoffnung der Ampel-Koalition - Nachtschichten eingespart werden und tagsüber mehr personelle Kapazitäten in den Kliniken geschaffen werden können. Um diesen Teil der Reform umzusetzen, muss auch das Abrechnungssystem für bestimmte stationäre Leistungen angepasst werden.
Des Weiteren sieht die geplante Reform ein neues Instrument vor, um notwendiges Personal zu bemessen, ausgehend von einer errechneten Idealbesetzung auf den jeweiligen Stationen der Kliniken. Von der Techniker Krankenkasse kam allerdings bereits Kritik: Ein solches Instrument werde "kein einziges Problem in der Pflege" lösen. "Statt neuer Kolleginnen und Kollegen wird die geplante Pflegepersonalbemessung den Pflegekräften jede Menge zusätzlichen Bürokratieaufwand bescheren", warnte TK-Vorstandschef Jens Baas gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Vergütungssystem in Kliniken soll revolutioniert werden
Die "kleine" Krankenhausreform soll nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums aber nur ein erster Schritt sein - vorausgesetzt, dass nach den Abgeordneten des Bundestags auch der Bundesrat den neuen Regelungen zustimmt. In der kommenden Woche will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach dann die nächste, die "große" Reform vorstellen, mit der ihm zufolge der "Beginn einer Revolution" bei der Klinikvergütung eingeläutet werden soll. Ziel sei, das Finanzierungssystem über Pauschalen pro Behandlungsfall systematisch zu überwinden.
Das jetzige Vergütungssystem habe zu einer Art "Hamsterrad-Effekt" in den Krankenhäusern geführt, so der SPD-Politiker: Nur durch höhere Fallzahlen könnten die Häuser ihr Budget halten oder steigern, gleichzeitig in den Bestreben, für Leistungen möglichst wenig Geld auszugeben. Ein System, welches für Patienten eine geringere Qualität der Behandlung und für das Personal eine höhere Arbeitsbelastung zur Folge zu haben drohe.
Auch die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, erhofft sich durch die neuen Regelungen Entlastungen für die Beschäftigten und Verbesserungen für Patienten. Doch sie mahnte gegenüber der Funke-Mediengruppe auch, dass ärztliche Entscheidungen ohne Druck gefällt werden müssten, "unbeeinflusst von wirtschaftlichen Erwägungen der kaufmännischen Leitungen". "Ökonomische Erwartungen müssen immer hinter medizinischen Erfordernissen zurücktreten", so Johna.