Nach Wahlniederlagen Grünen-Spitze kündigt Rücktritt an
Nach den jüngsten Wahlniederlagen stellen sich die Grünen neu auf: Die Parteivorsitzenden Lang und Nouripour kündigten ihren Rücktritt an. Namen für die Nachfolge kursieren bereits. Die Opposition sieht die Ampelkoalition am Ende.
Die Grünen-Spitze zieht nach den schlechten Ergebnissen der Partei bei mehreren Wahlen personelle Konsequenzen. Die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour gaben den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes bekannt. "Wir sind zum Ergebnis gekommen: Es braucht einen Neustart", sagte Nouripour.
Die Entscheidung kommt nach einer Reihe von schweren Wahlniederlagen für die Partei. Bei den Wahlen am vergangenen Sonntag in Brandenburg hatten es die Grünen nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft und sind damit nicht mehr im brandenburgischen Landtag vertreten. "Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", so Nouripour.
Auch bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hatten die Grünen drastische Verluste erlitten. In Thüringen scheiterten sie ebenfalls an der Fünf-Prozent-Hürde, in Sachsen gelang ihnen knapp der Wiedereinzug ins Landesparlament.
Lang: "Nicht die Zeit, um am Stuhl zu kleben"
Es brauche nun "neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen", sagte Co-Parteichefin Lang. Die Wahl eines neuen Vorstands solle ein "Baustein sein für die strategische Neuaufstellung dieser Partei". Lang fügte hinzu: "Jetzt ist nicht die Zeit, um am Stuhl zu kleben - jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen, und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen."
Bereits am Montag hatte Nouripour relativ resigniert geklungen. Er sprach von einer bitteren Niederlage in Brandenburg und zeigte sich zugleich konsterniert über den Zustand der Ampelkoalition. "Der große Feng-Shui-Moment wird wohl nicht mehr kommen, und das glaubt mir auch niemand mehr, wenn ich das sage", sagte er nach Beratungen des Parteivorstandes. "Wir machen unsere Arbeit, wir versuchen, das Land nach vorne zu bringen und fühlen uns auch an den Koalitionsvertrag, an das, was miteinander vereinbart worden ist, gebunden", sagte der Grünen-Chef. "Aber das ist es auch dann."
Mögliche Nachfolgekandidaten
Zu einer möglichen Nachfolge äußerste sich Nouripour und Lang nicht. Im Gespräch sind nach Medienberichten die Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner und der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak. Brantner ist eine enge Vertraute von Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die Grünen als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen könnte. Banaszak war früher Parteichef der Grünen in Nordrhein-Westfalen und ist ein wichtiger Drahtzieher des linken Flügels.
Vorstand noch bis November im Amt
Lang und Nouripour waren Ende Januar 2022 zu Co-Vorsitzenden gewählt worden. In der Partei genießen sie Rückhalt. Dass zwischen ihnen - anders als bei manchen Vorgängern - keine Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten zu spüren waren, rechnen ihnen viele Grünen-Mitglieder hoch an.
Der aktuelle Bundesvorstand war im November 2023 eigentlich für zwei Jahre gewählt worden. Ihm gehören neben Lang und Nouripour noch die stellvertretenden Parteivorsitzenden Pegah Edalatian und Heiko Knopf, Geschäftsführerin Emily Büning und Bundesschatzmeister Frederic Carpenter an. Nach Langs Angaben soll der Vorstand noch bis zur Neuwahl auf dem Parteitag im November im Amt bleiben.
Habeck: "Schritt zeugt von großer Stärke"
Bundeswirtschaftsminister Habeck bezeichnete den angekündigten Rücktritt des Grünen-Parteivorstands als "großen Dienst an der Partei". "Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht. Ricarda Lang und Omid Nouripour beweisen, was für sie der Parteivorsitz bedeutet: Verantwortung. Sie machen den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang" sagte Habeck der Nachrichtenagentur dpa. Das sei nicht selbstverständlich, sondern ein großer Dienst an der Partei.
"Hinter uns liegen harte Monate, die Grünen standen voll im Gegenwind", so der Grünen-Politiker weiter. Die Niederlagen bei den jüngsten Wahlen seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst. "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen."
Die Grünen wollen im Herbst entscheiden, ob sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken oder nur mit einem Spitzenkandidaten antreten. Nachdem Außenministerin Annalena Baerbock gesagt hatte, dass sie diesmal nicht an der Spitze stehen will, läuft alles auf Habeck hinaus.
Der Parteitag im November werde jetzt der Ort werden, "wo sich die Grünen neu sortieren und neu aufstellen werden, um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen", so Habeck.
Scholz-Sprecher erwartet keine Folgen für Ampelkoalition
Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet keine Auswirkungen des Personalwechsels an der Grünen-Spitze auf die Arbeit der Ampelkoalition. Der Kanzler habe eng und vertrauensvoll mit den Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour zusammengearbeitet, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Er bedauert diesen Schritt. Das hat keinerlei Auswirkung auf die Koalition", fügte er hinzu.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil dankten der zurückgetretenen Grünen-Spitze für die Zusammenarbeit. "Wir haben gemeinsam an der Spitze unserer beiden Parteien stets verlässlich und vertrauensvoll Dinge besprochen und geklärt", heißt es in einem gemeinsamen Statement. "Trotz mancher inhaltlicher Unterschiede war diese Partnerschaft sehr angenehm, weil sie auch menschlich belastbar war." Deshalb danke man Omid Nouripour und Ricarda Lang "von Herzen".
Lindner: "Keine Zeit zu verlieren"
FDP-Chef Christian Lindner sprach den Grünen-Chefs Lang und Nouripour nach ihrer Rücktrittsankündigung seinen Respekt aus. Die Zusammenarbeit mit beiden sei "menschlich immer fair" gewesen, schrieb der Bundesfinanzminister im Online-Dienst X. Er erklärte aber auch: "Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat." Diese müsse "zur Sacharbeit kommen". Das Land habe "keine Zeit zu verlieren".
CSU, AfD und BSW stellen Ampelkoalition infrage
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wertete den Rücktritt als Menetekel für die gesamte Ampelkoalition. Problem seien "nicht die Grünen an der Parteispitze, das Problem sind die Grünen in der Bundesregierung", erklärte er. "Die Ampel implodiert. Die rot-grün-gelben Dominosteine sind am Fallen."
Auch AfD-Chefin Alice Weidel sah den Rücktritt als "Anfang vom Ende der 'Ampel'". Kanzler Scholz müsse nun "die Vertrauensfrage stellen". Deutschland brauche Neuwahlen.
Auch BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht forderte Neuwahlen im Bund. "Dass Frau Lang und Herr Nouripour politische Verantwortung übernehmen, verdient Respekt. Viel zu oft erleben wir heute eine Unkultur der politischen Verantwortungslosigkeit und das Kleben an Ämtern, egal, wie mies die Performance ist. Das wird nicht zuletzt bei den anderen beiden Ampel-Parteien deutlich." Sie hoffe, dass der Schritt von Lang und Nouripour auch die Bundesminister der Grünen ermuntere, den Weg für notwendige Neuwahlen freizumachen.