Zehn Jahre Mindestlohn Von Würde, Respekt und Anerkennung
Vor zehn Jahren beschloss die Große Koalition die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Ab Anfang 2015 gab es ihn dann - in Höhe von 8,50 Euro. Haben sich die Befürchtungen der Ökonomen bewahrheitet?
Die Kabinettssitzung war gerade beendet, da gab die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles, heute vor zehn Jahren, eine Pressekonferenz. "Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss ist der Weg für den Mindestlohn frei."
Von einer der "größten Sozialreformen der Nachkriegszeit" sprach damals die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Für sie war der Mindestlohn überfällig, um den wachsenden Niedriglohnsektor einzudämmen. Andere - etwa der Sachverständigenrat - sahen Arbeitsplätze in Gefahr, Ökonomen warnten vor dem Verlust von Hunderttausenden von Jobs.
Gabriel: "Würde eines arbeitenden Menschen"
Der damalige SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel brachte sich dagegen mit einem gewichtigen Wort in Stellung. "Es geht doch um die Würde eines arbeitenden Menschen. Wer arbeiten geht und dann Vollzeit arbeitet und dann am Ende des Monats noch zum Sozialamt betteln gehen muss - das ist würdelos. Das verändern wir."
Erstmal änderte sich noch nichts. Zunächst musste der Plan durchs Parlament und dann dauerte es noch bis Anfang 2015, bevor der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro Wirklichkeit wurde.
Flächendeckend? Schön wäre es, kritisierte damals Linken-Fraktionschef Gregor Gysi. "Von den sechs Millionen, die eigentlich was von dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn unmittelbar gehabt hätten, bekommen es jetzt nur noch 3,5 Millionen. Dann ist es auch nicht mehr flächendeckend, wenn es so viele Ausnahmen gibt. Ich sage mal: die Langzeitarbeitslosen, die Jugendlichen, die Saisonarbeiter."
Scholz: "Respekt und Anerkennung"
Die Mindestlohnkommission schlägt alle zwei Jahre der Bundesregierung vor, um wie viel der Mindestlohn steigen soll. In ihr sitzen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter und - beratend - auch Wissenschaftler.
Alles anders war dann im Oktober 2022: Der Mindestlohn kletterte auf 12 Euro - und zwar einmalig per Gesetz, nicht auf Empfehlung der Kommission. Damit setzte die neue Ampelregierung ein Wahlkampfversprechen um.
Wo Sigmar Gabriel von Würde gesprochen hat, brachte Olaf Scholz noch etwas anderes ins Gespräch: "Deshalb ist das erste Wort, das mit meiner Kandidatur und Kanzlerschaft verbunden sein soll, Respekt und Anerkennung."
Debatte um staatliche Eingriffe
Und schon war sie wieder da, die Debatte um staatliche Eingriffe und freien Markt, um soziale Absicherung und Jobverluste, geführt auch vom CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet. "Der eine sagt 12, die Linke sagt 13, demnächst sagt die AfD 15 Euro. Das verzerrt eigentlich das, worum es geht: Arbeitsplätze zu erhalten und Menschen gerecht zu bezahlen." Laschet unterlag, Scholz siegte, der Mindestlohn stieg auf 12 Euro.
Seitdem ist wieder die Kommission am Zug. Die beschloss zwei Erhöhungen um je nur 41 Cent - erstmals auch nicht einstimmig. Die Arbeitnehmervertreter wurden überstimmt.
Scholz will dennoch nicht ein zweites Mal gesetzlich eingreifen. Aber der SPD-Politiker sagt: "Was klar ist, dass wir alle etwas enttäuscht sind von dem konkreten Vorschlag."
Keine größeren Beschäftigungsverluste
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam 2022 zu dem Ergebnis, dass weder die Mindestlohneinführung noch die folgenden Erhöhungen zu größeren Beschäftigungsverlusten geführt hätten. Auch deshalb, weil die Zuwächse hinter der allgemeinen Lohnentwicklung lagen.
Dieser Pfad wurde mit der deutlichen gesetzlichen Erhöhung verlassen. Um zu beurteilen, welche Folgen das haben wird, reicht die Datenlage allerdings noch nicht aus.