Migrationspolitik Faeser auf Seehofer-Kurs?
Nach dem harten Kurs von CSU-Minister Seehofer hat sich die Ampelkoalition eine andere Migrationspolitik vorgenommen. Eine Mammutaufgabe. Kommt Innenministerin Faeser voran?
"Ich finde man sollte sich dieser Tage auch mal fragen: Was würde man denn mit der eigenen Familie machen, wenn Krieg wäre? Würde man dann nicht auch das Land verlassen?" Vollstes Verständnis für Geflüchtete zeigt Bundesinnenministerin Nancy Faeser im April in einem Interview mit dem ZDF. Die Sozialdemokratin lehnt Obergrenzen für Geflüchtete ab. Ihre Begründung: Es könne keine Höchstgrenzen für Menschlichkeit geben.
An anderer Stelle erklärt die Ministerin mit Blick auf die über eine Million Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, und mit Blick auf die steigende Zahl von Asylsuchenden aus anderen Ländern: "Das macht mir Sorgen." Die SPD-Politikerin weiß, dass die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten vielerorts zu einer großen Herausforderung wird. Während Städte und Gemeinden nach mehr Geld rufen, sucht Faeser nach einer Lösung, die Kommunen langfristig zu entlasten.
Ihre Hoffnung ruht auf der Reform des EU-Asylsystems. Im Bericht aus Berlin spricht sie von einer Einigung innerhalb der Ampelkoalition, Asylverfahren an der EU-Außengrenze anzustreben.
Hardliner Seehofer
Die Bundesinnenministerin tritt bei den Wahlen im Herbst in Hessen als Spitzenkandidatin der SPD an. Sie ist sich bewusst, dass ihr Ergebnis auch davon abhängt, wie erfolgreich sie als Managerin im Bund wahrgenommen wird. Dabei steckt die Ministerin im Zwiespalt zwischen humanitärer Verantwortung und dem Ziel, eine Überlastung der Gesellschaft durch die Aufnahme von Schutzsuchenden zu vermeiden.
Zuwanderung sei die "Mutter aller Probleme" soll Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer 2018 gesagt haben. Der CSU-Politiker löste damit eine breite öffentliche Debatte aus, obwohl er auch vorher schon für seine restriktive Haltung beim Thema Migration bekannt war. Seehofer setzte sich für eine Verschärfung des Asylrechts ein, für eine Obergrenze für Geflüchtete und dafür, dass Menschen ohne Bleiberecht schneller abgeschoben werden können. Besonders umstritten war Seehofers Idee aus dem gleichen Jahr, Migranten in geschlossenen Asylzentren unterzubringen, während ihre Anträge bearbeitet werden. Einen Aufschrei gab es damals insbesondere in der SPD.
Die Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen hat sich in ihrem Koalitionsvertrag einen Paradigmenwechsel vorgenommen - es sollte einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik geben. Die Regierung will Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland umgestalten. Illegale Migration soll den Plänen nach reduziert und reguläre Migration ermöglicht werden.
Anreize für unerlaubte Migration?
"Ich möchte selbst die Migration und Integration aktiv gestalten, statt wie in den letzten 16 Jahren einfach nur widerwillig zu verwalten", sagte Faeser im vergangenen Sommer, als sie mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht einen Schritt hin zur neuen Migrationspolitik der Ampel vorstellte. Die Regelung, die inzwischen Gesetz ist, räumt gut integrierten geduldeten Ausländern ein Bleiberecht ein.
Vorgelegt hat die Ministerin auch Pläne für eine leichtere Einbürgerung. Die Handschrift von Faeser tragen außerdem die erleichterten Regeln für die Einwanderung von Fachkräften, auf die sich die Bundesregierung Ende März verständigt hat. Beim Thema Abschiebungen wird es allerdings schwieriger für die Juristin aus Hessen, aktiv zu gestalten.
Mehrmals betonte Faeser, dass Gefährder und schwere Straftäter konsequent in ihre Heimatländer abgeschoben werden müssten. Doch zum Beispiel im Fall von Rückführungen nach Afghanistan stand die Ministerin selbst auf der Bremse, weil die Betroffenen im von den Taliban regierten Land gefährdet sind. Im März deutete sich ein Umdenken Faesers an, als sie ankündigte, die Möglichkeiten von Abschiebungen zu prüfen. Vorerst blieb es jedoch beim Abschiebestopp.
Das Urteil der oppositionellen Union ist eindeutig: Der Bund und Faeser setzen ihrem Urteil nach mit der Politik des Paradigmenwechsels einen massiven Anreiz für unerlaubte Migration. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Alexander Throm, meint, Faeser setze den Koalitionsvertrag willfährig um und nehme dabei in Kauf, dass Deutschland übermäßig belastet werde. Als "nicht sonderlich verantwortungsbewusst" bezeichnet das der Oppositionspolitiker.
Suche nach einem Kompromiss
Seit Jahren versucht die Europäische Union ihr gescheitertes Asylsystem zu reformieren. Im Kern geht es darum, einen Modus zu vereinbaren, wie Asylsuchende gerecht unter allen 27 EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Deutschland ist das Ziel vieler Asylsuchender und hat daher ein besonderes Interesse, dass die sogenannte Sekundärmigration innerhalb der EU zurückgeht. Es überrascht deshalb nicht, dass sich die deutsche Innenministerin hier seit Monaten engagiert und aktiv nach Verbündeten sucht.
Im März traf sie sich mit den Amtskollegen von fünf einflussreichen EU-Staaten, die auch potenzielle Aufnahmeländer sind - Frankreich, Italien, Schweden, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft innehat, Spanien und Belgien, die demnächst an der Reihe sind. Der Fahrplan der EU sieht vor, dass sich alle EU-Mitglieder bis Juni einigen. Danach könnten die Verhandlungen mit dem Europaparlament erfolgen. Ziel ist es, bis spätestens Frühjahr 2024 Verhandlungen für ein neues Asylsystem abzuschließen - also noch vor der Europawahl.
Asylverfahren an der EU-Außengrenze
Die Positionen der EU-Mitglieder zu einer Reform des Asylsystems liegen noch weit auseinander. Doch angesichts des wieder gestiegenen Migrationsdrucks in vielen EU-Staaten scheint es dennoch nicht unrealistisch, dass eine Lösung gefunden werden könnte.
Faeser jedenfalls sieht ein "historisches Momentum" einer Einigung. Sie spricht offen von einer Idee, die den einst heftig umstrittenen Plänen ihres Vorgängers Seehofer ähnelt: Die Ministerin will Asylverfahren künftig an der EU-Außengrenze durchführen. Im Fall einer Ablehnung sollen Rückführungen aus Asylzentren beschleunigt möglich sein. Kommt es nicht zu einer Einigung, sieht Faeser die Freizügigkeit im Schengen-Raum in Gefahr. Binnengrenzkontrollen wären die Folge.
Zwar unterstützt die EU-Kommission den Plan der Bundesinnenministerin, doch auf EU-Ebene ist eine Verständigung darauf noch längst nicht in Sicht. Nicht einmal innerhalb der Ampelkoalition ist man sich einig. Zwar berichtete Faeser zunächst davon, dass die Regierungspartner hinter dem Vorschlag stehen, aber insbesondere die Grünen haben noch Abstimmungsbedarf.
Grundsätzlich scheint der Plan, Asylverfahren an die EU-Außengrenze zu verlagern, wenig zum eigentlich geplanten Paradigmenwechsel der Ampel zu passen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl ist empört und sieht darin einen menschenrechtlichen Dammbruch. Das Hilfswerk Brot für die Welt befürchtet, dass Asylsuchende für die Zeit der Antragsbearbeitung in Lagern unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden könnten.
Auch die Opposition läuft sich schon mal warm für Kritik an der Bundesinnenministerin. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger vergleicht Faesers Vorgehen mit dem ihres Vorgängers. Sie betreibe "das gleiche Spiel wie Herr Seehofer" mit einer Politik der Abschottung und Entrechtung von Migranten. Statt eines Paradigmenwechsels gebe es ein "Weiter so".