Sahra Wagenknecht

Streit in der Linkspartei Wie weiter mit Wagenknecht?

Stand: 12.08.2023 13:20 Uhr

Nach dem Rückzug von Fraktionschefin Mohamed Ali diskutiert die Linke weiter über den Umgang mit Sahra Wagenknecht. Eine Idee, wie sie in der Partei bleiben kann, gibt es auch. Nur will sie das?

Amira Mohamed Ali hatte einiges über die eigene Partei zu sagen. Als die Co-Chefin der Linksfraktion im Bundestag am Sonntag erklärte, nicht erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen, ging es ihr um die aus ihrer Sicht zu zahme Kritik an der Ampel, die Klimapolitik und die Haltung zum Ukraine-Krieg.

Vor allem zeigte Mohamed Ali sich irritiert über den Umgang mit Sahra Wagenknecht. Der Parteivorstand hatte die populäre Politikerin im Juni zur Niederlegung ihres Bundestagsmandats aufgefordert und beschlossen, die Zukunft der Linken sei eine "Zukunft ohne Sahra Wagenknecht". Für Mohamed Ali war das ein Schritt zu viel. Ihr Credo: Das kann ich nicht mehr mittragen. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" schloss Mohamed Ali sogar nicht aus, nun auch noch aus der Partei auszutreten.

Kritik am Parteivorstand wird lauter

Mohamed Alis Rückzug hat eine neue Runde im Streit eingeleitet, wie die Linke sich zu Wagenknecht verhalten soll. Wagenknecht erwägt weiterhin und öffentlich die Gründung einer neuen Partei. Das könnte die Linke spalten. Der Parteivorstand drängt sie deshalb kaum verhohlen nach draußen. In dieser Woche liegt die Initiative im Wagenknecht-Lager.

Da ist Wagenknecht selbst, mit deren Unterstützung Mohamed Ali einst Co-Chefin wurde. Mohamed Ali habe immer "für Ausgleich, Kompromiss und Verständigung" gestanden, sagte Wagenknecht dem ARD-Hauptstadtstudio. In der Linken gebe es "leider immer weniger Raum für vernünftige Politik".

Da sind Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Andrej Hunko, die eh zu Wagenknecht halten. Sie sprechen jetzt von "politikunfähigen Clowns" und sektenhaften Zügen in der Partei. Aber auch andere Abgeordnete zeigen offen ihren Unmut über die eigene Parteiführung. 

Jessica Tatti, sozialpolitische Sprecherin, kommentierte: "Wer den eigenen Genossen permanent die Tür zeigt, braucht sich nicht wundern, wenn sie irgendwann durchgehen." Der Parteivorstand lasse sich im Umgang mit Wagenknecht und Mohamed Ali durch nichts irritieren. Die Ausrichtung der Partei werde "immer abstruser".

Christian Leye, wirtschaftspolitischer Sprecher und früherer Wagenknecht-Mitarbeiter, hatte schon vor Wochen ein "politisches Versagen des Vorstandes gegenüber der Partei und der Menschen in diesem Land" ausgemacht.

Żaklin Nastic, Sprecherin für Menschenrechte, stützt Mohamed Ali, schrieb beim Twitter-Nachfolger X von einer "katastrophalen Entwicklung der Partei".

Heidi Reichinnek, Mitglied im Fraktionsvorstand und Mohamed-Ali-Vertraute, befand: "Den Schritt kann ich leider genau wie die Begründung sehr gut nachvollziehen."

Ähnlich äußert sich Fraktionsvize Susanne Ferschl. Eine starke "geeinte Linke" sei "nochmals unwahrscheinlicher geworden", so Ferschl.

Spitzenkandidatur von Flüchtlingsaktivistin im Fokus

Alexander Ulrich nahm sich Carola Rackete vor. Die Klima- und Flüchtlingsaktivistin soll die Linke bei der Europawahl kommendes Jahr anführen. So will es der Parteivorstand. Die Personalie wurde als Zeichen gegen Wagenknecht gedeutet, die eine restriktivere Migrationspolitik will. Rackete, sagte Ulrich nun dem Berliner "Tagesspiegel", sei ein "Wählerschreck", der "all unsere traditionellen Wähler vor den Kopf" stoße.

Schon sorgte sich der andere Fraktionschef, Dietmar Bartsch, um das Fortbestehen der Bundestagsfraktion. Verliert diese mehr als drei Abgeordnete, ginge der Fraktionsstatus flöten. Die Linke wäre dann eine Gruppe mit weniger parlamentarischen Rechten und Ressourcen.

Für den Fall, dass Wagenknecht geht - oder gegangen wird -, gilt dieses Szenario als wahrscheinlich. Selbst dann, wenn nicht alle Kritikerinnen der Vorstandslinie mitgehen.

Pellmann fordert Sonderkonvent

Sören Pellmann, Ostbeauftragter der Fraktion und direkt gewählter Abgeordneter in Leipzig, will die Fraktion zusammenhalten - und Sahra Wagenknecht in der Partei. "Der Parteivorstand hat sie de facto dazu aufgerufen, die Partei zu verlassen", sagt Pellmann. Mit Blick auf das Fortbestehen der Bundestagsfraktion sei das "unverantwortlich" gewesen.

Er schlägt einen Sonderkonvent vor, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die wichtigen Parteigremien sollen noch vor der Neuwahl des Fraktionsvorstands im September und dem Bundesparteitag im Herbst zusammenkommen, um über das Weiter-so zu beraten.

Pellmann hat auch eine konkrete Idee: Wagenknecht solle von der Partei die Spitzenkandidatur für die Europawahl angeboten werden. Das würde zwar den Parteivorstand brüskieren, der ja bereits Spitzenkandidaten rund um Carola Rackete präsentiert hat, könnte aber die geltungsbewusste Wagenknecht zum Einlenken bewegen.

"Wagenknecht konkrete Aufgabe geben"

Pellmann sagt, er höre gerade immer wieder "Reißt Euch mal zusammen!" von Menschen auf der Straße. Wagenknecht stehe für die soziale Frage, die gerade so wichtig sei.

Für eine Europakandidatur spreche ihre Popularität und ihre Erfahrung im Europaparlament. Sie saß bereits von 2004 bis 2009 in Brüssel. Pellmann sagt: "Man muss Sahra Wagenknecht eine konkrete Aufgabe geben."

Der Leipziger hat jahrelang mit Wagenknecht zusammengearbeitet und steht weiterhin mit ihr im Austausch. Gleichzeitig hat er bereits Ende Juni schriftlich erklärt, in jedem Fall in der Partei zu bleiben.

"Meine politische Heimat ist die Linke", sagt Pellmann. Wenn aber Wagenknecht eine neue Partei gründen würde, wäre das alles andere als gut für die Linke. Er schätzt, dass ein Drittel der Mitglieder mitgehen würde. "Und auch wenn sie einfach nur aufhören sollte, wäre die Linke längst nicht über den Berg", meint Pellmann mit Blick auf die dürftigen Umfragewerte der Partei.

Wagenknecht reagiert nicht auf Europa-Vorschlag

Der Ball liege nun beim Parteivorstand. Partei-Co-Chefin Janine Wissler sagte der Nachrichtenagentur dpa in dieser Woche, man prüfe Pellmanns Vorschlag für einen Parteikonvent. Am Montag kommt der geschäftsführende Parteivorstand zusammen.

Was aber sagt Sahra Wagenknecht zu einer Europa-Kandidatur? Er habe noch keine Rückmeldung von ihr, so Pellmann. Bislang hat sie sich auch nicht öffentlich geäußert.

Auf eine Anfrage antwortet Wagenknechts Büroleiterin: Mit dem Vorschlag für Carola Rackete und Martin Schirdewan sowie mit dem Vorstandsbeschluss gegen Wagenknecht habe der Vorstand, "diese Fragen abschließend beantwortet". Eine Stellungnahme seitens der Politikerin erübrige sich.

In einer früheren Version dieses Artikels konnte der Eindruck entstehen, der Parteivorstand prüfe neben einem Sonderkonvent auch eine Kandidatur von Sahra Wagenknecht für die Europawahl. Dem ist nicht so. Wir haben die entsprechende Stellen präzisiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen
Tim Aßmann, ARD Berlin, tagesschau, 12.08.2023 13:56 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung Bericht aus Berlin am 16. Juli 2023 um 18:30 Uhr.