Nach den Landtagswahlen Wie die AfD auch im Westen punktet
Nicht mehr nur Protestpartei: Immer mehr Menschen wählen die AfD aus Überzeugung, auch in Bayern und Hessen. Das liegt an den aktuellen Krisen - aber auch an einer schleichenden Normalisierung.
Jörg Meuthen hat sich geirrt. Im Januar 2022 war der frühere AfD-Vorsitzende aus seiner Partei ausgetreten, nachdem er den Machtkampf mit dem rechtsextremen Flügel verloren hatte. Meuthen prophezeite der AfD damals keine rosige Zukunft - allenfalls "als ostdeutsche Regionalpartei".
Keine zwei Jahre später wird die AfD bei der Landtagswahl in Hessen nun zweitstärkste Kraft: 18,4 Prozent, ihr bisher bestes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland. Auch in Bayern kann sich die AfD deutlich steigern, wird mit 14,6 Prozent drittstärkste Partei hinter Freien Wählern und CSU.
Damit habe eine neue politische Zeitrechnung begonnen, sagt die bayerische AfD-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steiner bei der Wahlnachlese der Partei in Berlin. Neben ihr auf dem Podium nickt Bundessprecherin Alice Weidel in die Kameras und stellt fest: "Die AfD ist kein Ostphänomen mehr."
Eine Zäsur
Tatsächlich sind die Wahlergebnisse der AfD in Hessen und Bayern eine Zäsur für die Partei. Zwar konnte sie sich schon vor einem Jahr bei der Landtagswahl in Niedersachsen auf elf Prozent steigern, in Schleswig-Holstein aber war sie zuvor noch aus dem Landtag geflogen.
Von Umfragewerten wie in Thüringen oder Brandenburg war die AfD im Westen lange Zeit weit entfernt. In Hessen und Bayern haben sich nun die zuletzt deutlich gestiegenen bundesweiten Umfragewerte der Partei erstmals bestätigt. Was hat sich verändert?
Eine Antwort darauf: Das Thema Migration ist zurück auf der politischen Agenda. Mit ihrem Anti-Migrationskurs konnte die AfD schon nach 2015 am meisten punkten, das wiederholt sich nun. Der Umgang mit Flüchtlingen beschäftigt auch die Menschen in den westdeutschen Bundesländern.
Vorwahlumfragen von infratest dimap in Bayern und Hessen ergaben: Mehr als 90 Prozent der AfD-Anhänger wollten mit ihrer Wahlentscheidung Druck auf die Regierung machen, ihren Kurs in der Asylpolitik zu ändern. Rund jeder zweite Wahlberechtigte in Hessen fürchtete sich demnach vor hoher Zuwanderung. Mit diesem Thema konnte die AfD also auch jenseits ihrer Kernwählerschaft Stimmen holen.
Keine reine Protestpartei
Doch nicht nur das Thema Flüchtlinge verunsicherte die Menschen: Auch der Klimawandel, die Innere Sicherheit und die wirtschaftliche Lage spielten laut den Wahlforschenden eine wichtige Rolle. Diese Verunsicherung habe die AfD besser verstanden als andere Parteien, sagten beinahe alle AfD-Anhänger in Bayern und Hessen - gleichzeitig eine Absage an die restlichen Parteien und vor allem an die Bundesregierung, der viele AfD-Wählende nach eigener Aussage einen Denkzettel verpassen wollten.
Als reine Protestpartei will die AfD jedoch nicht mehr wahrgenommen werden, betont die Co-Vorsitzende Weidel bei der Einordnung der Landtagswahlergebnisse. Tatsächlich zeigen auch die Umfragen, dass sich immer mehr Wählerinnen und Wähler inzwischen aus Überzeugung für die AfD entscheiden - selbst in dem Wissen, dass sie in Teilen als rechtsextrem gilt. 85 Prozent der befragten AfD-Wählenden in Bayern war das "egal, solange sie die richtigen Themen anspricht", in Hessen stimmten ähnlich viele Befragte dieser Aussage zu.
Wie ist das zu erklären? Einerseits zeigten verschiedene Untersuchungen vor Kurzem, dass ein Teil der AfD-Wähler selbst rechts oder sogar rechtsextrem eingestellt ist. Auf der anderen Seite beobachten Forschende jedoch schon länger eine schleichende Normalisierung der AfD.
Mitverantwortung bei CDU und FDP
Eine Mitverantwortung daran gibt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel auch CDU und FDP, die im Thüringer Landtag vor kurzem gemeinsam mit der AfD eine Senkung der Grunderwerbssteuer beschlossen hatten. Auf diese Weise sei die AfD zu einer normalen Partei im Parteienwettbewerb geworden, sagte Schröder im Interview mit tagesschau24.
Dass die Hemmschwelle, die AfD zu wählen, auch im Westen gesunken ist, deutete sich in Umfragen schon länger an. 2020 schlossen in einer bundesweiten Insa-Umfrage noch 74 Prozent der Befragten kategorisch aus, jemals die AfD zu wählen - zuletzt waren es nur noch 55 Prozent.
Vieles spricht dafür, dass auch die hohen Umfragewerte für die AfD in Ostdeutschland zu einem Gewöhnungseffekt beigetragen haben: Ein Jahr vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg liegt die AfD dort in den Umfragen vor allen anderen Parteien, zum Teil mit Werten von über 30 Prozent.
Davon ist die AfD im Westen noch deutlich entfernt. Die Wahlergebnisse in Hessen und Bayern machen jedoch deutlich, dass das oft gezeichnete Bild einer vor allem im Osten erfolgreichen Protestpartei nicht mehr der Realität entspricht.