Krankenhausreform Wie Lauterbach um seine "Revolution" ringt
Es soll Lauterbachs Meisterstück werden - und eine "Revolution im Krankenhaussektor". Doch für seine Reformpläne braucht der Bundesgesundheitsminister die Länder. Kann er sie heute überzeugen?
Ein Minister der kleinen Worte ist Karl Lauterbach wahrlich nicht. Eine "Revolution im Krankenhaussektor" hat er im Dezember angekündigt. "Eine Revolution, die wir unbedingt benötigen", so Lauterbach.
Widersprechen würde ihm da wohl kaum einer. Das System gilt als teuer, marode und ineffizient: zu viele Kliniken, die ein Drittel des Budgets der Krankenkassen verschlingen, lautet die von vielen Experten geteilte Diagnose. Und nicht überall bekommen Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung.
Allerdings ist es so, dass man für eine Revolution gemeinhin Mitstreiter braucht. Ob der Bundesgesundheitsminister die an seiner Seite hat, könnte sich heute zeigen. In der wohl entscheidenden Runde vor der Sommerpause ringt Lauterbach mit den Ländern um ein Eckpunktepapier, um seine Revolution zumindest auf den Weg zu bringen.
Ein Machtkampf
Hinter dem SPD-Politiker liegen schon zähe Verhandlungsrunden. Ein Machtkampf ist entbrannt zwischen ihm und den Ländern, die sich bei der Krankenhausplanung nicht reinreden lassen wollen. Die drei unionsgeführten Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hatten sich im April per Rechtsgutachten attestieren lassen, dass die Pläne Lauterbachs zu weit gehen und gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder verstießen.
Aber auch in Ländern mit grünen oder sozialdemokratischen Gesundheitsministern und -ministerinnen hat sich Unmut breit gemacht.
Die Details der Reform sind kompliziert, die Debatte wird emotional geführt. Vom Ziel, bis zur Sommerpause einen Gesetzentwurf gemeinsam mit den Ländern vorzulegen, ist der Bundesgesundheitsminister inzwischen abgerückt. Selbst beim Eckpunktepapier treten einige Länder auf die Bremse.
Weniger Kostendruck
Dabei herrscht Einigkeit mit den Ländern, die Finanzierung der Krankenhäuser neu aufzustellen. Lauterbach will den ökonomischen Druck in den Kliniken verringern. Die gute Versorgung der Patientinnen und Patienten soll stärker in den Vordergrund rücken. Deshalb soll der Bund über die Krankenkassen weniger pro behandelten Fall zahlen. Dafür soll es mehr Geld für die Fixkosten der Kliniken geben, etwa dafür, dass genug Personal da ist, Technik oder Notaufnahmen.
Streit gibt es aber, weil Lauterbach bundeseinheitliche Qualitätskriterien für Kliniken nachschärfen will. Seine ursprünglichen Pläne hat er aufgrund des Protests aus den Ländern schon stark eingedampft. Aber sein Ziel bleibt: Versorgung konzentrieren und verbessern. Kleine Häuser sollen nur noch solche Behandlungen anbieten und abrechnen können, für die sie qualifiziert sind. Die Wissenschaft hat er dabei auf seiner Seite. Denn nachweislich sterben etwa nach Krebsoperationen mehr Patienten in kleinen Häusern als in Tumorzentren.
Was wird aus kleinen Kliniken auf dem Land?
Doch vor allem die Flächenländer bangen um ihre kleinen Kliniken auf dem Land. Kommt die Reform, könnten sie bestimmte Eingriffe nicht mehr anbieten. Wollen sie bestehen, müssten sie sich dann wohl weiterentwickeln zu einer Art Versorgungszentren. Sie würden dann nur noch kleinere ambulante Operationen anbieten und sich um kleinere Notfälle wie zum Beispiel Armbrüche kümmern. Krankenhäuser im klassischen Sinne wären sie dann wohl nicht mehr.
Für ihn sei wichtig, dass die Menschen in den ländlichen Räumen gut und qualitätsvoll versorgt werden und Versorgung kein Privileg der Metropole sei, wiederholt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek immer wieder. Mit der im Oktober anstehenden Landtagswahl in Bayern im Nacken hat sich der CSU-Politiker als Gegenspieler Lauterbachs in Berlin einen Namen gemacht. Andere Länder tragen ihren Protest zwar weniger lautstark vor. Doch ob eine Einigung diese Woche gelingt, ist fraglich.
Gerungen wird um die Details für die Eckpunkte, darunter Übergangsfristen, bis die Reform scharfgestellt wird und Ausnahmeregelungen für die Länder. Unter anderem dieser Passus im Eckpunkteentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium sorgt für Aufregung: Länder sollen Krankenhäusern zwar auch sogenannte Leistungsgruppen wie Kardiologie zuteilen dürfen, wenn sie nicht alle Qualitätskriterien erfüllen. Aber nur, wenn das für die Sicherstellung der Versorgung nötig ist.
Das bedeutet, dass kein anderes Krankenhaus in der Region das übernehmen könnte. Das müssten die Länder aber nach bundeseinheitlichen Kriterien belegen. Und für die Ausnahme ist nur ein Zeitraum von zwei Jahren vorgesehen.
Bayern will "Beinfreiheit"
Deutlicher Widerstand dagegen kommt prompt aus Bayern. Ein Vetorecht des Bundes komme nicht infrage, sagt Holetschek. Die Länder bräuchten "Beinfreiheit", um Versorgung in der Fläche sicherzustellen. Konkret fürchtet der bayerische Gesundheitsminister zu strenge Vorgaben für kleine Häuser, zum Beispiel eine hohe Zahl an Intensivbetten.
Lauterbach plant zudem, die Qualität der Kliniken für die Patientinnen und Patienten transparent zu machen und zu veröffentlichen. Er will mit einer interaktiven Karte für jeden ersichtlich und einfach darstellen, welche Kliniken die Standards erfüllen und welche nicht. Die Länder laufen Sturm gegen diese "Transparenzoffensive". Sie fürchten um den Ruf ihrer kleinen Häuser, auch wenn das aus Patientensicht weniger nachvollziehbar scheint.
99 Minuten bis in die Klinik?
Bei ihrer Sorge um eine flächendeckende Versorgung auf dem Land haben die Länder einen Punkt. Tatsächlich sind eher die städtischen Gebiete überversorgt. Auf dem Land gibt es dagegen auch Regionen, wo die Fahrten bis zur nächsten Klinik mit Basisnotfallversorgung bis zu 99 Minuten dauern können.
Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Mitglied der Krankenhaus-Kommission der Bundesregierung, fordert deshalb zeitgleich eine Reform für den Rettungsdienst. "Wir müssen uns sehr stark darauf konzentrieren, dass wir die ländlichen Regionen insbesondere mit dem Hubschrauber am Tag, aber auch in der Nacht gut erreichen können", sagt Karagiannidis. Das gehöre zur Krankenhausreform dazu.
Zusammenlegung von Kliniken
Doch während Lauterbachs Reform nur schleppend vorankommt, schlagen die Kliniken jetzt schon Alarm. Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft warnt, jedes vierte Krankenhaus sei von der Insolvenz bedroht. 80 Prozent würden heute schon rote Zahlen schreiben.
Dazu gehört auch das Krankenhaus in Pinneberg in der Nähe von Hamburg. Doch hier planen sie bereits das, was Lauterbach für das ganze Land umsetzen möchte, nämlich effizientere Strukturen und eine bessere Qualität für die Patienten. Die Klinik soll mit dem 15 Kilometer entfernten Krankenhaus in Elmshorn zusammengelegt werden. Von einer neuen, größeren Klinik versprechen sie sich: mehr Eingriffe gebündelt in einem Haus und somit mehr Routine.
Hamid Mofid, dem ärztlichen Direktor, geht es auch darum, die knappe Ressource Personal besser einzusetzen. Insofern sei man in Pinneberg und Elmshorn dabei, sich schon proaktiv gut für die Zukunft aufzustellen. Ohne Geld wird das jedoch nicht gelingen. Geschäftsführerin Regina Hein rechnet mit 500 Millionen Euro für die Zusammenlegung. Eine Summe, die für das Land Schleswig-Holstein einfach nicht nebenbei zu stemmen sei, sagt sie. Ob und in welcher Höhe der Bund sich an solchen Kosten im Rahmen der Krankenhausreform beteiligen wird, ist eine der vielen offenen Fragen.
Hier ist die Ampel mal einig
Es ist also eine schwierige Gemengelage, in der Lauterbach um seine Revolution, die Krankenhausreform, ringt. Der Unterstützung aus den Ampel-Fraktionen kann er sich dabei sicher sein. Denn auch wenn die Ampel-Parteien derzeit bei vielen Themen uneins sind: Bei der Krankenhausreform ist das anders.
"Wir stehen geschlossen hinter der Reform", sagt etwa die Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP. Die derzeitige Blockadehaltung der Länder sei ein Angriff auf das Patientenwohl und die zukunftsfähige Versorgung, sagt sie. Für heute erwarte man konstruktive Zusammenarbeit, damit die Eckpunkte über den Sommer zu einem Gesetzentwurf weiterentwickelt werden können.
Ähnlich hört sich das beim gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, an. Die Ampel-Fraktionen seien sich einig, dass eine wirkungsvolle Krankenhausreform dringend nötig sei. Zum einen, um die wirtschaftliche Existenz der Krankenhäuser, die selbst zum Patienten geworden seien, zu sichern. Zum anderen, um die hohe Belastung des Personals zu verringern und die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern. Eine Reform müsse das Versprechen einlösen, dass Patientinnen und Patienten genauso auf dem Land wie in der Stadt sich darauf verlassen können, in das richtige Krankenhaus am richtigen Ort und zur richtigen Zeit zu gelangen, sagt Dahmen.
Ohne Länder geht es nicht
Doch es scheint nicht unwahrscheinlich, dass Bund und Länder heute nicht alle Streitpunkte beilegen können. Dann wäre es denkbar, dass der Bund einen Gesetzentwurf über den Sommer notfalls auch ohne gemeinsame Eckpunkte mit den Ländern erarbeitet.
Am Ende kommt es aber eben doch auf die Länder als Mitstreiter und ihre Zustimmung im Bundesrat an. Bei seiner "Revolution im Krankenhaussektor" könnten die Länder Lauterbach also noch einen Strich durch die Rechnung machen.