Kindergrundsicherung Grüner Optimismus und liberale Zweifel
Nach langem Hin und Her soll die Kindergrundsicherung im August vom Kabinett auf den Weg gebracht werden. Bundesfamilienministerin Paus sieht den Kanzler auf ihrer Seite, die FDP ist skeptisch. Die Kosten der Reform bleiben unklar.
Im Ringen um die von der Bundesregierung geplante Kindergrundsicherung herrscht zwar inzwischen weitgehender Konsens über den Zeitplan. Die genauen Inhalte sorgen allerdings ebenso wie Fragen der Finanzierung für anhaltende Diskussionen innerhalb der Ampel-Koalition. Nachdem sich Bundeskanzler Olaf Scholz eingeschaltet hat, sieht Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) das Vorhaben aber nun auf einem guten Weg. "Ich gehe davon aus, dass nun alle Ressorts konstruktiv an der Erstellung des Gesetzentwurfes mitarbeiten, so dass es zu keiner weiteren Verzögerung bei der Einführung 2025 kommt", sagte Paus in Berlin.
Ihren Angaben zufolge soll die Kindergrundsicherung Ende August vom Kabinett auf den Weg gebracht werden. Mit dem Gesetz werde es "tatsächlich Leistungsverbesserungen geben". Es seien nur noch "kleine Dinge" zu klären, sagte Paus gestern Abend in den tagesthemen. Paus fügte hinzu, noch erfolge die Abstimmung über den Gesetzentwurf innerhalb der Regierung und nicht mit den Fraktionen. Ihr Ziel sei es gewesen, das größte sozialpolitische Vorhaben der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP nicht in der Öffentlichkeit zerreden zu lassen.
Details zu ihren Plänen, um Kinderarmut zu bekämpfen, nannte Paus nicht. Sie betonte aber bezogen auf Olaf Scholz (SPD): "Da habe ich den Kanzler an meiner Seite." Auch beim Finanzbedarf legte sich Paus nicht fest. Die jährliche Summe werde sich zwischen zwei und zwölf Milliarden Euro bewegen.
Scholz fordert Entwurf bis Ende August
Zuvor hatte sich der Bundeskanzler in den Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung eingeschaltet. In einem dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegenden Brief an Paus fordert Scholz einen geeinten Referentenentwurf bis Ende August. In dem Schreiben ist im Zusammenhang mit der Kindergrundsicherung von einer "beabsichtigten Leistungsverbesserung" die Rede.
Paus solle Alternativen erarbeiten - darunter eine, die ausschließlich den Kindersofortzuschlag beinhalte, sowie verschiedene weitere, die das "soziokulturelle Existenzminimum" für Kinder neu berechnen. Gleiches gelte für den Pauschalbetrag des Bildungs- und Teilhabepakets. Weiter heißt es, "die Ressortabstimmung sollte dann zeitnah eingeleitet werden, so dass eine Kabinettsbefassung Ende August realisiert werden kann".
Erneut Kritik von Finanzminister Lindner
Unterdessen äußerte sich Bundesfinanzminister Christian Lindner erneut kritisch zur Finanzierung. "Die Regierung hat die Förderung von Familien massiv ausgebaut. Das setzen wir fort. Aber irgendwann stellt sich die Frage, ob zusätzliches Geld nicht besser an die Schulen gehen sollte statt auf das Konto der Eltern", sagte der FDP-Chef der "Bild"-Zeitung. Der familienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Martin Gassner-Herz, sagte im BR, es gebe noch reichlich Diskussionsstoff. Bisher rede man über Zahlen, die keine Grundlage hätten.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte im Deutschlandfunk: "Das gemeinsame Ziel ist, die Kinderarmut in Deutschland zu überwinden." Esken erläuterte, die von Paus ursprünglich veranschlagten zwölf Milliarden Euro seien in Teilen schon erfüllt. Fast sechs Milliarden Euro seien bereits verbucht für die Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag auf je 250 Euro zum Anfang des Jahres. Die zwei Milliarden seien ein "Merkposten" im Haushaltsplan, so Esken. Zunächst müsse man genauer durchrechnen, welche zusätzlichen Kosten entstünden. Dies solle bis Ende August erfolgen.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang äußerte sich optimistisch: "Die Kindergrundsicherung kommt, der Knoten löst sich", sagte Lang der Nachrichtenagentur dpa. "Wie hoch die Kosten für die Reform sein werden, klärt sich nun im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens".
Sozialverband: "Geiz" im Umgang mit Kindern
Michaela Engelmeier, Vorstandschefin des Sozialverbands Deutschland, warf der Ampelregierung "Geiz" im Umgang mit Kindern vor. Der "Bild" sagte sie: "Damit schaden wir nicht nur ihnen, sondern letztlich auch uns selbst. Denn wir verbauen ihre und unsere Zukunft." Der Paritätische Gesamtverband warnte ebenfalls, es brauche mehr Geld. "Mit zwei Milliarden Euro mehr im Jahr beseitigen Sie keine Kinderarmut", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Die Ampel muss sich aufraffen, deutlich mehr Geld für die Kindergrundsicherung auszugeben."
Bündelung von bisherigen Leistungen für Familien
Die neue Kindergrundsicherung soll nach den Plänen der Bundesregierung ab 2025 ausgezahlt werden und bisherige Familienleistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Unterstützungen für Bildung und Teilhabe bündeln. Zugleich sollen Zugangshürden für Familien abgebaut werden - so soll die Antragstellung übersichtlicher und einfacher werden.
Über die Finanzierung war in der Ampel-Koalition lange gestritten worden - vor allem zwischen Grünen und FDP. Paus hatte angesichts der von ihr geplanten Anhebung der Leistungen dafür bislang bis zu zwölf Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Finanzminister Lindner lehnte diese Summe ab.
Nach aktuellen Daten aus der Armutsforschung ist in Deutschland jedes fünfte Kind armutsgefährdet, weil die Eltern monatlich weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Das sind knapp 2,9 Millionen Mädchen und Jungen, davon rund 1,9 Millionen in Haushalten mit Bürgergeld oder Sozialhilfe.