Vorwurf der Vetternwirtschaft Warum Habecks Personalpolitik für Wirbel sorgt
Familiäre Verflechtungen führender Mitarbeiter von Wirtschaftsminister Habeck stehen in der Kritik. Eine Personalentscheidung soll nun überprüft werden. Es geht aber um weit mehr.
Wohl nur Kenner der Energiepolitik können auf Anhieb erklären, welche Aufgaben die Deutsche Energieagentur (dena) hat - das "Kompetenzzentrum für angewandte Energiewende und Klimaschutz", wie sich die dena selbst beschreibt. Das heißt: Man will durch Beratung und Projekte zum Ziel der Klimaneutralität beitragen.
Nun aber sorgt der Wirbel um den künftigen Co-Chef der nachgelagerten Bundesbehörde für unerwartete Aufmerksamkeit. Den Posten soll der ehemalige Berliner Grünen-Politiker Michael Schäfer bekommen. Eigentlich.
Der Trauzeuge
Denn vor wenigen Tagen teilte Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen seinem Minister mit, dass Schäfer sein Trauzeuge war. Das Problem: Graichen war in das Verfahren eingebunden, das zu der Personalentscheidung führte. Formal sei alles korrekt, heißt es aus dem Ministerium. Doch das Verfahren soll nun neu gestartet werden, um jeden Verdacht einer unerlaubten Einflussnahme auszuräumen, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums.
Das Thema kommt für Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck zur Unzeit. Denn schon in den vergangenen Tagen sorgten die familiären Verflechtungen führender Mitarbeiter seines Ministeriums für Schlagzeilen. In einer Kolumne des "Spiegels" wurde sogar die Frage gestellt, ob es sich um "schamlose Vetternwirtschaft" handele, "die in jedem anderen Fall zu einem Sturm der Entrüstung führen würde".
Die Geschwister
Hintergrund ist vor allem, dass die Geschwister von Habecks Staatssekretär Graichen für das Öko-Institut arbeiten. Das ist ein Institut, das im Umfeld der Anti-AKW-Szene gegründet wurde, um die Arbeit von Bürgerinitiativen mit wissenschaftlicher Expertise zu unterfüttern. Seit Jahren bekommt das Öko-Institut aber auch Aufträge aus der Politik, so auch vom Wirtschaftsministerium.
Der Bruder des Staatssekretärs, Jakob Graichen, ist beispielsweise Co-Autor einer Studie zu "Energie- und Klimaschutzprojektionen (2035/2050)". Schwester Verena wiederum ist nicht nur beim Öko-Institut tätig, sondern mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Michael Kellner verheiratet - die beiden Staatssekretäre sind also verschwägert.
Politik als Familienprojekt?
Dass es diese familiären Bande gibt, ist allerdings nicht neu. Schon Ende 2021 hatte die Berliner "tageszeitung" (taz) in einer Art Glosse von der "Energiewende als Familienprojekt" gesprochen: "Wenn Familienfeiern langweilig werden, kann der Graichen/Kellner-Clan also immer noch über die Reform der Marktstabilitätsreserve im Emissionshandel oder die Ausgleichsmechanismusverordnung im EEG plaudern", hieß es damals süffisant.
Das Wirtschaftsministerium betont, dass der Umstand der familiären Beziehungen von Anfang an öffentlich gemacht worden sei. Man habe auch spezielle Verfahrensregeln geschaffen, damit bei der Auftragsvergabe durch das Ministerium nicht der Verdacht der Bevorzugung entstehen könne.
"Ein Geschmäckle"
Doch genau das fürchten Politiker der Opposition. Bei einer von der AfD beantragten Aktuellen Stunde am Mittwoch im Bundestag sprach zum Beispiel der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban von "mafiösen Strukturen". AfD-Politiker Stephan Brandner zog einen Vergleich zur "Clan-Kriminalität". Und Klaus Ernst von der Linkspartei meinte ironisch: "Offensichtlich begreifen sich die Grünen und ihr Umfeld heute als große Familie, die es zu versorgen gilt, der man Einfluss verschaffen möchte."
Interessant an der Debatte war, dass - mit Ausnahme der Grünen - auch Vertreter der Ampelkoalition vorsichtige Kritik an Habeck erkennen ließen. "Jeder Anschein von Vorteilsnahme und Vetternwirtschaft" müsse transparent ausgeräumt werden, mahnte beispielsweise Reinhard Houben von der FDP. Und der SPD-Abgeordnete Markus Hümpfer befand, die Sache habe "ein Geschmäckle".
Warum jetzt der Wirbel?
Fragt sich, warum die Thematik gerade jetzt für Diskussionen sorgt - sogar schon vor dem Wirbel um die dena-Personalie. Ein Grund dürfte die zunehmende Unzufriedenheit innerhalb des Wirtschafts- und Klimaministeriums sein. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Habeck seit seinem Amtsantritt neun Referatsleiterposten ohne die übliche Ausschreibung besetzt hat. Dies geht aus der Antwort des Ministeriums auf eine schriftliche Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hervor. Begründet wird dies mit dem "besonderen Vertrauensverhältnis zum Minister". In seinem Ministerium wird dies jedoch von einigen als Misstrauenserklärung an die bisherigen Mitarbeiter gewertet.
Dabei war Habeck Ende 2021 zunächst recht euphorisch im ehrwürdigen Ministeriums-Komplex an der Invalidenstraße aufgenommen worden. Habeck vermittelte Aufbruch und Dynamik. Doch diese Euphorie ist in Teilen der Mitarbeiterschaft verpufft. Manche haben, wie aus vertraulichen Gesprächen zu hören ist, das Gefühl, dass ihre Expertise nicht mehr gefragt ist. Besonders die Staatssekretäre Graichen und Sven Giegold haben den Ruf, wenig Interesse an kritischen Nachfragen aus dem Ministerium zu haben.
Spionagevorwurf sorgte für Unruhe
Offenbar prallen nicht nur unterschiedliche politische Auffassungen aufeinander - was angesichts des Wechsels von einem CDU-Minister zu einem Grünen-Ressortchef niemand wundern dürfte. Dazu kommen aber offenbar auch unterschiedliche Herangehensweisen: Graichen und Giegold waren lange bei Nichtregierungsorganisationen tätig: Graichen bei der vom ehemaligen grünen Staatssekretär Rainer Baake gegründeten "Agora Energiewende" und Giegold beim globalisierungskritischen Netzwerk "Attac".
Auch ein Vorfall aus dem vergangenen September sorgt nach wie vor für Unruhe: Das Ministerium hatte dem Verfassungsschutz den Verdacht der Spionage von zwei Mitarbeitern gemeldet. Sie seien mit russlandfreundlichen Positionen aufgefallen, hieß es. Im Ministerium sorgte dieser Vorwurf für Unruhe. Das "Handelsblatt" berichtete daraufhin von einem internen Protokoll einer Krisensitzung von Ministerialbeamten. Das Protokoll zeichne, so die Zeitung, "ein Bild von Verunsicherung, Zweifeln an der Integrität des Ministers und Schäden an der Zusammenarbeit mit der Führungsspitze".
Könnte also durchaus sein, dass hinter der aktuellen Debatte mehr steckt als die Frage familiärer Verflechtungen. Aus Sicht einiger Beobachter dürfte die Kritik indirekt auf die Personalführung des Ministers gerichtet sein. Und damit auf den Minister selbst.