Parteipositionen in Kriegszeiten Zerplatzen gerade grüne Träume?
Im Wahlkampf sind die Grünen angetreten für Abrüstung, eine "wertebasierte Außenpolitik" und ein Tempolimit. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Besonders die Energiepolitik ist nun zur Gratwanderung geworden.
Katharina Dröge steht in der Haushaltsdebatte des Bundestags am Rednerpult. Energisch ruft die Grünen-Fraktionschefin: "Man kann keine Geschäfte mit autoritären und totalitären Regimen machen, ohne dass es eine außenpolitische Bedeutung hat." Im Parlament wird es laut.
CDU-Chef Friedrich Merz schüttelt es vor höhnischem Lachen. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei zeigt mit dem Finger auf Dröge. Aus Zwischenrufen sind die Worte "Habeck" und "Katar" zu hören. Der Bundeswirtschaftsminister von den Grünen war schließlich erst vor wenigen Tagen am Golf, um Gasgeschäfte einzufädeln.
Dröge erklärt: Wenn Putin Kinder bombardiere, müsse man alles tun, um unabhängig zu werden vom russischen Gas. Und "alles" heißt für die Grünen-Politikerin eben auch, Gas in Katar zu kaufen.
Gas aus Katar und Waffenlieferungen
Die Grünen verteidigen in diesen Tagen einiges, was sie eigentlich ablehnen: Gas-Geschäfte mit Autokraten. Fracking-Gas, bei dessen Förderung die Umwelt leiden kann. Kohlekraftwerke als Reserve. Waffenlieferungen in Krisengebiete.
Gegen ihre eigenen Überzeugungen tragen sie Steuersenkungen für Autofahrer mit und den Wegfall der bundesweiten Corona-Regeln - beides Anliegen der FDP. Und dann wäre da noch das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.
Die frühere Grünen-Chefin Annalena Baerbock verkauft es im Bundestag als eine Stärke, die eigene Politik angesichts des Krieges zu ändern. Sie gibt zu: Vor ein paar Jahren hätten die Grünen wohl kein Sondervermögen mit auf den Weg gebracht. Was die heutige Bundesaußenministerin als Stärke verkauft, löst bei manchen in der Partei eher Bauchschmerzen aus.
Kritik am Sondervermögen für Bundeswehr
Timon Dzienus ist Bundessprecher der Grünen Jugend. Er nennt die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Interview mit dem BR einen "ganz fatalen Schritt". Es sei keine nachhaltige Politik, die Sicherheit schaffe, sondern "eine kurzfristige, teils ängstliche Reaktion".
Mit ihrer Kritik am Sondervermögen für die Bundeswehr setzt sich die eher links eingestellte Nachwuchsorganisation der Grünen am deutlichsten vom Regierungskurs ab. Ansonsten findet Dzienus das Verhalten der eigenen Leute glaubwürdig: "Ich habe nicht das Gefühl, dass Robert Habeck gerne auf Shoppingtour für Gas in Katar geht. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass Annalena Baerbock grundsätzlich für Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ist." Angesichts der besonderen Situation des Krieges versuchen die Grünen-Minister nach Einschätzung des 25-Jährigen eben "angemessen zu reagieren".
Realpolitik statt Pazifismus
Die Zurückhaltung der Grünen Jugend zeigt: Pragmatische Realpolitik verdrängt das Bild der pazifistischen Ökopartei. Vor 23 Jahren stellte der Kosovo-Einsatz der Bundeswehr die Partei noch vor eine Zerreißprobe.
Doch die Grünen heute ticken anders. Die Mitgliederzahl hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt - auf mehr als 125.000 Mitglieder. Viele Neue wollen nicht nur reden, sondern auch regieren.
Aber auch noch urgrüne Projekte
Die neuen Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sind in diesen Tagen viel unterwegs, um in der Partei zu erklären: Koalition heißt Kompromiss. Es ist kein Zufall, dass Forderungen nach einem Tempolimit auf Autobahnen aktuell nur sehr leise wiederholt werden. Denn die Grünen wissen: Mit der FDP ist das nicht zu machen.
Wichtiger ist der Parteispitze, andere urgrüne Projekte durchzubringen: die Förderung von Bus und Bahn, der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien, mehr Energieeffizienz. Durch den Krieg in der Ukraine gibt es dafür eine breite Unterstützung.
Grüne gewinnen in Umfrage dazu
Dzienus von der Grünen Jugend sieht seine Partei deshalb schon länger in der Realität angekommen, nicht erst seit dem Krieg: "Ich glaube, es ist ein Realitätscheck für die Gesellschaft und manch konservative Haltung." Nicht die grüne Moral sei gescheitert, sondern der irrationale Glaube an fossile Energieträger.
Die Grünen und der Krieg: das bedeutet, an einige alte Überzeugungen anzuknüpfen und andere zu hinterfragen. Das scheint anzukommen. Die einzige Ampelpartei, die im ARD-Deutschlandtrend seit der Bundestagwahl zugelegt hat, sind die Grünen.