Russland-Verbindungen Der Fall des Gerhard Schröder
Altkanzler im Abseits: Wegen seiner Russland-Verbindungen verliert Gerhard Schröder nicht nur Privilegien, sondern steht zunehmend isoliert da. Das war mal anders.
"Herr Schröder ist nicht zu sprechen", sagt seine Sekretärin. "Und er lässt ausrichten, das wird auch die nächsten Tage so sein." Gerhard Schröder ist abgetaucht. Isoliert. Zu sehen nur noch auf Privatissimo-Fotos im Instagram-Kanal seiner Gattin. Statt staatstragender Primetime-Auftritte im Brioni-Anzug gab es zuletzt Bildchen am heimischen Grill in ärmelloser Daunenweste über den nackten Armen.
Doch es ist nicht nur ein Rückzug ins Private oder ein Altern mit mehr oder weniger Würde. Seit dem 24. Februar ist Gerhard Schröder in der öffentlichen Meinung, auf der politischen Bühne und in seiner eigenen Partei in Ungnade gefallen. Vom kernig-charismatischen Staatsmann, in dessen Glanz sich viele sonnten, zum Putin-Paria, den alle meiden, als wäre er ansteckender als Corona. Es ist einsam geworden um Gerhard Schröder. Selbstverschuldet einsam.
Ein Kosakenchor zum Geburtstag
Rückblick: Seinen 60. Geburtstag feiert Schröder wie ein Rockstar. 2004 lädt der damalige Bundeskanzler alles, was Rang und Namen hat, in ein Theater in Hannover. Und alle sind sie gekommen: Prominenz aus ganz Deutschland, Moderator Reinhold Beckmann, Nobelpreisträger Günter Grass, Daimler-Chef Jürgen Schrempp, Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, fast das gesamte Bundeskabinett - und Wladimir Putin. Als Geschenk bringt der einen Kosakenchor aus Moskau mit. Wer hier geladen ist, der ist wer. Der Weg zum Eingang ist gesäumt von Presse und Neugierigen. Einen kurzen Blick erheischen, auf Schröder und all die anderen bekannten Gesichter, die sich um ihn drängen wie Metallspäne um einen Magneten.
Freundschaft und Geschäfte
Unvergessen auch der Medienrummel, als Putin seinen deutschen Freund später privat zu Hause in Hannover besucht. Dass die beiden ein kumpelhaftes Verhältnis haben, ist bekannt - so recht Anstoß nimmt damals niemand daran.
Auch nicht, als Schröder nach seinen Kanzlerjahren anfängt, Posten zu sammeln in russischen Energieunternehmen. Hohe Posten, die ihn gut versorgen. Russland liefert billiges Gas und Schröder verdient ordentlich hinzu zu seinen Bezügen und Privilegien, die ihm als Altkanzler zustehen. Der "Genosse der Bosse" nutzt seine Kontakte, die er als Kanzler geknüpft hat. Einige murren, andere schütteln amüsiert den Kopf. Tenor: Schröder, ein Teufelskerl, der traut sich was, der nimmt sich was raus. Nicht ganz politisch korrekt - aber war Schröder nicht schon immer so? Man lässt ihn gewähren.
Schröders Schweigen
Doch dann kommt der 24. Februar - Putins Überfall auf die Ukraine. Entsetzen weltweit. Und schnell fällt der Blick in Richtung Hannover, auf Gerhard Schröder. Der schweigt. Und schweigt. Dann eine erste irritierende Reaktion: Ja, der Krieg müsse schnellstmöglich beendet werden, schreibt er auf der Plattform LinkedIn. Aber: "Es gab Fehler auf beiden Seiten." Als sich in Deutschland unisono mit dem überfallenen Land solidarisiert, macht Schröder keine Anstalten, sich von seinem Freund im Kreml zu distanzieren.
"Lobbyist eines Kriegsverbrechers"
Es folgt eine große Ratlosigkeit in Sachen Schröder - nicht nur in der SPD. Schröder ist nicht erreichbar, angeblich nicht einmal für seine alten Parteifreunde und Wegbegleiter aus der niedersächsischen Sozialdemokratie. Die verstehen ihren einstigen Genossen nicht mehr, wollen mit ihm nichts mehr zu tun haben. "Es ist eine Schande", sagt Emdens Alt-Oberbürgermeister Alwin Brinkmann. Er erkenne den einstigen Kanzler nicht wieder.
"Er hat sich von den sozialdemokratischen Werten distanziert", sagt auch Jörg Purschke, langjähriges Mitglied im selben SPD-Ortsverein wie Schröder, und spricht damit vielen aus der Seele. "Jetzt ist er Lobbyist eines Kriegsverbrechers. Also, die sozialdemokratische Seele in mir, die wehrt sich mit allen Händen und Füßen dagegen."
Für ein Interview mit der "New York Times" wagt sich Schröder erstmals aus der Deckung. Und macht es nur noch schlimmer: Er verteidigt nicht nur Putin gegen Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Massaker an ukrainischen Zivilisten in Butscha, er trinkt dabei auch - so schreiben die Kollegen in New York süffisant - "reichlich Weißwein".
Den Genossen reicht es
Die Bundespartei geht auf maximale Distanz zum Altkanzler. Er möge doch bitte die SPD verlassen. Doch Schröder bleibt stur, auch wenn die Stimmen immer lauter werden, die ihn für diese Sturheit strafen wollen: "Gerhard Schröder sollte aus der Partei austreten, er vertritt nicht mehr die Ideale der SPD", meint Joachim Atzert, Kreistagsabgeordneter in Göttingen. Mehr als ein Dutzend regionaler SPD-Ortsvereine starten bereits Parteiausschlussverfahren.
"Schröder ist mit seiner Haltung komplett isoliert", sagt auch Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil. Die niedersächsische SPD erwarte von ihrem Mitglied, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Doch Schröder bleibt ungerührt, fast trotzig, pfeift auf die Appelle und den Druck im eigenen Land: Er gibt die Ehrenbürgerwürde der Stadt Hannover freiwillig zurück, bevor sie ihm aberkannt wird. Er tritt aus seinem Heimatverein Hannover 96 aus, während der noch seinen Ausschluss prüft. Als die Arbeiterwohlfahrt ihm die Friedensmedaille entzieht - kein Wort. Auch als Hannovers Marktkirche das 150.000 Euro teure und 13 Meter hohe Kirchenfenster des Künstlers und Schröderfreundes Markus Lüpertz auf Eis legt, keine Reaktion. "Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder hat Spenden für die Finanzierung des Reformationsfensters vermittelt", so der Pastor der Marktkirche Rainer Müller-Brandes. "Diese Spendengelder wollen wir zurückgeben."
Plötzlich reagiert er doch
Den Altkanzler lässt all das offensichtlich kalt - bis zu dem Tag Ende Mai, als ihn das Europaparlament mit Russlands Oligarchen auf eine Stufe stellt und seinen Namen auf die Sanktionsliste setzen will. Und bis der Haushaltsausschuss des Bundestags ihm zeitgleich sein Büro und seine Mitarbeiter streicht. Zuvor waren die Strafen für Schröders Putin-Nähe rein symbolisch gewesen - sie kratzten an seinem Ruf, nicht aber an seinem Portemonnaie oder an seinem Status als ehemaliger Staatsmann im Ausland. Nun aber könnten seine Gelder eingefroren werden. Was ihn wohl mindestens ebenso schmerzen dürfte: Nun laufen die Anfragen aus dem Ausland ins Leere, aus Ländern wie Usbekistan und Indien, die den Polit-Senior zu Vorträgen bitten, zu Gelegenheiten, sich in der weiten Welt in altem Ruhm zu sonnen - in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Dieser Bedeutungsverlust wiegt offenbar so schwer, dass Schröder aus seiner stoischen Lethargie erwacht und klagen will - übrigens mithilfe des Anwalts Michael Nagel aus Hannover, der auch Ex-Bundespräsident Christian Wulff im Prozess um Vorteilsnahme verteidigt und 2014 einen Freispruch erwirkt hatte.
Ob der Jurist ihm geraten hat, den Aufsichtsratsposten beim Ölkonzern Rosneft auslaufen zu lassen? Und den bei Gazprom gar nicht erst anzutreten? Gut möglich. Denn gerade letzterer hätte Schröder auf dem direkten Weg auf die Brüsseler Sanktionsliste katapultiert.
Speisekarte ohne "Altkanzlerfilet"
Mit seinem Ämterverzicht wird er wohl kaum Freunde und Genossen zurückgewinnen. Das einstige Polit-Alphatier, der hoch-respektierte Altbundeskanzler, das angesehene Mitglied der hannoverschen Stadtgesellschaft hat in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland kaum noch Sympathien.
Bei seinem Urlaub im Mai hat ihm der Wirt des "Norderneyer Brauhaus" kurzerhand Lokalverbot erteilt, "einfach aus Prinzip". Und das Berliner Szene-Lokal "Ständige Vertretung" hat sein "Altkanzlerfilet" von der Speisekarte gestrichen. An der Wand fehlt das Foto des einstigen Kanzlers.
Es ist einsam geworden um Gerhard Schröder.