Teilnehmer einer Kundgebung der "Freien Sachsen" in Dresden
exklusiv

Wahlkampf in Sachsen Kredite für Rechtsextremisten

Stand: 05.06.2024 15:34 Uhr

Die rechtsextremen "Freie Sachsen" wollen in mehrere sächsische Kommunalparlamente einziehen - und im Herbst in den Landtag. Dafür setzt die Partei auch auf intransparente Finanzpraktiken: Kredite mit Sonderzahlung bei Wahlerfolg.

Martin Kohlmann braucht Geld. Seinen Telegram-Followern berichtet der Chemnitzer Rechtsanwalt und Vorsitzende der Kleinstpartei "Freie Sachsen", das Finanzamt habe wieder einmal seine Konten gepfändet. Kohlmann bittet deshalb um Spenden an seine Partei, die sich im Kommunalwahlkampf befindet. Und er bietet ein Geschäft an: einen Kredit namens "Säxit-Anleihe".

Mit "Säxit" bezeichnen die Freien Sachsen ihre Forderung nach einem Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik Deutschland. Die 2021 gegründete Partei verfolgt offen einen politischen Umsturz, in ihr organisieren sich auch Neonazis. Der sächsische Verfassungsschutz stuft sie als erwiesen rechtsextremistisch ein. Wer der Partei dennoch Geld leihen will, solle per E-Mail Genaueres erfragen, schreibt Kohlmann.

Fragwürdige "Säxit-Anleihe"

tagesschau.de und MDR Investigativ liegt eine E-Mail an einen potenziellen Interessenten vor, in der Freie-Sachsen-Schatzmeister Robert Andres die Konditionen erläutert. Demnach liegt der Zinssatz bei fünf Prozent, die Rückzahlung erfolge je nach Kredithöhe. Sollte die Partei zur sächsischen Landtagswahl im September antreten und in den Landtag einziehen, falle eine Sonderzahlung in Höhe des Prozentsatzes des Wahlergebnisses an.

Kohlmann bestätigt am vergangenen Freitag am Rande einer Kundgebung die Details der Kreditvergabe. Er spricht von einem nicht unüblichen Zinssatz. "Wir zahlen da sicher ein bisschen mehr", sagt Kohlmann, da reguläre Banken den Freien Sachsen keinen Kredit geben würden.

Seit dem Aufruf im April habe die Partei Kredite im fünfstelligen Euro-Bereich aufgenommen. Als Mindestbetrag habe man 500 Euro festgelegt. Das Gesamtbudget für das Jahr 2024 belaufe sich bislang auf rund eine Viertelmillion Euro, so Kohlmann.

Rückzahlung aus staatlichen Geldern geplant

Schon bei einem Ergebnis von einem Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl wäre die rechtsextreme Partei für die staatliche Parteienfinanzierung berechtigt. Sie erhielte dann eine Wahlkampfkostenerstattung und Aufschläge auf Spenden und Mitgliedsbeiträge. Aus diesen Mitteln könnte sie dann die Kredite zurückzahlen.

Mit der Parteienfinanzierung kann "man auch sicherlich ganz normal damit Schulden bedienen", sagt Kohlmann. Auch Mandatsträgerabgaben könnten herangezogen werden. Er selbst habe seiner Partei auch einen Kredit gegeben. Dass es sich um eine potenzielle Verschleierung von Spenden handeln könnte, bestreitet Kohlmann.

Für Spenden an Parteien gelten in Deutschland umfangreiche Regeln. So dürfen Parteien nicht mehr als 500 Euro von einem anonymen Spender annehmen. Ab 10.000 Euro muss ein Spender mit Name, Betrag und Adresse im jährlichen Rechenschaftsbericht einer Partei genannt werden. Für Kredite gilt das nicht.

Parteienrechtlerin: "Wenig Einschränkungen"

In Deutschland sei es völlig normal, dass Parteien Kredite aufnehmen, erklärt die Parteienrechtlerin Sophie Schönberger. Laut der Professorin der Universität Düsseldorf wäre ein Kredit erst dann als Parteispende zu werten, "wenn er zu nicht-marktüblichen niedrigeren Konditionen vergeben wird". Ob die Kreditkonditionen an bestimmte Wahlergebnisse geknüpft seien, spiele keine Rolle.

Schönberger sieht allerdings ein "Schwarzes Loch der Parteienfinanzierung". So müssen die Parteien zwar bei der Bundestagsverwaltung ihre Rechenschaftsberichte zur Überprüfung vorlegen. Die genauen Konditionen eines Kredits bekäme die Verwaltung dabei aber nicht zur Sicht.

"Die Bundestagsverwaltung muss sich darauf verlassen, dass die vereidigten Buchprüfer ihre Arbeit machen", sagt Schönberger. Diese Wirtschaftsprüfer wähle aber jede Partei selbst aus.

LobbyControl: "Große Transparenzlücke"

Aurel Eschmann von der Transparenzorganisation "LobbyControl" hält die Aktion der Freien Sachsen für "moralisch äußerst fragwürdig". Für Gewinninteressen seien die Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung nicht vorgesehen. "Unsere Demokratie ist kein Investmentobjekt", sagt Eschmann.

LobbyControl hält die Offenlegungspflichten bei Krediten an Parteien für unzureichend. "Da herrscht eine große Transparenzlücke", so Eschmann. Es mangle nicht nur an genauen Angaben, sondern auch an zusätzlichen Prüfungen durch Finanzämter oder den Bundesrechnungshof. Letztere würden die Parteien verwehren.

LobbyControl fordert, ab einem bestimmten Betrag alle Zuwendungen an Parteien - also auch Kredite und die Bereitstellung von Immobilien - transparent zu machen. Anlass dazu biete auch eine große Partei: Die FDP weise laut Eschmann seit Jahren "enorme Darlehen" aus. 2022 hatte die Partei Schulden von 32 Millionen Euro - und das bei Jahreseinnahmen von 39 Millionen Euro.

Laut Eschmann mangele es aber am Reformwillen in der Politik. So habe LobbyControl die Bundestagsverwaltung mehrfach erfolglos auf das Problem hingewiesen. Auch bei der jüngsten Novellierung des Parteiengesetzes durch den Bundestag Ende 2023 hätte das Thema keine Rolle gespielt.

Bundestagspräsidentin: "Grundsätzlich besteht Vertragsfreiheit"

Die Bundestagsverwaltung leitet die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). Bas’ Büro teilt auf Anfrage mit, dass die Kreditaktion der Freien Sachsen dort nicht bekannt sei.

Grundsätzlich bestehe im Verhältnis einer Partei zu privaten Kreditgebern Vertragsfreiheit, schreibt ein Sprecher. Ob es sich doch um eine Spende handle, sei "insbesondere" dann zu prüfen, wenn es sich um ein "zinsloses" Darlehen handelt.

Der Sprecher bestätigt, dass es bislang keine "Transparenz- oder Verbotsnormen für Darlehen an Parteien" gebe, die mit den Regeln für Spenden vergleichbar seien. Zuständig für eine Änderung des Parteiengesetzes sei aber der Bundestag. "Die Bundestagspräsidentin möchte etwaigen parlamentarischen Beratungen im vorliegenden Fall nicht vorgreifen", so ihr Sprecher.

Rechtsextremismusforscher: "Sie wollen stören"

Welches Potenzial die Freien Sachsen haben, wird sich am Sonntag zeigen. Dann finden in Sachsen die Kommunalwahlen statt. Laut einer Recherche des Rechtsextremismusforschers Johannes Kiess von der Universität Leipzig tritt die Partei in allen 13 kreisfreien Städten und Landkreisen sowie bei 41 Stadt- und Gemeinderatswahlen an.

Sollten sie dann in weitere Kommunalparlamente einziehen, was als wahrscheinlich gilt, würden sie dort nicht konstruktiv mitarbeiten. "Die Freien Sachsen wollen stören, sie wollen Informationen abgreifen", sagt Kiess unter Berufung auf Aussagen der Partei. Mit diesen Infos würden "sie dann weiter Bürger aufhetzen und auf die Straße bringen". Zudem gehe es der Partei um die Vorbereitung auf die Zeit nach dem herbeigesehnten Umsturz.

Ob die Freien Sachsen auch zur Landtagswahl antreten, wollen sie nach den Kommunalwahlen entscheiden. Eine Liste sei laut Partei bereits aufgestellt.

"Exakt - das Nachrichtenmagazin" zeigt am heutigen Mittwochabend um 20.15 Uhr im MDR neue Recherchen zu militanten Neonazis unter den Kandidaten der Freien Sachsen.

Mitarbeit: Thomas Datt und Edgar Lopez

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Mai 2024 um 19:36 Uhr.