CSU-Chef Söder auf dem Parteitag
Analyse

Streit um Wahlrechtsreform Ein Geschenk für Söder

Stand: 23.03.2023 16:20 Uhr

Der Aufschrei der CSU über das neue Bundestagswahlrecht war laut - auch, weil die Partei einen Bedeutungsverlust fürchtet. Der Streit kommt Parteichef Söder wenige Monate vor der bayerischen Landtagswahl aber nicht ungelegen.

Eine Analyse von Petr Jerabek, BR

Es dauerte etwas, bis dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder die Dimension des neuen Ampel-Vorschlags zum Wahlrecht so richtig klar wurde. In seiner ersten Reaktion äußerte er sich erst auf Nachfrage zur Streichung der Grundmandatsklausel - und machte nur die Linkspartei als Opfer aus, die dadurch aus dem Bundestag fliegen könnte. Für die CSU befürchte er das "weniger", sagte Söder Anfang vergangener Woche.

Nur 24 Stunden später klang er ganz anders: Die Existenz seiner Partei sei "fundamental in Frage" gestellt, ein "dicker Hund" sei das. In Berlin assistierte CDU-Chef Friedrich Merz: "Dieses Wahlrecht richtet sich jetzt vor allem gegen die CSU."

Jahrzehntelang ermöglichte die Grundmandatsklausel Parteien, trotz Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen, sofern sie mindestens drei Direktmandate holten. Zuletzt profitierte davon die Linkspartei.

Obwohl die CSU nur in Bayern antritt, lag ihr bundesweiter Zweitstimmenanteil bisher stets oberhalb dieser fünf Prozent, 2021 mit 5,2 Prozent aber denkbar knapp. Durch die am Freitag beschlossene Reform wird nun folgendes Szenario möglich: Die CSU könnte über die Erststimmen mehr als 40 Wahlkreissieger in Bayern stellen, bei einem bundesweiten Zweitstimmen-Ergebnis von weniger als fünf Prozent aber dennoch ohne einzigen Bundestagsabgeordneten bleiben.

Angst vor Bedeutungsverlust

Aus CSU-Sicht wirft ein solches Szenario rechtliche Fragen auf: Würden Stimmen bayerischer Wähler benachteiligt? Schon jetzt ist klar, dass das Selbstverständnis der CSU fundamental erschüttert wäre. Der bundespolitische Gestaltungsanspruch gehört zu ihrer DNA. Als die Partei noch in Berlin mitregierte, lobte Söder, wie viele Millionen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nach Bayern geholt habe. Seit die Ampel das Sagen hat, verkauft Söder seine CSU als einzige Verfechterin bayerischer Interessen im Bund.

Würde die CSU aus dem Bundestag fliegen, würde sie zu jener Regionalpartei verzwergen, die sie nie sein wollte. Auch die theoretische Möglichkeit einer Listenverbindung von CDU und CSU ist aus Sicht der Christsozialen wenig reizvoll. Immer schon kämpften sie vehement gegen den Eindruck, kaum mehr als ein CDU-Landesverband zu sein. So lässt sich der Aufschrei der CSU als Ausdruck der Angst vor Bedeutungsverlust deuten. Aber nicht nur.

Das Poltern gegen das Wahlrecht lenkt auch davon ab, dass über die Jahre gerade die CSU eine Verkleinerung des Bundestags blockiert hatte. In der aktuellen Debatte hatten die Christsozialen schon schwere rhetorische Geschütze aufgefahren, als im ersten Ampel-Entwurf die Grundmandatsklausel noch gar nicht in Frage gestellt wurde.

Stimmung gegen die Bundesregierung

Mitte Januar geißelte CSU-Generalsekretär Martin Huber die Vorschläge als "organisierte Wahlfälschung" wie in "Schurkenstaaten", Söder drohte damals schon mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Am Wochenende präzisierte er: Noch vor der Sommerpause werde die CSU eine Verfassungsklage einreichen und die Staatsregierung eine Normenkontrollklage. Zudem wollen im Bundestag Abgeordnete von CSU und CDU gemeinsam eine weitere Normenkontrolle auf den Weg bringen. Dreifach hält besser.

Mit Verfassungsklagen zu drohen, ist derzeit quasi eine Konstante bayerischer Politik. Länderfinanzausgleich, Erbschaftssteuer, Krankenhausreform, Cannabis-Legalisierung, mögliche Streichung des Abtreibungsparagrafen 218 - sollten CSU und Staatsregierung ihren Worten Klagen folgen lassen, bekommen die Karlsruher Richter viel Arbeit.

Die Wahlrechtsreform reiht sich ein in eine Liste von Themen, mit der die CSU im bayerischen Landtagswahljahr Stimmung gegen die Bundesregierung macht. Seit Monaten schon verbreitet Söder die Erzählung vom Kampf des "Ampel-Nordens" gegen den "freien Süden", von der bewussten Benachteiligung des Freistaats. Mit dem Wahlrecht ist der CSU ein neues Wahlkampfargument in den Schoß gefallen. Seit Tagen postet die Partei in sozialen Netzwerken Bildtafeln mit dem Slogan "Ampel gegen Bayern" und Sätzen wie: "Das Ampel-Wahlrecht entmündigt bayerische Wähler."

Anti-Ampel-Wahlkampf

Söder baut darauf, ab Herbst die Koalition mit den Freien Wählern fortzusetzen. Jüngsten Umfragen zufolge stehen die Chancen gut. Trugen Söder und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger insbesondere in der Corona-Politik manchen Kampf aus, so schweißt sie der Anti-Berlin-Kurs zusammen.

Die Ampel-Parteien in Bayern gehen derweil unterschiedlich mit dem Attacken-Feuerwerk um. SPD und Grüne keilen zurück und verweisen auf das bayerische Wahlrecht, das ebenfalls eine strikte Fünf-Prozent-Hürde vorsieht. Bei der FDP, die um den Wiedereinzug in den Landtag bangt, überwiegt die Sorge, den CSU-Wahlkampf unfreiwillig zu befeuern. Landeschef Martin Hagen versicherte, es sei nicht das Ziel der Liberalen, dass die CSU aus dem Bundestag fliege. Er habe Söder persönlich zugesagt, sich für eine Lösung einzusetzen, "die die parlamentarische Existenz der CSU" sichere.

Die Christsozialen denken freilich nicht daran, mit der FDP die Friedenspfeife zu rauchen. Schon wenige Stunden nach Hagens Vorschlag legten mehrere CSUler mit Kritik nach. Am Anti-Ampel-Wahlkampf wird sich bis Oktober wohl kaum etwas ändern - ganz unabhängig von der weiteren Entwicklung im Wahlrecht-Streit.