Erneuerung der Partei Warum die CDU noch auf der Suche ist
Im Bundestag scheint die Unionsfraktion um ihren Chef Friedrich Merz ihre Rolle als erste Ampel-Kritiker gefunden zu haben. Merz ist aber auch CDU-Vorsitzender. Hier ist unklar, wohin er die Partei führen will.
Als Friedrich Merz vor gut einem Jahr das Berliner Parkett betrat, war seine Aufgabe klar: die CDU wieder aufrichten. Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis fand sie sich auf der harten Oppositionsbank wieder - eine ungewohnte Rolle nach 16 Jahren des Dauerregierens.
Phantomschmerzen machten sich breit und sind bis heute nicht bei allen abgeklungen. Große Namen wurden zu Hinterbänklern: Wolfgang Schäuble, Armin Laschet, Helge Braun sind nur noch drei unter vielen. Doch nicht nur die Fraktion, auch die Partei erlebte einen Umbruch: Präsidium und Vorstand stellten sich neu auf. So soll die Trendwende möglichst bald gelingen.
Was wurde erreicht?
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich arrangiert mit ihrer neuen Rolle. Vortänzer Merz ist der starke Mann: In den Generaldebatten gibt er den Takt vor und fordert Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder zum politischen Paso Doble auf.
Und das funktioniert: Die Debatten sind nach den trägen GroKo-Jahren wieder lebendig, mitunter kurzweilig und durchaus mit politischem Erkenntnisgewinn. Und auch die CSU schwingt mit. Die Schwesternparteien sind wieder im Takt. Gemeinsam triggern sie die Ampelparteien und zeigen mit dem Finger auf vermeintliche Schwachpunkte.
Das zahlt sich in den Umfragen aus. Die Union liegt zwischen 28 und 30 Prozent. Dazu muss sie gar nicht viel beitragen, sie profitiert von der Schwäche der anderen. Dabei hat die Union durchaus ihre Akzente gesetzt: Das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr hat sie mit ausgestaltet, das Bürgergeld ihren Vorstellungen entsprechend umgeschrieben, die allgemeine Corona-Impfpflicht verhindert.
Die Unionsfraktion agiert dabei geschlossen, beinahe zumindest. Als über den Antrag der Ampel über eine Dauerperspektive für Geduldete abgestimmt wird, tanzen 20 Unionsabgeordnete aus der Reihe - vorwiegend Parlamentarier aus dem alten Merkel-Lager, die für eine offene, tolerante Flüchtlingspolitik stehen. Sie enthalten sich. Und: Sie stechen ein Papier an die Medien durch. Mit so etwas sollte eigentlich Schluss ein.
Was steht noch aus?
Die CDU befindet sich weiter auf Identitätssuche. An einem Grundsatzprogramm wird gearbeitet, es geht langsam voran. Noch ist unklar, wohin sich die Partei entwickeln soll. Die Konservativen erwarten mehr Konservatives, die Mitte mehr Mitte. 2024 soll über das Programm abgestimmt werden, dann kann jeder nachlesen, wofür die CDU steht. Derzeit ist das schwer zu sagen. Die CDU kann stark austeilen gegen die anderen, zeigt sich eher schwach in der eigenen Positionierung.
Das führt zu einem weiteren ungelösten Problem, das immer wieder auftaucht und das schon Parteivorsitzende vor Merz ins Trudeln gebracht hat: Wie hält es die CDU mit der AfD? Zwar hatte sich Merz bei Amtsantritt als Parteichef klar geäußert und ein Ausschlussverfahren all denen angedroht, die mit der AfD zusammenarbeiten, aber im Osten der Republik schert sich nicht jeder darum. Die Grenzen zur AfD oder zu deren Rhetorik sind an einigen Orten fließend.
Zuletzt überließ Merz das Problem seinem Generalsekretär Mario Czaja. Der pflegt generell einen eher zurückhaltenden Stil - ganz so, als wolle er niemandem auf die Füße treten. Laut wird er selten, wenn überhaupt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die CDU auch eine stellvertretende Generalsekretärin: Christina Stumpp. Die 35-Jährige soll auch für eine jüngere und weiblichere CDU stehen. Bislang wirkt sie aber eher wie ein modernes Feigenblatt.
Der Parteichef
Merz steht unangefochten an der Spitze der CDU. Er ist der starke Mann, nach dem sich viele in der Partei gesehnt haben und der der Partei wieder Selbstbewusstsein eingeflößt hat. Rhetorisch lässt er den Kanzler oft alt aussehen, das kommt gut an - vornehmlich bei den eigenen Leuten. Wähler und Wählerinnen hingegen kann Merz mehrheitlich nicht für sich einnehmen. Seine persönlichen Umfragewerte kommen über Mittelmaß nicht hinaus.
Und in der Partei keimen Zweifel auf, ob ihr überzeugender Krawallmacher auch der richtige Kanzlerkandidat für 2025 sein kann. Merz selbst sucht noch nach seinem Rhythmus. Inhaltlich macht er gern mal einen Schritt rechts, zwei zurück und wieder einen nach rechts. Er beklagt "Sozialtourismus", entschuldigt sich für die Wortwahl und bleibt in der Sache dann doch dabei: sein politischer Cha-Cha-Cha.
Unklar ist, wo Merz eigentlich hin will mit der CDU. Macht er den Schritt weg aus der Mitte, mehr nach rechts? Den Anschein hat es immer dann, wenn er etwa das Gendern zu einem gesellschaftlichen Grundproblem aufbauscht, oder wenn es um die Frage der Migration geht. Dann lässt sich durchaus eine Gewichtsverlagerung auf das rechte Beine beobachten.
Dann wieder mimt Merz den modernen Macher, lässt sich beim Sommerfest der Fraktion beschwingt beim Tanz filmen und stellt das Ganze als Clip ins Netz. Die Botschaft: Seht her, ich kann auch anders. Als Moderner überzeugt er trotzdem nicht. Das zeigt auch die Frauenquote, für die er zwar stimmt, aber nur, weil ihm, wie er selbst sagte, nichts Besseres einfällt.
Die Perspektive
Mit Blick auf die Landtagswahlen geht die CDU optimistisch ins neue Jahr. In Bremen wird zwar nicht viel zu holen sein, aber in Berlin könnte die CDU stärkste Kraft werden und in Hessen weiter den Ministerpräsidenten stellen.
Und dann steht im Herbst noch die Bayern-Wahl an: Diese Abstimmung hat eine besondere Bedeutung. Es geht nicht nur um die Frage, wie hoch die CSU die Wahl gewinnt, sondern auch darum, ob Markus Söder seinen Platz weiterhin in Bayern sieht oder durch ein gutes Wahlergebnis beschwingt einen neuen Anlauf auf Berlin nimmt.
Merz möchte einen erneuten Affentanz um die Kanzlerkandidatur vermeiden. Um sich selbst in eine gute Ausgangsposition zu bringen, könnte eine Vision helfen, eine überzeugende Idee. Sie muss ja nicht unbedingt auf einen Bierdeckel passen.