Olaf Scholz Kein Wohlfühlkanzler
Auch als Kanzler ist Olaf Scholz kein Politikerklärer und keiner, der mit Worten wärmt. Vermutlich sieht er das auch nicht als seine Aufgabe. Er hat Wichtigeres zu tun. Das kommt nicht immer gut an.
Es sind diese Momente, in denen Olaf Scholz nicht aus seiner Haut kann: Wenn er, wie kürzlich im Kanzleramt beim Besuch des norwegischen Regierungschefs, den ausländischen Journalisten nur noch in Ein-Satz-Phrasen antwortet. Der Kanzler ist dann der Meinung: Es muss nicht mehr gesagt werden, es wurde bereits alles gesagt - zumindest, was er dazu sagen wollte.
Scholz möchte in diesen Momenten kein Politikerklärer sein. Das war er nie und das ist er in diesem ersten Jahr an der Spitze dieser ersten Drei-Parteien-Regierung auf Bundesebene auch nicht geworden. Scholz ist kein Kommunikator. Man kann ihm das zum Vorwurf machen. Ihn langweilt diese Debatte eher. Scholz hat Wichtigeres zu tun.
Die Ampel war kaum im Amt, da überfiel Russland die Ukraine. Plötzlich musste er Krisenmanager sein - nach außen und innen. Denn auch in seiner "Fortschrittskoalition" wirkten Fliehkräfte, und Risse taten sich auf. Mit Image-Fragen, zu viel Kommunikation und Befindlichkeiten will er sich angesichts dieser Großkrisenlage nicht lange aufhalten. Doch auch durch diese Art hat Scholz in diesem Jahr so manchen vor dem Kopf gestoßen.
Etwa bei seiner "Zeitenwende"-Rede Ende Februar im Bundestag, als er das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte. Nur wenige in seiner SPD und der Koalition waren eingeweiht. In den Gesichtern vieler Ampel-Abgeordneter konnte man ablesen, wie sie des Kanzlers Kehrtwende in der Außen- und Verteidigungspolitik Deutschlands kalt erwischte. Einige Parlamentarier dürften froh gewesen sein, eine Maske zu tragen, um die komplette Entgleisung ihrer Gesichtszüge nicht zu offenbaren.
Ein "Doppelwumms" ohne Vorwarnung
Gerne taucht der Kanzler dann nach solche Reden ab. Um die weiteren Details soll sich dann sein Kabinett kümmern. Ein zähes Ringen um die Ausgestaltung des 100 Milliarden-Vermögens folgte dann zusammen mit diversen Interpretationen, wie der Kanzler das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der NATO denn nun gemeint haben könnte.
Die einen oder anderen Absprachen oder Vorwarnungen wären schon wichtig gewesen, hört man immer wieder in diesem Jahr, wenn der Kanzler "Großes" verkündet hatte. Wie etwa den 200 Milliarden Euro schweren "Doppelwumms", also das riesige Entlastungspaket zur Abfederung der hohen Energiekosten.
Dass weder eine Ankündigung noch eine nähere Erklärung zur Ausgestaltung der Milliardenhilfen kam, verstörte so manchen europäischen Partner. Aus seinem Kabinett ist dazu nur zu hören, dass man in solchen Momenten gar nicht so viel Zeit gehabt habe, wesentliche Partner in Brüssel vorab zu informieren und vorzuwarnen. So bleiben Fragen: Ist das alles kompatibel mit EU-Recht? Wie genau könnte es aussehen? Die Hausaufgaben sollen seine Ministerinnen und Minister machen.
Der Kanzler weist auch gerne darauf hin, wer seiner Meinung nach, seine Hausaufgaben nicht erledigt hat. Die unionsgeführte Vorgängerregierung zum Beispiel. Aber auch seine eigenen Minister lässt Scholz schon mal schlecht aussehen. So betont er gern immer wieder, dass er - Scholz - es war, der bereits im Dezember 2021 die Gasspeicher-Füllmengen abgefragt habe. Scholz, der Stratege, der schon frühzeitig die gefährliche Energieabhängigkeit von Russland erkannt und die drohenden Krisen im Blick gehabt hatte, das ist die Botschaft. Dass auch er zu denjenigen gehörte, die lange an der umstrittenen Pipeline Nordstream II festgehalten haben, verschweigt er lieber.
Doch in Brüssel festigt sich dadurch ein Bild von Deutschland als unberechenbarem Partner, der zudem mit mehreren Stimmen spricht, je nachdem, ob man es mit Finanzminister Christian Lindner, Wirtschaftsminister Robert Habeck oder dem Kanzler zu tun hat.
Es rumpelt, zwei rempeln
Auch in Deutschland rumpelt es innerhalb der Ampel immer wieder. Fast schon symbolisch sind dann Situationen, wie bei der Präsentation der Ergebnisse der Gaspreiskommission: Lächelnd steht dann der Kanzler neben den Ministern Habeck und Lindner und nimmt die Ergebnisse der Kommission in Empfang - ein Gremium, das wochenlang unter maximalem Druck erarbeitet hat, wie die hohen Energiepreise schnell und rechtskonform vom Staat aufgefangen werden können.
Hinter ihm rempeln sich der Wirtschaftsminister und der Finanzminister auf der Bühne an - nicht absichtlich, schnell versuchen die beiden, Einigkeit zu demonstrieren. Aber ob auf der Bühne oder auch hinter den Kulissen haben sich Habeck und Lindner sehr oft in dem Jahr verbal angerempelt, vor allem in Energiefragen.
Ein "Machtwörtchen"
Der Kanzler mag kein großer Kommunikator nach außen sein, moderieren nach innen gelingt ihm im Streitfall offenbar besser. In der Rolle des Vermittlers schlichtete er zwischen dem grünen und gelben Lager und sorgte dafür, dass die Minister gesichtswahrend aus den Konflikten gingen. Manchmal geschah das geräuschlos, ins normale Tagesgeschäft mischt sich Scholz nicht ein - ähnlich wie seine Vorgängerin Angela Merkel. Nur wenn es wahrnehmbar klemmt, nach stundenlangen Koalitionsausschüssen etwa, lassen sich die Kompromisslinien des Kanzlers erkennen.
So wirkte auch sein als "Machtwort" hochgejazzter Gebrauch der Richtlinienkompetenz für die Minister Habeck und Lindner fast wie ein Befreiungsschlag in einer schwierigen Regierungszeit. FDP und Grüne hatten sich derart in ihren Positionen zur Laufzeit der Atomkraftwerke verhakt, dass kein Ausweg schien. Scholz hatte den Streit lange laufen lassen, jetzt musste er handeln und entscheiden.
Auch an dem Abend, als Scholz per Brief den beiden Ministern mitteilte, wie lange die drei verbliebenen AKW nun laufen sollen, waren nur wenige Vertraute eingeweiht. Viele Abgeordnete der Ampel wurden einmal mehr kalt erwischt. Vor allem auf den Fluren der Grünen-Fraktion wehte ein eisiger Wind.
Scholz ist keiner, der mit Worten wärmen und für Wohfühlatmosphäre sorgen kann. Aber vermutlich sieht er das auch nicht als seine Aufgabe.