Reform ersetzt Hartz IV Was sich mit dem Bürgergeld ändert
Zum Jahresanfang gibt es statt Hartz IV nun Bürgergeld. Das betrifft etwa fünf Millionen Menschen. Die Chefin der Arbeitsagentur sichert einen reibungslosen Start zu. Doch auch für die 400 Jobcenter ändert sich eine Menge.
Die erste Veränderung durch das Bürgergeld kommt praktisch automatisch und ohne Extra-Antrag: Es ist die Anhebung der Leistungen. Der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen steigt um 53 Euro von 449 Euro auf 502 Euro. Zu wenig, findet Michaela Engelmeier vom Sozialverband SoVD. In Anbetracht der enormen Preissteigerungen in nahezu allen Lebensbereichen kann dieser Anstieg ihrer Ansicht nach allenfalls ein erster Schritt sein.
Engelmeier fordert, dass Regelsätze wirksam vor Armut schützen müssen. Dafür seien mindestens 150 Euro mehr erforderlich. Trotz der Enttäuschung über den geringen Anstieg begrüßt der SoVD das Bürgergeld grundsätzlich: "Das ist eine Erleichterung, dass die Beratungskräfte in den Jobcentern jetzt mehr auf Augenhöhe mit den Leistungsbeziehern umgehen."
Neue Formulare als Ausdruck der Wertschätzung
Tatsächlich zeigt die Arbeitsagentur guten Willen. Wertschätzung zeige sich auch in einer verständlichen Sprache, meint Vorstandsmitglied Vanessa Ahuja. Entsprechend überarbeitet die Agentur Formblätter, Antragsformulare, Anschreiben und Vereinbarungen.
Zu dem Kulturwandel, den die Sozialverbände sich erhoffen, und den die Bundesregierung versprochen hat, gehört auch die Abschaffung des sogenannten Vermittlungsvorrangs. Demnach geht es nun nicht mehr darum, die Arbeitslosen so schnell wie möglich in einen Job zu vermitteln. Denn das hatte oft zur Folge, dass weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer zufrieden waren und die entsprechenden Beschäftigungsverhältnisse nicht lange hielten. Bald standen die Betroffenen wieder im Jobcenter - der klassische "Drehtüreffekt".
Stattdessen sollen die Arbeitslosen nun für eine langfristige Beschäftigung fit gemacht werden. Da es vielen, die schon lange ohne Job sind, vor allem an einer abgeschlossenen Berufsausbildung fehlt, geht es nun um Aus- und Weiterbildung. Dadurch sollen Beschäftigungsverhältnisse entstehen, die nachhaltig sind.
Wohnungsgröße und Schonvermögen
Mit dem Jahreswechsel wird auch der Inflationsausgleich neu geregelt: Die Bedarfe werden künftig nicht mehr rückwirkend, sondern vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst. Das soll die Leitungsbeziehende entlasten. In den ersten zwölf Monaten wird die "Angemessenheit der Wohnung" wie es heißt, nicht überprüft. Das heißt, wer in einer Wohnung lebt, die teurer ist, als es einem Bürgergeldempfänger zusteht, kann ohne Scherereien darin wohnen bleiben, wenn er binnen eines Jahres einen neuen Job findet.
Auch das sogenannte Schonvermögen bleibt in den ersten zwölf Monaten für Bürgergeld-Beziehende unangetastet: Das sind immerhin 40.000 Euro. Außerdem wird eine sogenannte Bagatellgrenze von 50 Euro eingeführt: Bis zu dieser Summe werden keine Bescheide mehr zur Rückforderung fehlerhafter Zahlungen erlassen
Es gibt Sanktionen
Während der Pandemie wurden keine Leistungskürzungen wegen Meldeversäumnissen oder Fristverletzungen verhängt. Das ändert sich nun. Sanktionen sind möglich. Wer beispielsweise ohne wichtigen Grund einen Termin versäumt, riskiert Leistungskürzungen von zehn Prozent. Arbeitsagentur-Vorstandsmitglied Ahuja weist allerdings darauf hin, dass bisher lediglich drei Prozent der Betroffenen überhaupt mit Sanktionen in Berührung gekommen seien.
Kürzungen stehen daher für die Agentur nicht im Mittelpunkt. Stattdessen soll es darum gehen, Kundinnen und Kunden zu unterstützen, sie persönlich zu beraten, sie bei der Arbeitssuche zu fördern und vielfältige Angebote zu machen, damit sie wieder langfristige Beschäftigung finden. Maßnahmen des sozialen Arbeitsmarktes gehören auch dazu, bei denen Arbeitslose unterstützend begleitet werden und Arbeitgeber einen Teil des Lohns erstattet bekommen.
Nur sechs Wochen Zeit
Gerade einmal sechs Wochen sind zwischen der endgültigen Verabschiedung des Bürgergelds und der Einführung zum Jahreswechsel vergangen. Laut Waldemar Dombrowski von der Gewerkschaft Arbeit und Soziales (VBBA) sind die knapp 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der bundesweit rund 400 Jobcenter für die Einführung der Reform trotzdem gut aufgestellt, es gab viele Fortbildungen. Außerdem tritt ein zweiter Teil der Reform erst ab Juli in Kraft. Dadurch kommt nicht alles auf einmal, und Änderungen wie die Gewährung höherer Freibeträge, der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen Jobcenter und Arbeitslosen sowie Weiterbildungsprämien können noch vorbereitet werden.
In den Jobcentern rechnet man jedoch mit einem erhöhten Arbeitsaufkommen durch mehr Nachfragen zu den neuen Regelungen. Aber das ist längst nicht alles, beklagt Gewerkschafter Dombrowski. "Noch immer kommen Flüchtlinge aus der Ukraine zu uns, die von den Jobcentern betreut werden. Und dann gibt es einen zunehmender Anteil an Bedürftigen, weil die Kommunen nicht rechtzeitig die Wohngeldanträge bearbeiten und die Summen auszahlen können." Die Menge der zu erwartenden Anträge und Nachfragen könnte die Jobcenter an die Schmerzgrenze und darüber hinaus bringen, warnt er.