Sozialreform Das Bürgergeld kommt - was steckt drin?
Sanktionen, Schonvermögen, Karenzzeiten - der politische Streit ums Bürgergeld ist beigelegt. Die Sozialreform umfasst weit mehr als die Erhöhung der Regelsätze. Was steckt drin - und was bleibt vom alten Hartz-IV-System?
Die Ausgangslage
Der zähe politische Streit ums Bürgergeld ist beigelegt, die Sozialreform kann zum 1. Januar in Kraft treten. Damit können alle Menschen, die derzeit Arbeitslosengeld II bekommen, mit rund 50 Euro monatlich mehr auf dem Konto rechnen. Doch das Bürgergeld ist mehr als die Erhöhung des Regelsatzes. Es ist ein Systemwechsel, sagt die SPD - und feiert dabei auch ein wenig ihre eigene Traumabewältigung: das Ende von Hartz IV. Die Union hingegen lobt sich dafür, den Systemwechsel verhindert zu haben und spricht von einem "Update" von Hartz IV.
Unterm Strich bleibt: Wenn nach dem Vermittlungsaussschuss auch Bundestag und Bundesrat am Freitag dem geänderten Gesetzentwurf zum Bürgergeld zustimmen, ist der Weg frei. Das Bürgergeld kommt - warum braucht es die Reform und was steckt drin?
Warum soll das Bürgergeld die Hartz-IV-Regelungen ablösen?
Die Einführung eines Bürgergelds ist als eine der größten Sozialreformen im Koalitionsvertrag der Ampelregierung festgehalten. Es soll an die Stelle der Hartz-IV-Regelungen treten, die vor 18 Jahren in Kraft traten und vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) initiiert worden waren. Bei der Neuregelung steht das "Fördern" der Menschen stärker im Fokus als das "Fordern". Die Reform betrifft knapp fünf Millionen Leistungsbezieherinnen und -bezieher sowie 405 Jobcenter mit fast 75.000 Beschäftigten.
Wer erhält das Bürgergeld?
Das Bürgergeld ist eine Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Es soll sicherstellen, dass der Lebensbedarf gewährleistet werden kann. Wer bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld hatte, wird auch künftig Anspruch auf das Bürgergeld haben. Neue Anträge müssen nicht gestellt werden.
Wie hoch sind die neuen Regelsätze?
Der Regelsatz soll angehoben werden, das war zwischen den Parteien unstrittig. Zum 1. Januar soll damit wie geplant der Regelsatz für alleinstehende Erwachsene von derzeit 449 Euro um 53 Euro auf 502 Euro pro Monat steigen. Für Erwachsene unter 25, die noch bei ihren Eltern leben, erhöht sich der Betrag auf 402 Euro, für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren liegt er künftig bei 420 Euro, für Kinder von sechs bis 14 Jahren bei 348 Euro. Bei Kindern unter sechs Jahren sind es 318 Euro.
Was ist mit Sanktionen als Druckmittel?
Die ursprünglichen Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sahen vor, dass anders als bei Hartz IV am Anfang des Bürgergeld-Bezugs eine halbjährige "Vertrauenszeit" steht. In ihr drohten Betroffenen nur eingeschränkt Leistungskürzungen durch die Arbeitsagenturen. Die Union sah dadurch das Prinzip des "Förderns und Forderns" untergraben. Die "Vertrauenszeit" fällt nun weg. Sanktionen sollen umfassend vom ersten Tag an möglich sein, wenn Betroffene etwa eine zumutbare Stelle nicht antreten. Leistungen können dann beim ersten Mal um zehn Prozent gekürzt werden - bei einer weiteren Pflichtverletzung binnen eines Jahres um 20 Prozent und bei einem nochmaligen Verstoß um 30 Prozent. Das ist auch das Maximum: Laut einem Karlsruher Urteil von 2019 sind Leistungsminderungen nur von bis zu 30 Prozent zulässig. Es untersagte damals noch mögliche Kürzungen der Bezüge von 60 Prozent beim zweiten Pflichtverstoß pro Jahr als unzumutbar.
Wie hoch ist das Schonvermögen?
Auch beim vorgesehenen Schonvermögen, das beim Bezug in der Anfangszeit des Bürgergeld-Bezugs nicht angetastet wird, gibt es deutliche Änderungen zu den ursprünglichen Ampel-Plänen. Es wird beim eigentlichen Leistungsbezieher von 60.000 Euro auf 40.000 Euro verringert. Für jedes weitere Haushaltsmitglied sind es nun 15.000 Euro, geplant hatte Arbeitsminister Heil 30.000 Euro. Auch die Fristen wurden verkürzt: Geschont werden Vermögensreserven der Bezieherinnen und Bezieher nur noch im ersten Jahr. Geplant waren von der Ampel zwei Jahre Karenzzeit. Analog gilt dies für die Angemessenheit der Wohnung: Im ersten Jahr überprüfen die Jobcenter nicht, ob eine Wohnung angemessen ist. Menschen, die arbeitslos sind und sich einen neuen Job suchen müssen, sollen sich nicht auch noch um ihre Wohnung sorgen müssen, lautet die Begründung. Nach Ablauf dieses Jahres muss die Unterkunft angemessen sein.
Bleibt es beim Prinzip: Hauptsache, ein Job?
Nein, der sogenannte Vermittlungsvorrang fällt weg. Das ist auch mit ein Grund dafür, dass die Ampel-Parteien trotz der vielen Abstriche den Kern der Bürgergeld-Reform gerettet sehen. Das Bürgergeld soll anders als Hartz IV auf langfristige Beschäftigungsmöglichkeiten setzen anstatt auf die schnelle Vermittlung auch in Aushilfsjobs. Dies gilt insbesondere für die Zeit, in der eine Weiterbildung gemacht wird. Für die Teilnahme an abschlussbezogenen Weiterbildungen werden zur Unterstützung zudem zusätzlich 150 Euro gezahlt. Und bei Maßnahmen, die besonders dabei unterstützen, langfristig zurück in den Job zu finden, gibt es einen Bürgergeld-Bonus von monatlich 75 Euro. Zudem kann bei Bedarf auch ein Berufsabschluss in drei statt in zwei Jahren nachgeholt werden.
Was ist mit Zuverdienstmöglichkeiten?
Auch hier ist alles geblieben wie ursprünglich geplant: Wer zwischen 520 und 1000 Euro verdient, soll künftig mehr von seinem Einkommen behalten können: Die Freibeträge in diesem Bereich werden von 20 Prozent auf 30 Prozent angehoben. Für Menschen unter 25 gilt zwischen Schulabschluss und Ausbildungsbeginn für drei Monate jeweils ein Freibetrag von 520 Euro - ebenso wie beim Bundesfreiwilligendienst.
Wie geht es konkret weiter?
Am Freitag stimmen Bundestag und Bundesrat über den geänderten Gesetzentwurf ab. Hier wird eine breite Zustimmung erwartet. Dann sind die Jobcenter am Zug. Sie müssen die Auszahlung der höheren Leistungen technisch auf den Weg bringen, damit alle Betroffenen zum 1. Januar auch wirklich die rund 50 Euro mehr auf dem Konto haben. Der zweite und weitaus umfassendere Teil der Reform startet erst ab Juli - die intensivere Betreuung der Langzeitarbeitlosen. Individuell soll künftig ausgelotet werden, welche Qualifizierung oder Umschulung Betroffene machen müssen, so dass sie wieder auf eigene Beine kommen. Gestrichen werden soll der Vorrang der Vermittlung in Arbeit - und damit der vielkritisierte "Drehtüreffekt" von Jobcenter zum Helferjob und zurück.