Regierungsbildung mit dem BSW Wie viel Wagenknecht steckt in Thüringens Koalition?
Nach vielen Querelen gibt es in Thüringen den ersten Koalitionsvertrag mit dem BSW. Die Wagenknecht-Partei konnte sich nur bedingt durchsetzen - und sieht doch einen Erfolg.
Die vielleicht entscheidende Nachricht kam aus dem Saarland. Sahra Wagenknecht ist mit dem Thüringer Koalitionsvertrag zufrieden. Damit hat die Einigung, die CDU, SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht vergangenen Freitag in Erfurt vorstellten, gute Chancen zur ersten "Brombeer"-Koalition Deutschlands zu führen.
Der Weg dahin war weit. Im Landtagswahlkampf hatte Wagenknecht mehrere "rote Linien" aufgestellt. Nach der Wahl standen die Gespräche mit CDU und BSW mindestens einmal kurz vor Abbruch - auch wegen Wagenknechts Einmischungen. Auch wurde das Thüringer BSW öffentlich von der eigenen Bundesspitze angegriffen, weil es zu leicht eigene Positionen aufgegeben hätte. Das scheint jetzt vergessen. Die Partei nennt den Vertrag den "versprochenen Neustart" für Thüringen.
Unterschiedliche Lesarten
Doch der Text weicht von dem ab, was Wagenknecht noch im Sommer zu Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung gemacht hatte. Eine Landesregierung müsse sich für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aussprechen sowie gegen Waffenlieferungen und gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, so Wagenknecht damals. Und das am besten per Bundesratsinitiative.
Mit CDU und SPD war das nur teilweise zu machen. Das Ziel einer "diplomatischen Lösung des Krieges" eine zwar die Parteien, heißt es im Koalitionsvertrag. Zu den Waffenlieferungen an die Ukraine herrschten aber "unterschiedliche Auffassungen". Der Satz zur Stationierung lautet: "Eine Stationierung und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch."
Aus Sicht von CDU und SPD beschreibt das die geltende Rechtslage. Denn die Stationierung erfolgt im Einvernehmen mit der Bundesregierung. Über den Einsatz der Waffen im Verteidigungsfall würden die USA nicht allein entscheiden. Genau Letzteres behauptet aber das BSW und spricht von einer "kritischen" Positionierung zu den Plänen. So stehen zwei Lesarten nebeneinander.
Kritik aus Bevölkerung mitnehmen
Eine künftige Thüringer Regierung wird daher kaum mit einer Stimme sprechen. BSW-Politiker könnten künftig ihre Haltung zwar als Thüringer Minister oder - im Fall von Landeschefin Katja Wolf - als stellvertretende Ministerpräsidentin in die deutsche Debatte einbringen. Mindestens aber die SPD wird sich dem nicht beugen.
Auf der Pressekonferenz vergangenen Freitag sagte der SPD-Landesvorsitzende Georg Maier, er sei weiter für Waffenlieferungen an die Ukraine. Und: "Wir in Thüringen haben so gut wie keinen Einfluss auf Außen- und Verteidigungspolitik." Der Satz zur Stationierung sei in diesem Sinne "nicht relevant". Die Parteien verzichten zudem auf eine Bundesratsinitiative.
Mitgenommen werden soll die Kritik vieler Thüringer und Thüringerinnen an der aktuellen Bundespolitik dennoch. In Bürgerräten sollen sie sich zu Krieg und Frieden, Diplomatie und Waffenlieferungen austauschen können. Der Koalitionsvertrag verspricht ihnen dazu, sich "nicht nur äußern zu können", sondern "gehört zu werden".
Änderungen bei Bildung und Verfassungsschutz
Auch auf anderen Politikfeldern soll erstmals eine BSW-Handschrift erkennbar werden. An Grundschulen soll künftig eine "Lesen-Schreiben-Rechnen-Garantie" gelten. Der Begriff stammt von der CDU. Das BSW hatte im Wahlkampf die gleiche Forderung erhoben und sich mit einem anderen Punkt durchgesetzt: Kinder sollen Handys in der Kernschulzeit nicht mehr nutzen dürfen.
Ein "Genderverbot an Schulen", von dem Sahra Wagenknecht nach der Einigung in Interviews sprach, lässt sich aus dem Vertrag allerdings nur mittelbar herauslesen. Dort heißt es: "Grundlage für den Sprach- und Schriftgebrauch an den Thüringer Schulen sind die Regeln des Rates der deutschen Rechtschreibung."
Auch dass der Thüringer Verfassungsschutz, wie vom BSW behauptet, künftig nicht mehr zum Phänomenbereich der sogenannten verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates arbeiten wird, ist im Vertrag nicht explizit festgelegt. Die Behörde beobachtet damit besonders radikale Corona-Maßnahmen-Gegner. Aus Sicht des BSW wird die unter Verfassungsrechtlern umstrittene Definition zur Einschränkung der Meinungsfreiheit genutzt.
Der finanzielle Spielraum für Herzensprojekte wie ein "Wohnungsbauprogramm 2030" soll derweil durch kreative Haushaltsführung geschaffen werden. Notlagenkredite etwa sollen künftig statt binnen 15 Jahren binnen 30 Jahren abbezahlt werden. Die jährliche Rate sinkt so.
Viele offene Punkte
So können drei ungleiche Parteien zusammenfinden. CDU-Landeschef und angehender Ministerpräsident, Mario Voigt, sagte bei der Vorstellung des Vertrags: "Viele Leute haben gesagt: Das wird nie was."
Dass es vorerst doch etwas werden könnte, liegt auch daran, dass CDU, BSW und SPD nicht nur Uneineinigkeit in einigen Bereichen dokumentieren, sondern viele Entscheidungen vertagen. Über 80 Vorhaben sollen zunächst nur "geprüft" werden.
Ein Beispiel ist der Umgang mit der Corona-Politik. Bußgeldverfahren, die noch nicht abgeschlossen sind, sollen zwar eingestellt werden. Ob es "in diesem Zusammenhang" aber ein Corona-Amnestiegesetz braucht, müsse geprüft werden. Damit fehlt eine Festlegung, ob auch bestimmte bereits gezahlte Strafen erstattet werden.
Blick auf Neuwahl im Bund
Das BSW verkauft das als Erfolg. Am Freitag verschickte die Partei eine Pressemitteilung nicht nur im Namen der beiden Landesvorsitzenden Wolf und Steffen Schütz, sondern auch von Parteichefin Wagenknecht und Generalsekretär Christian Leye.
Darin lobte man sich sogar für den Streit auf offener Bühne. "Es war gut, dass es Kritik gab", heißt es. Dadurch sei in den Koalitionsverhandlungen mehr erreicht worden.
Kein Wort dazu, dass Wolf und Schütz noch vor Wochen von gleich mehreren BSW-Spitzen angezählt wurden. Oder dazu, dass der Bundesverband kurz vor dem entscheidenden Landesparteitag neue Mitglieder in den Landesverband aufnahm, dessen Personalvorschläge dabei aber ignorierte. Bei dem nun auf Anfang Dezember geschobenen Treffen soll final über die Annahme des Vertrags abgestimmt werden.
Durch das gemeinsame Statement von Wagenknecht und Landesspitze scheint der Weg vorgezeichnet. Mit einer Ablehnung würden die Mitglieder schließlich beide brüskieren. Katja Wolf sprach auf der Pressekonferenz vielsagend vom "Besten für Thüringen, aber auch das Beste für das BSW".
Der Fokus des BSW richtet sich jetzt auf die Neuwahl im Bund. In Umfragen steht die Partei derzeit bei vier bis 7,5 Prozent. Der Einzug in den Bundestag ist keinesfalls sicher. Das BSW kann die Ruhe also gut gebrauchen.