Grüne vor Bayernwahl Mit Polizeischutz ins Bierzelt
Im Wahlkampf schlägt den bayerischen Grünen mancherorts blanker Hass entgegen. In einigen Bierzelten brauchen sie massiven Polizeischutz. Es trifft vor allem Spitzenkandidatin Katharina Schulze.
Eines möchte Katharina Schulze auf keinen Fall: Opfer sein. Deshalb lächelt die Fraktionschefin der bayerischen Grünen tapfer weiter - trotz der Pfiffe im Bierzelt. Es ist Anfang August, ein Wahlkampftermin im tiefsten bayerischen Süden. Schulze tritt hier auf, an ihrer Seite Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Im Zelt sind rund 2.500 Menschen. Im vorderen Teil viele Grünen-Anhänger, hinten wird es laut, als Schulze ans Mikrofon tritt. Viele haben Trillerpfeifen im Mund, andere buhen oder rufen "Hau ab".
Schulze lässt sich davon nicht beeindrucken, und wenn, dann zeigt sie es nicht. Sie lächelt, prostet dem gesamten Zelt zu und spricht weiter über Gleichberechtigung, die Aufwertung sozialer Berufe und Klimaschutz. Vor dem Zelt steht ein Wagen, der Tomaten, Gurken und sogar Steine zum Kauf anbietet. Humor, sagen die einen. Eine Grenzüberschreitung, sagen die anderen.
Dass so laut und so aggressiv Protest geäußert wird, ist für die 38 Jahre alte Politikerin neu. Am Tag nach dem Bierzeltbesuch zeigt sie sich schockiert. "So eine Stimmung und so einen massiven Polizeischutz habe ich noch nie erlebt." Schulze will dagegenhalten. Weitermachen, auf keinen Fall einknicken. Es ist eine für die Grünen-Politikerin typische Reaktion. Wenn ihr Wind ins Gesicht bläst, gibt sie Gas, hält verbal noch fester dagegen. Nur kein Opfer sein.
Eier, Steine und massive Beschimpfungen
Die Grünen haben im bayerischen Landtagswahlkampf viel Hass abbekommen, wahrscheinlich mehr als die anderen Parteien. Es traf nicht nur die Spitzenkandidaten. Das Auto einer Landtagsabgeordneten wird mit Eiern beworfen. In München sind Wahlplakate eines Abgeordneten mit rassistischen Bemerkungen beschmiert und angezündet worden. Auf einem zweiten Plakat sieht man eine Schusswunde mitten auf der Stirn des Politikers.
Vor Kurzem warf ein Mann bei einem Wahlkampfauftritt von Schulze und ihrem Co-Vorsitzenden Ludwig Hartmann einen Stein in deren Richtung. Hinzu kommen massive Beschimpfungen in den sozialen Netzwerken. Schulzes Ehemann, der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz, schriebt kürzlich auf X, vormals Twitter: "Ich bin einiges gewohnt an Fanpost auf Social Media. Aber was sich Frauen an menschenverachtendem Dreck anhören müssen, ist ein ganz anderes Level." Er bezog sich auf einen Post über seine Frau. Unter einem Video, in dem sie mit einem aufgebrachten Bürger über Migranten diskutiert, waren rassistische Kommentare zu lesen, in denen es unter anderem um Vergewaltigung ging.
"Krass anstrengend"
Unterhält man sich mit Schulze über diese Vorfälle, wirkt sie besorgt. Auch um ihre Familie. "Für mich ist das krass anstrengend", sagt sie. Und trotzdem: Es sei wichtig, jeden Tag die Demokratie zu schützen. Das habe sie an ihrer Schule gelernt, benannt nach dem Widerstandskämpfer Christoph Probst von der Weißen Rose. "Diese Haltung ist mein innerer Kompass", sagt Schulze.
Ihre Termine, die sie quer durch Bayern führen, verbindet Schulze, wann immer es geht, mit einem Besuch in der Lieblingseisdiele der örtlichen Abgeordneten. Eis ist ihre Leidenschaft. Regelmäßig postet sie Bilder in sozialen Netzwerken von sich mit einer Eiswaffel oder einem Eisbecher. Auch jetzt im Wahlkampf lädt sie Menschen zu einem Gespräch mit Eis ein. Oder zu einem Eis mit Gespräch. Eiscreme sei ein Eisbrecher, hat Schulze mal gesagt.
Schulze hat früher Handball gespielt. Eine Teamplayerin ist sie immer noch, jetzt in der Fraktion. Sie ist eine, die Menschen begeistern und die Fraktion zusammenhalten kann. Wenn Schulze vor die Kamera oder im Landtag ans Rednerpult tritt, tut sie das mit viel Power. Meistens lächelt sie, fuchtelt mit den Händen. Vor allem, wenn es um eines ihrer Schwerpunktthemen geht, die Innere Sicherheit. Politiker anderer Fraktionen lästern dann gern über Schulzes Eifer. Sie sei "gerne mal eines drüber", sagt ein CSU-Politiker. Und ein anderer bezeichnet sie als "Duracell-Hase, dem nie die Energie ausgeht", was vermutlich als Kompliment gemeint ist.
Das grüne Spitzenduo Ludwig Hartmann und Katharina Schulze stellt die Kampagne für die Landtagswahl in Bayern vor.
Co-Spitzenkandidat Hartmann ist der Ruhepol
Ludwig Hartmann, in der Politik der Mann an Schulzes Seite, ist ganz anders. Einer, der nicht gleich in der ersten Minute die Menschen für sich einnimmt. Der Grüne gilt bei Kollegen als einer, der tief in Themen eindringen will. Der oft nicht die große Bühne sucht, lieber in Ruhe redet. Am liebsten zu Energie- und Landwirtschaftsthemen. Bei den Bürgerdialogen, zu denen Hartmann immer wieder lädt, kann er mit seinem Wissen punkten, Zahlen referiert er aus dem Kopf.
Seit 2008 sitzt der 45-Jährige im Landtag, seit 2013 ist er einer der beiden Fraktionsvorsitzenden. Kurz davor wäre er beinahe der erste grüne Oberbürgermeister Bayerns geworden. In seiner Heimatstadt Landsberg am Lech unterlag er dem CSU-Kandidaten nur knapp. Hartmann bekam in der Stichwahl 49 Prozent.
"Wollte mich einmischen"
Dabei kam Hartmann eher zufällig zur Politik. Eine kurdische Familie sollte abgeschoben werden. Der damals 16-jährige Hartmann wollte das verhindern und organisierte eine spontane Demo vor dem bayerischen Innenministerium. Weil er damit gegen das Versammlungsrecht verstoßen hatte, musste der Jugendliche zur Strafe 16 Sozialstunden leisten. Ab da, so erzählt es Hartmann, "wollte ich mich einmischen, auf allen Ebenen".
Hartmann wurde ein Grüner, nicht erstaunlich, auch seine Eltern waren bei der Partei und kämpften unter anderem gegen Atomkraft. Als jüngster Stadtrat in Landsberg kümmerte er sich um die Jugendkultur, stritt für unabhängige Stadtwerke und gegen die Abholzung des Stadtwalds. Damals wie heute kämpft Hartmann für den Erhalt der Lebensgrundlagen. "Erfolge wie NOlympia, das Volksbegehren zum Artenschutz, die haben mir die Energie gegeben, immer weiterzumachen."
Der Wahlerfolg von 2018 schürte Erwartungen
Fragt man Hartmann nach den Unterschieden zwischen dem Wahlkampf 2018 und dem aktuellen, muss er nicht lange nachdenken: "2018 hatte uns keiner auf dem Schirm, da waren wir nicht der politische Hauptgegner der CSU. Die Leute hatten nicht so große Erwartungen an uns."
Doch mit dem Wahlerfolg der bayerischen Grünen vor fünf Jahren erlebte die Partei einen enormen Aufschwung. Viele Menschen traten in die Partei ein, wollten mitmischen und ließen sich von der Euphorie der Grünen mitreißen. Für diese Neumitglieder sei es jetzt besonders hart, erzählt Hartmann. Zum ersten Mal "bläst uns der Wind so richtig ins Gesicht". Das liege auch an der Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund. Er empfindet es als Herausforderung, mit den Menschen bei Veranstaltungen nicht nur über Bundespolitik zu sprechen, sondern das Gespräch auf bayerische Themen zu lenken.
Noch im Januar hatte Hartmann als ehrgeiziges Wahlziel "20 Prozent plus ein großes X" ausgegeben. Jetzt, kurz vor der Wahl, will er das nicht mehr wiederholen. Er wirkt ein bisschen resigniert, fast demütig.
Bei der vergangenen Landtagswahl holten die bayerischen Grünen knapp 18 Prozent. Der jüngste ARD-BayernTrend sieht sie nun bei 15 Prozent und damit weit davon entfernt, den Ministerpräsidenten stellen zu können. Auch für eine Regierungsbeteiligung sieht es schlecht aus. CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder hat Schwarz-Grün in Bayern klar ausgeschlossen.
Söder und auch Hubert Aiwanger von den Freien Wählern lassen kaum eine Möglichkeit aus, um gegen die Grünen oder gleich gegen die Ampel in Berlin auszuteilen. Ob das die Anti-Stimmung bis hin zu offenem Hass gegen die Grünen in Bayern zusätzlich befeuert oder nur die aktuelle Stimmung aufgreift, ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei.