Annalena Baerbock
analyse

Baerbock in der Golfregion Ein diplomatischer Balanceakt

Stand: 17.05.2023 17:05 Uhr

Außenministerin Baerbock tritt bei ihrem Besuch in den Golfstaaten kritisch, aber auch pragmatisch auf. Denn trotz aller Differenzen braucht der Westen Saudi-Arabien und Katar als Partner.

Eine Analyse von Claudia Buckenmaier, ARD-Hauptstadtstudio

Früh am Morgen auf der Küstenstraße, der Corniche, im saudischen Dschidda. Paare nutzen die Zeit, in der es noch nicht zu heiß ist, um am Meer spazieren zu gehen. Die Frauen meist noch immer in der schwarzen Abaya, viele mit Gesichtsschleier, obwohl Kronprinz Mohammed bin Salman die strengen Kleiderregeln in Saudi-Arabien abgeschafft hat.

Diese Bilder sieht die deutsche Außenministerin, als sie zu ihrem Antrittsbesuch in das Land am Golf kommt. Ein Besuch, bei dem Annalena Baerbock eine schwierige Gratwanderung bewältigen muss - zwischen ihren Wertevorstellungen der feministischen Außenpolitik und Gesprächspartnern, die vor Menschenrechtsverletzungen nicht zurückschrecken.

Der Machtanspruch des Kronprinzen ist überall in Dschidda präsent. An der Corniche finden sich alle paar Meter Werbescreens mit seinem Konterfei und seiner Losung für Saudi-Arabien: "Mit den Schultern unserer Söhne wird dieses Vaterland die Welt positiv überraschen." Gemeint ist die Kraft der jungen Generation, deren Zukunft er in den nächsten Jahrzehnten bestimmen will. Es sind selbstbewusste Akteure, auf die Baerbock in der Golfregion trifft.

Außenpolitik ohne erhobenen Zeigefinger

Sie entscheidet sich für die leisen Töne. Kein erhobener Zeigefinger, keine Vorhaltungen, sie balanciert zwischen Lob für Reformen und kritischen Anmerkungen. Sie wirbt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Klimapartnerschaften, wie sie die von Deutschland angestrebte Kooperation im Bereich erneuerbarer Energien nennt, und macht zugleich deutlich, dass es dafür verlässliche gemeinsame Regeln geben müsse, bei Achtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Sie lobt Fortschritte bei der Gleichberechtigung von Frauen und sagt zugleich, da gehe noch mehr, sehr wohl wissend, dass gerade diese Reformen auch purer Notwendigkeit geschuldet sind.

Bei diesem Gespräch hat sie dem saudischen Außenminister übrigens die Leitlinien der Feministischen Außenpolitik in Papierform überreicht, wie es aus Delegationskreisen heißt. Später auch dem jemenitischen Außenminister, den sie ebenfalls in Dschidda getroffen hat. Ob die Amtskollegen extra nachgefragt haben? Oder es auf Baerbocks Initiative geschah? Das Thema scheint wohl in beiden Gesprächen eine größere Rolle gespielt zu haben.

Zusammenarbeit kommt nicht zum Nulltarif

Baerbock zeigt sich in Saudi-Arabien als Pragmatikerin. Sie sieht, dass es ein Land in der Region braucht, das sich für Friedenslösungen einsetzt, wie zum Beispiel jetzt im Sudan, und nicht länger selbst Kriegspartei ist, wie im Jemen. Ein Land, das Ansprechpartner für Europa sein kann und sich nicht nur nach China und Russland ausrichtet. Dafür muss sie zeigen, dass Länder wie Deutschland bereit sind, sich auf Augenhöhe mit den Golfstaaten zu treffen, ihren Einfluss anzuerkennen. Dass das nicht zum Nulltarif kommt, wurde Baerbock schon im Vorfeld ihrer Reise deutlich gemacht.

Dass die Arabische Liga an diesem Freitag bei ihrem Treffen in Dschidda Syrien und damit auch Machthaber Assad wieder offiziell in die Runde aufnimmt, bringt sie sichtlich an ihre Grenzen. Sie habe betont dass die deutsche Regierung eine andere Position einnehme. Es dürfe keine Normalisierung geben. Das wiederholt sie immer wieder.

Weiter geht sie in offiziellen Statements nicht, aber Unmut und Unverständnis sind ihr anzumerken. Die Aufnahme in die Arabische Liga ist das eine, aber dass Assad von den Vereinigten Arabischen Emiraten auch bereits zur Klimakonferenz im November eingeladen wurde, ist für viele Europäer zumindest höchst irritierend.

Wie weiter umgehen mit Syrien?

Der Besuch in der Golfregion führt Baerbock vor Augen, dass sie sich nicht unbedingt auf vermeintliche Gewissheiten verlassen kann. Bisher haben die Golfstaaten immer in den Vereinten Nationen für die Verurteilung Russlands gestimmt. Sie standen an der Seite des Westens - aber wird das halten, wenn Syrien, das nach wie vor von Russland unterstützt wird, wieder hoffähig wird? Auch der Einfluss Chinas in der Region manifestiert sich immer stärker, spätestens seit China Gespräche zwischen Saudi-Arabien und Iran vermittelt hat, in der Hoffnung auf einen Durchbruch für Friedensverhandlungen im Jemen.

Anders als bei den Besuchen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im vergangenen Jahr standen dieses Mal nicht die Gespräche über Energiepolitik im Vordergrund. Das Thema wurde angesprochen, aber wichtiger waren die Krisen in der Region, im Sudan und im Jemen. Und da warb Baerbock um eine gemeinsame Linie mit Saudi-Arabien und mit Katar. Auch wenn es um den Zugang zu humanitärer Hilfe für die Länder geht. Für Deutschland als eines der wichtigsten Geberländer in beiden Staaten von großer Bedeutung.

In Bezug auf den Umgang mit Syrien sagt Baerbock, sie könne die Position der Nachbarländer verstehen. Sie betont allerdings auch, dass es für Deutschland entscheidend wäre, einen anderen Weg zu verfolgen.

Da ist es wieder, das "sowohl-als-auch". Ein diplomatischer Balanceakt, der die Tage am Golf prägt. Auch in Katar, wo es darum geht, die Beziehungen wieder zu verbessern - nach der deutlichen Kritik aus Deutschland an den Arbeitsbedingungen für Migranten im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft.

Wie Baerbock der Spagat gelingt, ist schwer zu sagen. Bei den meisten Treffen dürfen Journalistinnen und Journalisten nicht dabei sein. Eine gemeinsame Pressekonferenz gab es nur in Katar, nicht aber in Saudi-Arabien.

Doch die Körpersprache der Ministerin verrät etwas, wie sie ihre Rolle hier am Golf versteht. Baerbock begrüßt den Emir im Palast von Doha mit freundlichem Lächeln und ausgestreckter Hand. Das wirkt selbstbewusst. Ihr Parteifreund Robert Habeck hatte sich bei seinem Besuch in Katar noch vor dem Handelsminister verbeugt. Kritiker sahen darin eine Geste der Unterwerfung. Baerbock scheint so etwas nicht in den Sinn zu kommen.

Björn Dake, ARD Berlin, zzt. Doha, tagesschau, 17.05.2023 17:40 Uhr