AKW-Debatte Wie der Atomausstieg umgesetzt werden soll
Am Samstag sollen die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen - und noch einmal flackert die Debatte auf. Wer fordert gerade was? Was sagen die Befürworter? Und wie schaltet man eigentlich einen Meiler ab?
Die Ausgangslage
Noch einmal gab es einen Aufschub, doch jetzt soll es wirklich ein Ende haben: Am 15. April werden die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Die Meiler "Neckarwestheim 2", "Isar 2" und "Emsland" gehen vom Netz. Obwohl Wirtschaftsminister Robert Habeck am Wochenende klar gemacht hat, dass er den Ausstieg als unumkehrbar sieht, kocht kurz vor dem Termin erneut die Debatte hoch. Die FDP sieht die Energiesicherheit bedroht. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen. Und der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, spricht gar von einem "schwarzen Tag für den Klimaschutz".
Was passiert am 15. April?
Für die Atomkraftwerke "Isar 2", "Neckarwestheim II" und "Emsland" endet die sogenannte Berechtigung zum Leistungsbetrieb. Das heißt: Die Anlagen werden abgeschaltet, die Stromproduktion ist beendet. Die Betreiber sind nun auch verpflichtet, die Anlagen abzubauen. Zuletzt war nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz ein zusätzlicher "Streckbetrieb" für die drei AKW erlaubt worden - der läuft nun aber aus.
Wie werden die Meiler abgeschaltet?
Die Leistung des Reaktors wird kontinuierlich abgesenkt. Dabei werden schrittweise sogenannte Steuerstäbe in den Reaktorkern eingefahren. Danach wird der Generator vom Stromnetz genommen und der Reaktor komplett abgeschaltet. Dann erst beginnt die eigentliche Arbeit: Die hochradioaktiven Brennelemente werden entfernt und für einige Jahre in ein Abklingbecken gebracht. Anschließend werden sie in sogenannten Castorbehältern in Zwischenlagern aufbewahrt. In Deutschland gibt es 16 Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle.
Was sagen Kritiker?
Der Krieg gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, wie fragil die Energieversorgung in Deutschland ist. Die DIHK sieht die Versorgungssicherheit "noch nicht über den Berg" und will etwa deshalb Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterlaufen lassen. Deutschland sei auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen, mahnt etwa DIHK-Präsident Peter Adrian in der "Rheinischen Post". Nur so könnten in den kommenden Monaten Versorgungsengpässe und eine erneute massive Steigerung der Energiepreise vermieden oder zumindest abgemildert werden. Ausfälle oder Einschränkungen bei der Energieversorgung seien für Deutschland ein bislang unbekanntes Risiko und ein Standortnachteil.
Spahn kritisiert hingegen, dass als Ersatz für die fehlenden vier Gigawatt Leistung aus der Kernenergie Kohlemeiler am Netz blieben und Kohlendioxid ausstoßen würden. Spahn forderte eine Laufzeitverlängerung der letzten drei AKW bis mindestens Ende 2024. "Kohlekraftwerke sollten vom Netz, Kernkraftwerke sollten laufen - denn die sind sicher und klimaneutral."
Laut CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gebe es jetzt noch die Möglichkeit, für die drei verbliebenen Meiler neue Brennstäbe zu bestellen, um sie dann im kommenden Winter bei hohem Energiebedarf wieder ans Netz gehen zu lassen. "Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, die notwendige Entscheidung zur Brennstoffbeschaffung zu treffen, damit wir im nächsten Winter keine Blackouts erleben", sagte er.
Und die Befürworter?
"Wir haben die Lage im Griff", sagt Habeck. Er verweist auf die hohen Füllstände in den Gasspeichern, die neuen Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten und mehr erneuerbare Energien. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) erwartet trotz des Atomausstiegs perspektivisch sogar sinkende Strompreise. "Der Strompreis wird natürlich günstiger werden, je mehr Erneuerbare wir haben", sagte sie dem MDR. Atomkraft dagegen sei "teuer, sowohl in der Herstellung, in der Produktion, als auch danach."
Wäre ein Kurswechsel möglich?
Das ist unwahrscheinlich. Kanzler Scholz hat im Oktober nach langer Debatte von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und dem Streit ein Ende gesetzt. Neue Argumente sind seitdem nicht hinzugekommen. Für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ist es rechtlich klar: Das Ende der Laufzeit ist im Atomgesetz festgelegt. "Eine Stromproduktion über dieses Datum hinaus wäre gesetzeswidrig", teilt ein Sprecher mit. "Das Bereithalten der Atomkraftwerke als Reserve wäre ein Verstoß gegen das Atomgesetz und für die Unternehmen wohl auch wirtschaftlich nicht vertretbar, weil mit den genannten Stillstands- und Abbaumaßnahmen erhebliche Kostenreduzierungen verbunden sind", so der Sprecher.
Gibt es inzwischen ein Endlager für die radioaktiven Abfälle?
Nein. Es wird weiterhin nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle gesucht. In den 1970er-Jahren hatten die politischen Entscheidungsträger das niedersächsische Bergwerk Gorleben ohne Mitbestimmung der Bevölkerung als Endlager-Standort festgelegt - und damit große Proteste ausgelöst. 2017 wurde ein neues Verfahren dafür gestartet, um die Öffentlichkeit einzubeziehen. Doch es bleibt eine Mammutaufgabe.
Immerhin für schwach- und mittelradioaktive Abfälle scheint ein Endlager gefunden zu sein: Das ehemalige Eisenerzbergwerk in Salzgitter, Schacht Konrad, ist dem Bundesamt für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE) zufolge das erste nach Atomrecht genehmigte Endlager für diesen Zweck. Es soll 2027 in Betrieb gehen.
Was passiert nach der Abschaltung mit dem Gelände eines AKW?
Atomkraftgegner fordern immer wieder "blühenden Wiesen", die nach dem Abbau eines Kernkraftwerks das Land wieder in seinen natürlichen Zustand zurückbringen sollen. Doch das ist nicht so leicht. Denn das Gebäude kann nicht einfach abgerissen werden, solange sich radioaktive Elemente darin befinden.
Wurden die Brennelemente entfernt, sind die Aktivitätsmengen jedoch nur noch gering - beispielsweise, wenn der Reaktordruckbehälter selbst radioaktiv geworden ist. Das BASE rechnet mit rund 15 Jahren für den Abbau eines Meilers, bis er aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen werden kann. Hinzu kommen noch etwa zwei Jahre für den Abriss der Gebäude. Nach der Planung des Betreibers RWE wird die Anlage Emsland beispielsweise im Jahr 2037 nachweislich frei von jeder Radioaktivität sein.
Gibt es Vorbilder bei der Stilllegung von Meilern?
Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien zählte 2021 zwar weltweit 198 abgeschaltete oder in Stilllegung befindliche Atomkraftwerke, doch nur bei 20 davon ist die Stilllegung schon komplett abgeschlossen. In einigen Ländern fehlen noch die Ressourcen und Strukturen dafür. So werden beispielsweise auch in Schweden, Finnland oder der Schweiz nach Endlagern im Untergrund gesucht. Dem Umweltministerium zufolge gibt es in Europa und weltweit noch kein betriebsbereites Endlager für hochradioaktive Abfälle aus der friedlichen Nutzung der Atomenergie.
Wer bezahlt das alles?
Der Atomausstieg wird kostspielig - so viel steht fest. Eine Kommission hat die Gesamtkosten unter anderem für Stilllegung und Rückbau der Meiler sowie die Transporte und die Lagerung der Abfälle auf 48,8 Milliarden Euro geschätzt. Daraufhin wurde ein Fonds eingerichtet, in den die Betreiber der Atomkraftwerke einzahlen mussten. Aus diesem Betrag soll die Zwischen- und Endlagerung bezahlt werden. Die Energieversorger sind auch für die Kosten von Stilllegung und Rückbau der Meiler verantwortlich. RWE zufolge schwanken die Kosten für den Nachbetrieb und Rückbau eines Kernkraftwerks je nach Größe, Alter und Betriebsstunden der Anlagen zwischen 500 Millionen und eine Milliarde Euro.