Sondersitzungen am 30. Dezember Bundestag will sich mit Anschlag befassen
Nach dem Anschlag in Magdeburg wird über mögliche Versäumnisse der Behörden diskutiert. Dazu will auch der Bundestag noch vor Silvester beraten. Innenministerin Faeser will die vorherigen Hinweise auf den Täter untersuchen.
Der Bundestag will sich noch in diesem Jahr mit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg befassen. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios sollen sich der Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium - das die Nachrichtendienste kontrollieren soll - am 30. Dezember mit der Sicherheitslage in Deutschland beschäftigen.
"Zwei Tage nach der fürchterlichen Tat kommen immer mehr Details über den Täter ans Licht, die nicht ins Schema X passen, sondern noch Fragen an die Sicherheitsbehörden in Bund und in Sachsen-Anhalt aufwerfen", erklärte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Aus seiner Sicht sollten bei den Sondersitzungen von Innenausschuss und Kontrollgremium neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser auch die Präsidenten von Bundesnachrichtendienst (BND), Verfassungsschutz und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorgeladen werden.
Dokument zeigt schriftliche Gefährderansprache
Wie MDR-Recherchen zeigen, übermittelte die Magdeburger Polizei Taleb A. noch im vergangenen Jahr eine schriftliche Gefährderansprache. Zuvor hatte die Polizei eingeräumt, dass eine geplante Gefährderansprache nicht durchgeführt werden konnte, da man Taleb A. nicht angetroffen habe. Ob es erst zum Versuch einer persönlichen Gefährderansprache kam und danach das Schreiben versendet wurde, ist derzeit unklar. Ebenso unklar ist, ob das Gefährderanschreiben von Taleb A. unterzeichnet und zurückgesendet wurde.
Eine Gefährderansprache können Polizeibehörden vornehmen, wenn Menschen noch nicht straffällig geworden sind. Dafür müssen konkrete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen könnte.
Die schriftliche Gefährderansprache liegt dem MDR vor.
Faeser will Hinweise auf Taleb A. untersuchen
Faeser kündigte nach dem Anschlag zusätzliche Ermittlungen an, um herauszufinden, welche Behörden zuvor Hinweise auf den Täter hatten. "Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden laufen auf Hochtouren", erklärte sie in einer Mitteilung. Daran sei auch das Bundeskriminalamt beteiligt, "jeder Stein" werde durch die Behörden umgedreht. "Die Ansichten und Äußerungen, die der Täter kundgetan hat, werden ebenso untersucht wie die Hinweise und Verfahren, die es bei verschiedenen Behörden und der Justiz gab." Daraus müssten dann die richtigen Schlüsse gezogen werden.
So hatte etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach eigenen Angaben einen Hinweis zu dem Täter erhalten. Die Nachricht sei im Spätsommer letzten Jahres über die Social-Media-Kanäle eingegangen, erklärte das BAMF. "Dieser wurde, wie jeder andere der zahlreichen Hinweise auch, ernst genommen." Da das Bundesamt aber keine Ermittlungsbehörde ist, sei die hinweisgebende Person, wie in solchen Fällen üblich, direkt an die verantwortlichen Behörden verwiesen worden, hieß es.
"Was Sicherheitsexperten da aber auch immer wieder sagen: Es gibt eine Vielzahl von radikalen Äußerungen im Netz", erklärte ARD-Korrespondentin Nadine Bader in Berlin. "Es ist schwer nachzuvollziehen, ob eine Person sich nur im Netz radikalisiert oder ob es dann auch zu so schlimmen Taten wie in Magdeburg kommt."
BKA-Chef Münch: "Völlig untypisches Muster"
Auch das Bundeskriminalamt hatte im November 2023 einen Hinweis aus Saudi-Arabien zu dem Mann bekommen. Der Chef des BKA, Holger Münch, sagte am Samstagabend im ZDF, es sei auch ein Verfahren eingeleitet worden. "Die Polizei in Sachsen-Anhalt hat dann auch entsprechende Ermittlungsmaßnahmen vorgenommen." Die Sache sei aber unspezifisch gewesen.
"Er hat auch verschiedene Behördenkontakte gehabt, Beleidigungen, auch mal Drohungen ausgesprochen. Er war aber nicht bekannt, was Gewalthandlungen angeht", sagte Münch zu dem Verdächtigen. Wie der Spiegel berichtet, hatte Taleb A. in Tweets gedroht, Deutschland werde einen "Preis" zahlen für seinen Umgang mit saudi-arabischen Flüchtlingen. Diese Dinge müssten aber nochmal überprüft werden, um zu schauen, ob den Sicherheitsbehörden etwas durchgegangen sei, so Münch. "Wir haben hier ein völlig untypisches Muster, und wir müssen das auch in Ruhe jetzt auch analysieren."
Bericht über mehrere Geldstrafen
Nach Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios soll der Mann bereits vor mehr als zehn Jahren auffällig gewesen sein. Aus Ermittlungskreisen hieß es, dass er 2013 vom Amtsgericht Rostock wegen der Androhung von Straftaten zu 90 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilt worden sei. Bei dem späteren Asylverfahren habe die Verurteilung aber nicht zu einer Ablehnung seines Antrags geführt.
In Berlin wurde laut Spiegel gegen A. wegen des Missbrauchs von Notrufen ermittelt. Als Strafe wurde er zu 20 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Am Tag vor dem Magdeburger Anschlag sollte über einen Einspruch von A. dagegen verhandelt werden, bestätigte die Staatsanwaltschaft dem Spiegel. Er sei aber nicht erschienen und der Einspruch verworfen worden.
Laut Spiegel ist A. im November und Dezember mehrfach nach Magdeburg gefahren und hat sich dort in der Innenstadt in einem Hotel eingemietet. Er habe sich dort möglicherweise auf den Anschlag vorbereitet, berichtete das Magazin unter Berufung auf Sicherheitskreise.
Streit mit Zentralrat der Ex-Muslime
Außerdem hatte A. in den vergangenen Jahren Konflikte mit dem Zentralrat der Ex-Muslime. Der aus Saudi-Arabien stammende Arzt habe den Zentralrat und die angeschlossene Säkulare Flüchtlingshilfe "seit Jahren terrorisiert", erklärte die Vorsitzende der Organisation, Mina Ahadi. Der Mann habe die Ausrichtung des Zentralrats und der Flüchtlingshilfe kritisiert und einzelne Aktive öffentlich diffamiert. Diese hätten sich juristisch dagegen gewehrt und im August 2023 vor Gericht erstritten, dass der saudische Arzt die Verleumdungen unterlassen musste.
Als sich in der Berufungsverhandlung Ende Oktober 2024 eine Niederlage für ihn abgezeichnet habe, habe er in einer Wutrede vor Gericht ausgeführt, dass er Europa vor der Islamisierung retten werde, wozu die deutschen Gerichte nicht in der Lage seien. Eine Mitarbeiterin der Säkularen Flüchtlingshilfe habe zudem bereits 2023 Strafanzeige gegen den Mann eingereicht wegen seiner Posts auf der Plattform X, in denen er unter anderem die deutsche Polizei als "Treiber des Islamismus in Deutschland" bezeichnet habe.
Eine Ausnahme machen wir dann, wenn die Täterschaft gut belegt ist. So ist es auch im Fall des Anschlags von Magdeburg. Hier ereignete sich die Tat in der Öffentlichkeit. Taleb A. wurde festgenommen, nachdem er aus dem Tatfahrzeug ausgestiegen war. Deshalb sprechen wir künftig von Taleb A. als Täter und Todesfahrer und verzichten auf den Zusatz "mutmaßlich".
Auch der Pressekodex sieht dieses Vorgehen vor. In Richtlinie 13.1 heißt es dazu: "Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn (...) er die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind."