Christian Lindner
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Krise der Ampelkoalition Die FDP spielt weiter offen mit dem Bruch

Stand: 05.11.2024 19:45 Uhr

SPD, Grüne und FDP mussten schon so manche Krisen bewältigen. Doch noch nie standen sie so nah am Abgrund wie in dieser Woche. Besonders die FDP spielt offen mit dem Ende der Ampelkoalition.

Eine Analyse von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Christian Lindner lächelt an diesem Dienstagnachmittag im Bundestag. Die umstehenden Reporter begrüßt er mit Handschlag. Es wirkt fast so, als hätte er nicht am vergangenen Freitag mit seinem "Grundsatzpapier" eine kleine Bombe in die ohnehin schon strauchelnde Ampelkoalition gelegt.

18 Seiten, die es in sich haben. Wie etwa der Vorschlag, die gemeinsamen Klimaschutzpläne um fünf Jahre zu verschieben, eine niedrigere Unternehmensteuer oder Anpassungen beim Bürgergeld und der Rente. "Das ist kein Arbeitspapier, das ist ein völlig neues Arbeitsprogramm, also nichts anderes als ein neuer Koalitionsvertrag", heißt es aus Grünen-Kreisen.

Fast unmögliche Forderungen

Weniger Klimaschutz, weniger Sozialpolitik: Lindners FDP verlangt etwas, womit sich Grüne und SPD bei ihren Hauptthemen mehr oder weniger selbst entkernen müssten. "Die Lage des Landes duldet kein Nichtstun“, entgegnet der Finanzminister. "Die Grünen empfinden meine Vorschläge als Provokation. Viele aus der Wirtschaft und Wissenschaft finden sie dagegen sinnvoll für Wachstum und Arbeitsplätze."

Gegenvorschläge seien willkommen, so Lindner. Einen hat erst gestern der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck gemacht: Er gab die Zehn-Milliarden-Euro-Förderung für das Intel-Werk in Magdeburg frei, um die Lücke im Haushalt etwas abzufedern. "Jeder muss einen halben Meter gehen, der es auch den anderen ermöglicht, diesen halben Meter zu gehen", so Habeck. Doch die FDP zeigt sich unbeeindruckt - und spielt weiter offen mit dem Ende der Koalition.

Opposition in der Koalition

Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, nennt Habecks Angebot schlicht "folgerichtig". Geld, das man nicht habe, könne man nicht einfach ausgeben. Er wünsche sich im Übrigen pragmatische und fundierte Vorschläge von Habeck. Das heißt übersetzt: Bislang seien solche Vorschläge von Seiten der Grünen nicht gekommen.

Ob die Koalition diese Woche überstehen wird? Diese Frage lässt Dürr unbeantwortet. Die FDP hat bereits zweimal eine Regierung verlassen: In den 1960er-Jahren und 1982.

Der Moment, als Christian Lindner 2017 die Koalitionsverhandlungen mit Union und Grünen platzen ließ, ist auch heute noch bei einigen präsent. Viele Grüne trauen Lindner auch den Koalitionsbruch zu und sprechen von einem gewissen "Destruktionspotenzial" der FDP.

Die FDP steht seit Monaten mit dem Rücken zur Wand. Je schlechter ihre Umfragewerte wurden, desto lauter und parteifixierter schienen ihre Forderungen. Angefangen etwa beim Heizungsgesetz. Aber auch in der Migrationspolitik waren es die Liberalen, die SPD und Grüne angetrieben haben, als es zum Beispiel um die Bezahlkarte für Geflüchtete ging.

In Wahlerfolgen materialisiert hat sich dieser harte Kurs nicht - im Gegenteil. Das Ansehen der Ampel-Regierung ist historisch schlecht. Die FDP müsste bei Neuwahlen um den Wiedereinzug in den Bundestag fürchten und auch bei einem knappen Einzug würde sie wahrscheinlich ihre aktuelle Stärke kaum erreichen können.

Die nächsten Gespräche

Mit dem künftig geltenden Wahlrecht fallen für alle ohnehin schon mehr als 100 Sitze weg. Nicht alle FDP-Abgeordneten dürften daher hinter dem Lindner-Kurs stehen. "Koalitionen sind nicht einfach. Regieren ist nicht einfach. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt", schrieb etwa FDP-Verkehrsminister Volker Wissing am Wochenende in den sozialen Netzwerken. "Eine lebendige Demokratie verfolgt nicht das Ziel, einseitig Interessen gegen andere durchzusetzen." Es liest sich wie eine Mahnung - vor allem an die eigenen Leute.

Am Mittwoch sollen nun die Gespräche weitergehen. Bundeskanzler Olaf Scholz, der Montag und Dienstag mit Lindner und Habeck zusammengesessen hat, sprach heute von Handlungsoptionen. Man könne sich einigen. Er fügt hinzu: "Wenn man will." Aber ob man will - das ist eine Frage, die möglicherweise nur die FDP beantworten kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 05. November 2024 um 20:00 Uhr.