Aiwanger im Koalitionsausschuss Showdown in München
Wegen der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit des bayerischen Vizeregierungschefs Aiwanger tagt in München der Koalitionsausschuss. Wenige Wochen vor der Landtagswahl bringt der Skandal auch Ministerpräsident Söder in die Bredouille.
Es ist ein Politbeben in Bayern, welches die Koalition von CSU und Freien Wählern auf die Probe stellt - sechs Wochen vor der Landtagswahl. Wegen eines antisemitischen Flugblatts muss sich Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler, in einer Sondersitzung vor dem Koalitionsausschuss erklären.
Ministerpräsident Markus Söder hat die Freien Wähler nach Angaben der Staatskanzlei zu der Sitzung "einbestellt". Aiwanger soll dort offene Fragen beantworten und persönlich Stellung nehmen. Der CSU-Vorsitzende wird im Anschluss wohl schnell Farbe bekennen müssen, wie sich seine Partei und er persönlich nun verhalten.
Schwierige Lage für Söder
Denn auch für Söder geht es um viel. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte bislang stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt auch fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.
Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er-Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf gestand Aiwangers älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Druck aus Berlin und aus der Opposition
Diese Erklärungen reichen Söder aber bislang noch nicht aus. Seinen Staatskanzleichef Florian Herrmann hatte Söder ausrichten lassen, die Vorwürfe gegen Aiwanger seien "zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt." Aiwanger müsse sich "über die schriftliche Stellungnahme hinaus persönlich und umfassend erklären." Es gehe "um das Ansehen Bayerns", so Herrmann.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf Aufklärung. "Unabhängig davon, wer dieses Flugblatt verfasst und verbreitet hat: Es handelt sich da wirklich um ein furchtbares, menschenverachtendes Machwerk" sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. "Das muss aus Sicht des Bundeskanzlers auch alles umfassend und sofort aufgeklärt werden und müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben."
Vizekanzler Robert Habeck sagte im ARD-Morgenmagazin, der Fall sei zwar viele Jahre her, doch "besonders einsichtig scheint mir das alles nicht zu sein." Wenn man das kombiniere mit dem, "was Herr Aiwanger sonst so von sich gibt, ist da ein Problem", so Habeck. Das könne man nicht ignorieren. "Es geht also sehr direkt an den Ministerpräsidenten, der sich diese Frage auch stellen muss." Aus Habecks Sicht sei "dieser Mensch nicht mehr im Kabinett tragbar."
Versucht Söder auf Zeit zu spielen?
Söder beschert der Fall Aiwanger also ein ziemliches Dilemma: Sollte er die Koalition auflösen, liefe er Gefahr, dass die Freien Wähler in der heißen Phase des Wahlkampfs Front gegen die CSU machen könnten. Zudem würde sich eine neue Koalitionsfrage stellen. Ein Bündnis mit den Grünen hat Söder aber klar ausgeschlossen - auch gestern wieder.
Der Koalitionspartner mag es ihm "nicht ganz leicht machen", sagte Söder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Landshut. Aber "ich möchte eine bürgerliche Koalition in Bayern eindeutig behalten. Und ich möchte keine Grünen in der bayerischen Staatsregierung." Auch eine Koalition mit der SPD ist unwahrscheinlich.
"Sehr, sehr dünne Beweislage"
"Für einen Rauschmiss Aiwangers ist die Beweislage sehr, sehr dünn. Bislang steht ja nur fest, dass er diese Flugblätter im Schulranzen hatte", sagte BR-Korrespondentin Astrid Halder im ARD-Morgenmagazin. "Diese Beweislage könnte nicht reichen." Auch den Wählern könne man unter diesen Umständen nur schwer erklären, warum Aiwanger dann nicht weitermachen dürfe, so Halder. "Gleichzeitig ist dieser Antisemitismusvorwurf in der bayerischen Staatsregierung natürlich auch brandgefährlich." Es sei deshalb durchaus denkbar, dass Söder nun versuche auf Zeit zu spielen und Aiwanger ein neues Ultimatum setze.
"Söder ist derjenige, der die Entscheidungen treffen muss", sagte SPD-Chefin Esken dem TV-Sender Welt. "Wenn Hubert Aiwanger selbst nicht dazu in der Lage ist, dann muss es der Regierungschef tun." Auf die Nachfrage, ob Söder seinen Vize-Regierungschef Aiwanger bei Bedarf auch zum Rücktritt auffordern müsse, sagte Esken: Wenn Aiwanger keine "Einsicht in sein Fehlverhalten" habe, müsse der Ministerpräsident dafür sorgen, dass seine Regierung nicht in Misskredit gerate.
Der ehemalige Bundes- und Landesvorsitzende der Freien Wähler, Armin Grein, glaubt jedoch nicht an eine Entlassung Aiwangers. "Ich glaube auch, dass Söder das irgendwie schlucken muss. Er kann auch den Aiwanger jetzt nicht demissionieren, weil sonst seine ganze Regierung zusammenbricht", sagte er dem Bayerischen Rundfunk.