Ruf nach Aufklärung Aiwangers Erklärungen reichen Söder und Scholz nicht
Der Druck auf Bayerns Vize-Regierungschef Aiwanger in der Affäre um eine Hetzschrift aus seiner Jugendzeit reißt nicht ab. In München wartet Ministerpräsident Söder auf weitere Antworten. Heute muss sich Aiwanger in einem Koalitionsausschuss erklären.
Die schriftliche Erklärung, die Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt abgegeben hat, reicht den Regierungsspitzen in München und Berlin nicht aus: Bayerns Regierungschef Markus Söder, der mit Aiwangers Freien Wählern eine Regierung bildet, berief für heute eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses ein.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf Aufklärung. "Unabhängig davon, wer dieses Flugblatt verfasst und verbreitet hat: Es handelt sich da wirklich um ein furchtbares, menschenverachtendes Machwerk" sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. "Das muss aus Sicht des Bundeskanzlers auch alles umfassend und sofort aufgeklärt werden und müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben."
"Es bleiben viele Fragen offen"
In Bayern steht am 8. Oktober eine Landtagswahl an. Das macht den Fall Aiwanger für Söder besonders heikel: Er hatte bislang stets erklärt, mit den Freien Wählern weiterregieren zu wollen. Die CSU habe Aiwangers Erklärung vom Samstag zur Kenntnis genommen, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann. "Aber es bleiben viele Fragen offen." Diese könne nur Aiwanger persönlich beantworten. "Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht."
Die Vorwürfe seien "zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt." Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus "persönlich und umfassend erklären". Es gehe um das "Ansehen Bayerns".
Opposition macht Druck auf Söder
Söder, der Aiwanger am Samstag zu einer raschen Aufklärung gedrängt hatte, hatte sich am Sonntag nicht mehr zu dessen Erklärungen geäußert. Die Landtags-Opposition hatte den Druck auf Söder deshalb massiv erhöht. Grüne, SPD und FDP forderten vom Regierungschef eine zügige Stellungnahme zu dem Fall. Je nachdem, wie diese ausfällt, wollen die drei Oppositionsfraktionen dann über einen möglichen Antrag auf eine Sondersitzung im Landtag entscheiden.
Freie Wähler fordern Aufklärung
Auch innerhalb der Freien Wähler, deren Bundesvorsitzender Aiwanger ist, wird Kritik laut. Die Freien Wähler Rheinland-Pfalz fordern von Aiwanger Aufklärung. Parteichef Stephan Wefelscheid sagte dem SWR, das Flugblatt sei widerlich und abstoßend. Für Aiwanger gelte allerdings die Unschuldsvermutung. Sollte Aiwanger an der Erstellung oder Verbreitung des antisemitischen Flugblatts mitgewirkt haben, könne er weder Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl noch stellvertretender Ministerpräsident von Bayern bleiben, so Wefelscheid. Außer in Bayern sind die Freien Wähler nur in Rheinland-Pfalz mit einer Fraktion im Landtag vertreten.
"Ein oder wenige Exemplare" in der Schultasche
Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er-Jahren das Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Ob er es auch weitergegeben habe, sei ihm nicht erinnerlich. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", hieß es in der Erklärung. Kurz darauf gestand Aiwangers ein Jahr älterer Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Die "SZ" hatte in ihrer Samstagsausgabe unter Berufung auf Augenzeugen, die anonym bleiben wollten, berichtet, Aiwanger sei als Urheber des Pamphlets zur Verantwortung gezogen worden. Er war damals in der elften Klasse. Demnach traf sich deswegen der Disziplinarausschuss der Schule. Aiwanger habe seine Urheberschaft nicht bestritten und sei "bestraft worden".
Aiwanger wollte sich heute nicht persönlich zu dem Fall äußern. "Das ist jetzt nicht die aktuellste Thematik", sagte er zu wartenden Journalisten bei einem Termin in Miltenberg. Auf die Frage, ob er damals das Flugblatt verteilt habe, entgegnete er: "Nächste Frage." Er sage zu der gesamten Thematik "derzeit nichts mehr".