Nach Koalitionsausschuss Söder hält vorerst an Aiwanger fest
Bayerns Ministerpräsident Söder hält vorerst an Vizeregierungschef Aiwanger fest, erhöht aber den Druck. Der Freie-Wähler-Chef solle für eine abschließende Bewertung in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt 25 Fragen schriftlich beantworten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erhöht in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt den Druck auf seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger. Der Freie-Wähler-Chef solle einen Katalog mit 25 Fragen schriftlich beantworten, sagte Söder nach Beratungen im Koalitionsausschuss in München. Eine Frist zur Beantwortung der Fragen nannte er nicht.
Aiwanger habe zugesagt, die Fragen zu beantworten. Erst danach könne man den Fall abschließend bewerten, sagte Söder. Es dürfe keinen Restzweifel geben. Die bisherigen Aussagen Aiwangers hätten dafür nicht ausgereicht. Es hätten sich mehr Fragen ergeben. Aiwanger sei zudem bereit, Einblick in Schulakten zuzulassen, falls es diese noch geben sollte.
"Keine bloße Jugendsünde"
Bis zur abschließenden Bewertung wäre eine Entlassung aus dem Amt eines Staatsministers aber "ein Übermaß", sagte Söder. Das sei aber kein Freispruch oder Freibrief. Söder verurteilte den Vorfall insgesamt aufs Schärfste. "Das Hetzflugblatt ist ekelhaft", sagte er, "das ist nicht nur ein dummer Jugendstreich oder eine bloße Jugendsünde".
Der CSU-Chef machte außerdem klar, dass er die Koalition fortsetzen wolle. Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern habe sich bewährt. "Koalitionen hängen nicht an einer einzigen Person", so Söder.
Auch die Landtags-CSU will die Koalition grundsätzlich fortsetzen. Ein schwarz-grünes Bündnis wurde bei Online-Beratungen des erweiterten CSU-Fraktionsvorstandes am heutigen Dienstagmorgen ausgeschlossen, wie die Nachrichtenagentur dpa von Teilnehmern erfuhr. Allerdings gab es in der Runde demnach ebenfalls den Ruf nach weiterer Aufklärung.
Aiwanger selbst und die Freien Wähler äußerten sich bislang öffentlich nicht zum Verlauf der Sitzung.
Opposition strebt Sondersitzung des Landtags an
Die drei Oppositionsfraktionen SPD, Grüne und FDP streben nun eine Sondersitzung des Landtags in München an. Bei der Sondersitzung solle der sogenannte Zwischenausschuss zusammenkommen. Der Zwischenausschuss behandelt unter anderem nach der letzten Plenarsitzung vor Wahlen dringliche Angelegenheiten. Nur ein Teil der Landtagsabgeordneten sind Mitglied des Gremiums.
FDP-Fraktionschef Martin Hagen sagte: "Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger sind keine exklusive Sache zwischen CSU und Freien Wählern." Die Erklärung des Ministerpräsidenten reiche nicht aus. Die Vorwürfe gegen Aiwanger beträfen "ganz Bayern", weshalb die Angelegenheit nicht von CSU und Freien Wählern "hinter verschlossenen Türen verhandelt werden" dürfe. Aiwanger müsse daher dem Landtag "Rede und Antwort stehen".
Grünen-Landtagsfraktionschef Ludwig Hartmann ergänzte: "Söder duckt sich weg. Anstatt Konsequenzen zu ziehen, will er lieber weiter mit einem Stellvertreter regieren, der größte Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung hinterlässt." Das schade dem Ansehen Bayerns.
Aiwangers Bruder hatte Urheberschaft eingeräumt
Der 52-jährige Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten in den 1980er-Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden.
Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben. Später sagte er mit Blick auf die Exemplare in Hubert Aiwangers Schultasche, er glaube, dass sein Bruder die Flugblätter wieder habe einsammeln wollen. Söder reichen diese Erklärungen aber bislang nicht aus.
Schwierige Lage für Söder
Für Söder geht es um viel. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte bislang stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Das betonte er auch gestern Abend wieder bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Alle Umfragen hatten bis zuletzt auch fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies möglich sein wird - wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit 2018 zusammen mit den Freien Wählern.
Druck aus Berlin
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte auf Aufklärung gedrungen. "Unabhängig davon, wer dieses Flugblatt verfasst und verbreitet hat: Es handelt sich da wirklich um ein furchtbares, menschenverachtendes Machwerk" sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner. "Das muss aus Sicht des Bundeskanzlers auch alles umfassend und sofort aufgeklärt werden und müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben."
Vizekanzler Robert Habeck sagte im ARD-Morgenmagazin, der Fall sei zwar viele Jahre her, doch "besonders einsichtig scheint mir das alles nicht zu sein." Wenn man das kombiniere mit dem, "was Herr Aiwanger sonst so von sich gibt, ist da ein Problem", so Habeck. Das könne man nicht ignorieren. "Es geht also sehr direkt an den Ministerpräsidenten, der sich diese Frage auch stellen muss." Aus Habecks Sicht sei "dieser Mensch nicht mehr im Kabinett tragbar."