Reaktionen auf Impfpflicht-Ablehnung "Kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung"
Die Diakonie spricht von "Politikversagen", die Deutsche Krankenhausgesellschaft von einem "Scherbenhaufen": Nach dem Scheitern der Impfpflicht ist die Enttäuschung bei vielen groß. Mehrere Politiker wollen es weiter versuchen.
Auch nach dem Scheitern eines Antrags im Bundestag schreibt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine allgemeine Corona-Impfpflicht noch nicht komplett ab. Das Abstimmungsergebnis sei eine Enttäuschung und mache den Kampf gegen die Corona-Pandemie spätestens im Herbst sehr viel schwerer, sagte der SPD-Politiker. "Um unnötige Opfer im Herbst zu vermeiden, sollte der Versuch nicht aufgegeben werden, bis dahin trotzdem eine Impfpflicht zu erreichen. Man darf nie aufgeben, wenn es um das Leben anderer Menschen geht. So denke ich als Arzt, so denke ich als Politiker."
Ein von Lauterbach unterstützter Vorschlag zweier Abgeordnetengruppen für eine Impfpflicht zunächst für alle ab 60 Jahren war im Bundestag abgelehnt worden. Der Minister schrieb dazu zunächst auch bei Twitter: "Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen. Wir machen weiter."
"Politikversagen" und "Scherbenhaufen"
Doch nach der Ablehnung im Bundestag geben viele einer Impfpflicht kaum noch eine Chance. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach von einem "Politikversagen", für das alle Menschen bezahlten, die auf die Solidarität ihrer Mitmenschen angewiesen seien.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sprach in der "Rheinischen Post" von einem "Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben". Er zweifelt nun sogar an der weiteren Umsetzung der Mitte März beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Gaß sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass die Gesundheitsämter jetzt noch Arbeitsverbote für ungeimpfte Personen im Gesundheitswesen aussprechen.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger reagierte ebenfalls enttäuscht. "Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung", sagte er. Impfen bleibe ein "zentraler Baustein im Kampf gegen die Pandemie". Durch Impfungen ließen sich auch "einschneidende Beschränkungen von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Leben" vermeiden, so der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.
"Das ist bitter!"
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erklärte in einer Mitteilung, er bedauere es außerordentlich, dass im Bundestag keine Einigung erzielt werden konnte. "Das ist bitter!", so der SPD-Politiker. Wenn es nicht doch noch zu einer Impfpflicht komme, "werden wir im schlimmsten Fall im Herbst und Winter wieder eine Überforderung des Gesundheitssystems und weitreichende Schutzmaßnahmen mit den damit verbundenen Einschränkungen für alle erleben".
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek forderte ebenfalls eine intensive und schnelle Suche nach einer mehrheitsfähigen Lösung. "Es gilt, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, die sinnvoll und rechtssicher ist", sagte der CSU-Politiker.
Grüne kritisieren Union
Auch die Grünen-Landesgesundheitsministerinnen und -minister Manne Lucha, Ulrike Gote, Ursula Nonnemacher und Kai Klose bedauerten das Abstimmungsergebnis. "Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wäre wichtig und richtig gewesen", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Leidtragende seien nun vor allem die vulnerablen Gruppen in der Gesellschaft.
Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte: "Das sind keine gute Nachrichten für den Herbst." Umso wichtiger sei es, jetzt ein Konzept zur Steigerung der Impfquote und zur Vorsorge für steigende Infektionszahlen vorzubereiten. Sie kritisierte auch CDU und CSU: "Das parteipolitische Taktieren der Union in dieser wichtigen Frage ist nicht nachvollziehbar."
Hingegen sprachen die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla von einem "guten Tag für die Grundrechte" und von einer schweren Niederlage für Kanzler Olaf Scholz und Lauterbach. Die FDP-Spitze wiederum erläuterte in einer schriftlichen Erklärung ihr Nein bei der Abstimmung: Eine Impfpflicht lasse sich im Moment nicht ausreichend gut begründen.