Eine Frau erhält eine Impfung des Moderna Impfstoffs gegen das Coronavirus
Hintergrund

Diskussion über Impfpflicht Ein jahrhundertealter Streit

Stand: 05.03.2021 05:00 Uhr

Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff fordert eine Diskussion über die Impfpflicht - mit Verweis auf seine DDR-Vergangenheit. Die DDR ging beim Impfen einen anderen Weg als die Bundesrepublik. Der Streit darüber ist aber noch viel älter.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat eine neue Diskussion über eine Impfpflicht in Deutschland angestoßen. Die Impfpflicht könnte "ein Thema für den Ethikrat sein", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der amtierende Präsident des Bundesrats fügte hinzu: "Impfpflicht hatten wir in der DDR. Ich habe es überlebt." Als ostdeutscher Politiker würde er sich aber "niemals anmaßen, der Mehrheitsgesellschaft Ratschläge zu geben".

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging man in den beiden deutschen Staaten beim Impfen getrennte Wege. In der DDR gab es ab 1953 eine gesetzliche Impfpflicht, die in den folgenden Jahren ausgeweitet wurde. Zunächst bestand die Pflicht, sich impfen zu lassen, nur gegen Pocken und Tuberkulose. In den 1960er-Jahren wurde auch die Impfung gegen Kinderlähmung, Diphtherie, Wundstarrkrampf und Keuchhusten verpflichtend. 1970 kam dann noch die Impfung gegen Masern hinzu.

Nur wer geimpft war, durfte an Kinderferienlagern teilnehmen oder in Kinderbetreuungseinrichtungen aufgenommen werden. Auch Studium und bestimmte Berufe waren vom Impfstatus abhängig. Die Strafen für Impfverweigerer konnten hoch ausfallen - zwischen zehn und 500 DDR-Mark. In den 1980er-Jahren wurde die Pflichtimpfung gegen Pocken aufgehoben.

Bundesrepublik setzte auf Aufklärung

Die Bundesrepublik setzte weitgehend auf Aufklärung, wie der Slogan "Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam" zeigt. Bis Ende 1975 gab es eine allgemeine Impfpflicht gegen die Pocken. Diese war umstritten, da Gegner eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte reklamierten. Doch das Bundesverwaltungsgericht urteilte 1959, dass die Impfpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Seit Mitte der 1970er-Jahre wurde die Impfpflicht schrittweise aufgehoben: Zunächst entfiel ab 1976 die Erstimpfung - es erfolgten nur noch Wiederholungsimpfungen - 1983 wurde die Pockenimpfpflicht endgültig abgeschafft.

Da nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundesländer für Impfungen verantwortlich waren, gab es in mehreren Ländern, wie dem heutigen Baden-Württemberg, noch von 1946 bis 1954 eine Impfpflicht gegen Diphtherie.

Nach der Wiedervereinigung gab es in Deutschland bis zum vergangenen Jahr keinen Impfzwang mehr. Erst seit 2020 gilt eine Masern-Impfpflicht für alle nach 1970 geborenen Bürger, die in einer Gemeinschaftseinrichtung arbeiten oder dort betreut werden.

Impfpflicht bereits im 19. Jahrhundert

Gestritten wurde übers Impfen bereits im 19. Jahrhundert. Die ersten Impfprogramme in Deutschland starteten 1807 in Hessen. Die Reichsregierung erklärte dann 1874 die Pockenimpfung zur Pflicht. Doch schon damals gab es auch Widerstand - mit ähnlichen Argumente wie heute: Impfungen seien gesundheitsschädlich oder nicht wirksam. Erste Impfgegner-Organisationen in Deutschland wurden 1869 in Leipzig und Stuttgart gegründet. In der Weimarer Republik hatte der Reichsverband zur Bekämpfung der Impfung rund 300.000 Mitglieder.

In der Tat wurden immer wieder durch mangelnde Hygiene und Unkenntnis Krankheiten auf die Geimpften übertragen. Auch allergische Reaktionen sorgten für Todesfälle. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass bisweilen eine Zweitimpfung nötig war, weil der Impfschutz nicht ein ganzes Leben lang hielt.

Impfungen seien geradezu perfekte Projektionsflächen für Skepsis gegenüber der Moderne oder radikale Verschwörungstheorien, sagt der Medizinhistoriker Malte Thießen: Demnach wolle die Pharmaindustrie die Seuche verbreitet, um dann daran zu verdienen. Der Staat wolle die Bevölkerung unterjochen. Und schließlich habe die jüdische Weltverschwörung ihre Anhänger: Durch die Impfpflicht solle die Menschheit der "jüdischen Geldherrschaft unterworfen" werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 29. Dezember 2020 um 07:37 Uhr.