Prozess gegen SS-Mann in Lüneburg Warum nicht schon früher?
Weshalb wurde Oskar Gröning nicht früher zur Rechenschaft gezogen? Die Antwort ist einfach: Prozesse wie der in Lüneburg sind erst seit einer juristischen Neuregelung im Jahr 2011 möglich. Anlass zu der Wende gab der Prozess gegen den NS-Helfer Demjanjuk.
Der Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning in Lüneburg ist nur durch eine veränderte Rechtsauffassung möglich geworden. Diese betrifft die Bewertung des Straftatbestands der Beihilfe zum Mord. Die Justiz besteht seit 2011 nicht mehr darauf, eine direkte Beteiligung an den Mordtaten in Vernichtungslagern nachzuweisen. Seitdem können also solche NS-Helfer belangt werden, die nicht aktiv an Verbrechen beteiligt waren - also jeder, der in einem KZ gedient hat, beispielsweise auch Köche oder medizinisches Personal.
Demjanjuk-Prozess als Wende
Grund für die juristische Neubewertung ist der Fall des SS-Helfers John Demjanjuk. Er war Aufseher im Vernichtungslager Sobibor und an der Ermordung von bis zu 30.000 Menschen beteiligt. Das Landgericht München verurteilte ihn deshalb 2011 zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Grundlage war eine Neudefinition der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg über die Beihilfe zum Mord in Konzentrationslagern. "Für uns reicht die Tätigkeit eines Aufsehers in diesem Lager für die Annahme von Beihilfe zum Mord aus, ohne dass der betreffenden Person eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt nachgewiesen werden muss", erklärt der Leiter der Zentralstelle, Kurt Schrimm.
Die Staatsanwaltschaft und das Landgericht München II hätten diese Rechtsauffassung geteilt. Demjanjuk legte zwar Rechtsmittel gegen seine Verurteilung ein, über die wegen seines Todes aber nicht mehr entschieden wurde.
Dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft
Dem 93-jährigen Gröning wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen. Der Angehörige der Waffen-SS soll in Auschwitz-Birkenau geholfen haben, das von neu eingetroffenen Häftlingen zurückgelassene Gepäck wegzuschaffen. Er soll aus dem Gepäck genommenes Geld gezählt und an die SS in Berlin weitergeleitet haben. Gröning wurde deshalb von Journalisten "Buchhalter von Auschwitz" genannt.
Mit seiner Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt, wirft ihm die Staatsanwaltschaft Hannover vor. Im Falle einer Verurteilung erwartet ihn eine Haftstrafe von mindestens drei Jahren.
Früheres Verfahren wurde eingestellt
Wegen seiner Rolle im KZ wurde bereits 1985 gegen Gröning ermittelt - das Verfahren wurde jedoch eingestellt. 2005 wurde eine Wiederaufnahme verweigert, erklärt der Anwalt der Nebenkläger in Lüneburg, Cornelius Nestler. Die Begründung lautete, dass SS-Mannschaften an der Rampe - denen auch Gröning angehörte - für die Ermordung Hunderttausender Juden überflüssig waren. Diese Begründung sei jedoch irrig, kritisiert Nestler.
Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz haben bereits seit längerem deutliche Kritik an der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland geübt. "Wir kritisieren die jahrzehntelange Untätigkeit der deutschen Justiz und ihr Desinteresse, Gerechtigkeit herzustellen", sagte Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee, einem Zusammenschluss von Überlebenden und ihren Organisationen. "Es geht nicht um Rache", betonte deshalb auch die Auschwitz-Überlebende Eva Pusztai-Fahidi aus Budapest. "Es geht um das Urteil. Wichtig ist, dass es die Gesellschaft zur Kenntnis nimmt."