Interview zu Hebammen-Haftpflichtprämien "Bald nur noch Geburten in Kliniken"
Die Bundesregierung will sicherstellen, dass freiberufliche Hebammen auch künftig noch Geburten betreuen können. Dafür benötigen sie eine Haftpflichtversicherung. Doch zuletzt waren die Beiträge stark gestiegen, ein Versicherer kündigte zudem an, 2015 ganz aus dem Markt auszusteigen. Wie schwierig es für freiberufliche Hebammen jetzt schon ist und was auch werdenden Eltern droht, erklärt Katja Salatzki im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die finanzielle Situation von freiberuflichen Hebammen hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr verschlechtert. Macht Ihnen Ihr Beruf trotzdem noch Spaß?
Katja Salatzki: Auf jeden Fall. Für mich ist dieser Beruf eine Berufung. Man bekommt sehr viel von den Familien zurück. Zwar hat der Beruf deutliche Nachteile, wie wenig Schlaf oder schlechte Entlohnung. Aber das Gefühl gebraucht zu werden, überwiegt für mich.
Katja Salatzki ist 42 Jahre alt und arbeitet seit etwa 25 Jahren als Hebamme. Mehr als zehn Jahre war sie in einer Klinik angestellt, dann machte sie sich selbstständig. Seit fast zehn Jahren betreibt sie gemeinsam mit einer Kollegin ein Geburtshaus in Berlin.
tagesschau.de: Sie betreuen 60 bis 70 Geburten im Jahr. Was gehört noch zu ihren Aufgaben?
Salatzki: Zunächst lerne ich die Frau kennen und erkläre ihr alles, was sie im Hinblick auf die Geburt wissen muss. Wir besprechen, welche Wünsche und Ängste sie hat und ob die Geburt im Geburtshaus stattfinden soll oder in der Klinik, ob Vorerkrankungen vorliegen und so weiter. Ich berate die Frauen bei Komplikationen in der Schwangerschaft, beispielsweise bei erhöhtem Blutdruck, Schwangerschaftsdiabetes oder wenn das Kind nicht in der richtigen Position liegt.
Nach der Geburt besuche ich die Frau zunächst jeden Tag, schaue, ob das Kind gut zunimmt, ob die Nahrungsaufnahme gut funktioniert, ob die Gebärmutter sich richtig zurückbildet und beantworte alle Fragen, die auftauchen. Vor und nach einer Geburt fallen in der Regel jeweils zwischen acht und 16 Termine an.
26 Euro für einen Nachsorgebesuch
tagesschau.de: Haben Sie das Gefühl, für diese Arbeit nicht gut entlohnt werden?
Salatzki: Wir arbeiten viel mehr als das, was bezahlt wird. Beispielsweise bekommen wir für einen Nachsorgebesuch pauschal 26 Euro, egal wie lange wir da sind. Und so ein Termin kann auch mal zwei bis zweieinhalb Stunden dauern, wenn ein Kind beispielsweise Trinkschwierigkeiten hat und es einfach seine Zeit braucht, um herauszufinden, wie man es am besten an die Brust bekommt.
Hinzu kommt, dass wir keine normalen Arbeitstage haben, sondern wir gehen manchmal um vier Uhr früh aus dem Haus, weil eine Frau mit Wehen anruft. Ich weiß nie, wann ich Feierabend habe, Feiertage oder Wochenenden gelten für uns nicht. Zwar gibt es Nacht- und Sonntagszuschläge, aber das alles steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir leisten.
tagesschau.de: Was machen Sie, wenn im Sommer - wie angekündigt - die Beiträge zur Haftpflichtversicherung nochmal steigen werden?
Salatzki: Ich muss dann schauen, wie ich dieses Geld wieder einspiele. Noch mehr arbeiten geht nicht, denn ich arbeite schon jetzt zwischen 40 und 80 Stunden die Woche. Das einzige, wo ich noch ein wenig mehr einnehmen könnte, ist die Rufbereitschaft. Dafür können Frauen sich entscheiden, müssen den Großteil der Kosten aber selbst zahlen, weil die Kasse das nicht komplett übernimmt. Dafür bekommen wir dann eine Rufbereitschaftspauschale. Das bedeutet, dass wir Tag und Nacht erreichbar sind. Dann kann ich zwar etwas mehr verdienen, mein Privatleben leidet dann aber noch mehr.
Im Schnitt 8,50 pro Stunde
tagesschau.de: Kommen Sie dann, mit dem was Sie verdienen, noch über die Runden?
Salatzki: Es wird eben immer schwieriger. Ich verdiene, wenn ich alles zusammen rechne, im Schnitt 8,50 Euro die Stunde. Davon muss ich mehr als 5000 Euro Haftplichtversicherung im Jahr zahlen. Dafür muss ich ganz schön viele Geburten machen, wenn man bedenkt, dass ich für eine Geburt im Geburtshaus zwischen 500 und 600 Euro bekomme und für eine im Krankenhaus rund 230 Euro. Und dann habe ich noch keine Miete bezahlt, kein Brot gekauft, geschweige denn mir irgendwas gegönnt.
Laut einer Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums aus dem Jahr 2012 gibt es etwa 15.000 freiberufliche Hebammen in Deutschland. Etwa 21.000 sind es insgesamt.
Die Zahl der freiberuflich tätigen Geburtshelferinnen in Deutschland ist in den vergangenen fünf Jahren um rund ein Viertel zurückgegangen. Im vergangenen Jahr gab es noch rund 3500, inzwischen schätzt der Deutsche Hebammenverband ihre Zahl auf 2600.
Der Umsatz der Hebammen, die im Jahr 2010 ganzjährig ausschließlich freiberuflich tätig waren, betrug im Median etwa 37.000 Euro. Die Betriebsausgaben lagen im Median bei rund 13.000 Euro, inklusive der Prämien für die Haftpflichtversicherung.
Da es keine einheitliche und umfassende Statistik zu Hebammen Deutschland gibt, können die Zahlen je nach Quelle voneinander abweichen.
tagesschau.de: Welche Konsequenzen hat das für Ihre Branche?
Salatzki: Ich kenne Hebammen, die vorher auch Hausgeburten gemacht haben und wegen der gestiegenen Haftpflichtbeiträge jetzt nur noch Vor- und Nachsorge machen. Ich kenne auch Hebammen, die zurück in eine Klinik gegangen sind und damit sehr unglücklich sind, es sich aber anders finanziell nicht mehr vorstellen können. Die Konsequenz ist, dass Hebammen immer mehr Frauen abweisen müssen und es mehr und mehr Klinikgeburten gibt.
Und die Zustände dort sind nicht ideal, denn da gibt es einen Personalschlüssel. Ich habe lange in einer Klinik gearbeitet und musste dann manchmal vier Frauen gleichzeitig betreuen. Und es fiel mir sehr schwer, die Frauen in ihrem Schmerz und in ihrer Unsicherheit alleine lassen und zu sagen: 'Ich muss jetzt nebenan mal gucken, ich komme später wieder'.
"Frauen wird aberkannt zu entscheiden, wo sie entbinden"
tagesschau.de: Welche Auswirkungen wird es haben, wenn sich 2015 gar kein Versicherer mehr findet?
Salatzki: Dann würde es nur noch Klinikgeburten geben und den Frauen wird aberkannt zu entscheiden, wo sie entbinden wollen. Wenn man ohne eigene Hebamme einfach ins Krankenhaus geht, muss man eben die Hebamme nehmen, die einem die Tür aufmacht. Die kennen aber nicht die Ängste und Wünsche der Frauen, es gibt nicht dieses Vertrauensverhältnis, wie wir es im Vorfeld einer Geburt zu den Frauen aufbauen.
tagesschau.de: Wie sollte das Problem Ihrer Meinung nach gelöst werden?
Salatzki: Unser Versicherungsbetrag muss gedeckelt sein, dass er nicht ins Unermessliche steigen kann. Ich finde, so etwas müsste vom Staat aufgefangen werden und nicht von den Hebammen. Es sei denn, es wurde wirklich fahrlässig gehandelt. Man könnte ja die Schadenssumme bei Versicherungen deckeln, so dass auch sie nicht mehr das alleinige Risiko tragen müssen und der Rest müsste dann staatlich aufgefangen werden.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de