GroKo-Einigung bei Grundrente Warum die Kuh nicht vom Eis ist
Grundrente beschlossen - Koalition gerettet? Wohl kaum - und das liegt weniger an der SPD. Vielmehr ist die CDU zum Unsicherheitsfaktor geworden - ausgelöst durch die offene Führungsfrage.
"Die Kuh ist vom Eis", diagnostiziert CSU-Chef Markus Söder nach den finalen siebenstündigen Verhandlungen zur Grundrente am Sonntagnachmittag im Kanzleramt. Soll heißen: Schluss jetzt mit dem nervigen parteipolitischen Gezerre und ewigen GroKo-Diskussionen. Grundrente beschlossen - Koalition gerettet. Zurück zur Sacharbeit.
Die CSU, die sich zuletzt als Hort der Stabilität in der Großen Koalition entwickelt hat, will endlich Ruhe im Regierungsbündnis haben. Nicht nur, weil nächstes Frühjahr Kommunalwahlen in Bayern sind. Auch, weil man nach dem Sommer 2018 begriffen hat, dass interner Streit nicht gut ankommt. Entsprechend schaut die CSU mit zunehmenden Unverständnis auf die innerparteiliche Kakophonie in der Schwesterpartei, ausgelöst durch den Führungsstreit und die Zweifel an der Vorsitzenden.
Unsicherheitsfaktor Unionsfraktion
Dass sich der Wunsch des CSU-Chefs erfüllt, darf mithin bezweifelt werden. Weil, um im Bilde zu bleiben, die Kuh mit mindestens zwei Beinen weiterhin auf dem Eis steht. Vor allem wäre da die CDU-Fraktion. Je stärker die Zweifel an Annegret Kramp-Karrenbauer werden, desto mehr wird die Fraktion zum Unsicherheitsfaktor Nummer 1 in dieser Großen Koalition. Es verfestigt sich der Eindruck, dass hier gerade jeder macht, was er will.
War die Fraktion früher unter Führung von Volker Kauder noch ein Stabilitätsanker für die Politik Angela Merkels - Kritiker meinen: ein Abnickorgan der Regierungspolitik - , ist sie inzwischen ein eigenständiges Machtzentrum. Ralph Brinkhaus hat der Fraktion neues Selbstbewusstsein gegeben - wegen der ungeklärten parteiinternen Machtfrage wird sie aber zum Risiko für die GroKo. Zumal das andere Machtzentrum der Partei - die Chefin - schwach ist. Und das dritte Machtzentrum - die Kanzlerin - sich weitgehend raushält. Dass sich Merkel trotzdem vergangene Woche in der Fraktion für den Grundrenten-Kompromiss stark gemacht hat, wird fraktionsintern auch als Beleg für die Schwäche Kramp-Karrenbauers gewertet.
Keine Bonbons mehr für die SPD
"Viel Überzeugungsarbeit" müsse man jetzt leisten , sagte Fraktionschef Brinkhaus im Bericht aus Berlin mit Blick auf den erwarteten Widerstand unter den Abgeordneten. Vor allem der konservative Wirtschaftsflügel ist es leid, eigene Positionen aufgeben zu müssen - aus Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD. So beharrte der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann, bis zuletzt auf einer Bedürftigkeitsprüfung. So stehe es auch im Koalitionsvertrag. In der CDU-Vorstandssitzung stimmte er gegen den Kompromiss. Auch die zusätzlich von der Union verhandelte Absenkung des Arbeitslosenbeitrags um 0.2 Prozent sowie milliardenschwere Investitionen in Zukunftsforschung überzeugten ihn offenbar nicht.
Aufmerksam wurde in der CDU-Spitze das schnelle Lob des CSU-Wirtschaftspolitikers Hans Michelbach vermerkt, der als Stellvertreter der Mittelstandsvereinigung MIT ansonsten durchaus als Kritiker des Regierungskurses gilt. Dieses Lob dürfte jedoch kaum ausreichen, um die gesamte Kritik in der CDU verstummen zu lassen.
Dass FDP-Chef Christian Lindner der Union vorwirft, sie habe sich wieder von der SPD über den Tisch ziehen lassen, gehört zum üblichen Oppositionsverhalten, trifft aber den Nerv der Unzufriedenen in der CDU. Etwa den von Fraktionsvorstandsmitglied Axel Fischer: "Dieser Kompromiss ist für mich nicht akzeptabel." Und der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand, Christian von Stetten, empört sich: "Die Parteivorsitzenden haben im Koalitionsausschuss beschlossen, die getroffenen Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu brechen, um die Koalition über den SPD-Parteitag hinaus zu retten. Das wird ja immer verrückter in Berlin."
Widerstand kommt auch vom Parteinachwuchs: Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, begründete seine Ablehnung mit einer drohenden Belastung der jungen Generation. Das würden die jungen Abgeordneten auch am Dienstag in der Fraktion deutlich machen. Kuban ist eines von insgesamt drei CDU-Vorstandsmitgliedern, die heute gegen den Kompromiss gestimmt hatten
Immer neue Forderungen?
Fakt ist, dass die weitere Bereitschaft der Union gegen Null geht, Bonbons an die SPD zu verteilen, damit die Genossen in der Großen Koalition bleiben. Zumal die Befürchtung groß ist, dass die Sozialdemokraten den Preis für den Verbleib im ungeliebten Regierungsbündnis mit immer neuen Forderungen in die Höhe treiben. So warnte Brinkhaus die SPD indirekt davor, sich noch bei weiteren Themen querzustellen. "Man muss auch eins sagen: Also - noch mehr von diesen Belastungsproben wünsche ich mir in dieser Koalition nicht." Die Einigung muss die Koalition nach seinen Worten nun bis zum regulären Ende der Wahlperiode 2021 tragen.
Dynamiken auf den Parteitagen
Die Mahnung kann aber auch an die eigenen Leute verstanden werden. In zwei Wochen trifft sich die CDU zum Parteitag in Leipzig. Hier muss die vor einem Jahr gewählte Chefin um ihre Autorität kämpfen. Kramp-Karrenbauer steht in der Kritik, es gibt mehrere Männer, die sich für den besseren Chef und besseren Kanzlerkandidaten halten.
Die Parteichefin und ihre Verbündeten müssen in den nächsten Tagen dafür sorgen, den Grundrenten-Kompromiss als Erfolg auch für die Union zu verkaufen. Rückendeckung bekommt sie bereits vom Präsidium, mehreren Ministerpräsidenten und CDU-Landeschefs. Einer von ihnen, Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, erwartet denn auch keinen Aufstand beim Parteitag: "Die CDU ist keine Partei der Revolution." Man werde auf dem Parteitag inhaltlich diskutieren. Auch Merz hat eine Rede angekündigt.
Einen wegweisenden Parteitag gibt es auch bei der SPD. Am 6. Dezember entscheiden die Delegierten über den Verbleib in der GroKo. Eine Woche vorher ist klar, welches Duo die Partei führen soll. Und mit der Einigung bei der Grundrente dürfte das GroKo-freundliche Duo Olaf Scholz/Klara Geywitz dem Parteivorsitz ein großes Stück nähergekommen sein.