Grünen-Politiker Robert Habeck mit den Grünen-Politikern Özdemir und Hofreiter im Hintergrund
Hintergrund

Personaldebatte Aufstand bei den Grünen

Stand: 12.12.2017 14:26 Uhr

Doppelspitze ohne Flügelproporz? Genau das erwägen die Grünen Realos Robert Habeck und Annalena Baerbock, die beide für den Parteivorsitz kandidieren wollen. Doch Parteilinke protestieren und pochen auf das Flügelprinzip.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Es ist eine kleine Revolution, die Robert Habeck und Annalena Baerbock da vorhaben. Beide wollen für den Parteivorsitz kandidieren - allerdings nicht als Kandidaten irgendeines Flügels. Das Problem: Bei den Grünen gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass es bei Doppelspitzen ein Gleichgewicht aus Vertretern des sogenannten Realo-Flügels und der Parteilinken geben muss. Laut Satzung muss bei Doppelspitzen außerdem mindestens eine Frau vertreten sein.

Diese doppelte Quotierung ist ein Stolperstein für Habeck und Baerbock. Sollte Habeck Parteichef werden, bräuchte es eine Frau vom linken Parteiflügel an seiner Seite. Mit der amtierenden Parteichefin Simone Peter steht eine solche zwar bereit. Doch Peter ist selbst in ihrem eigenen Parteiflügel inzwischen umstritten. Die Klimaexpertin Baerbock wäre die wohl aussichtsreichere Kandidatin. Dann wiederum bräuchte es nach der bisherigen Grünenlogik also einen Mann des linken Parteiflügels als Co-Vorsitzenden. Oder eine Frau. Denn auch eine weibliche Doppelspitze ist nach Grünen-Satzung denkbar.

Baerbock: "Alles drehte sich um Männerplätze"

"Ich mache ein Angebot als Frau, weil mich schon ein bisschen genervt hat, dass sich bei uns alles am Ende nur um die Männerplätze gedreht hat", sagt die 36-jährige Baerbock im ARD-Morgenmagazin. Denn ins Rollen gekommen ist die Personaldebatte durch den bisherigen Parteivorsitzenden Cem Özdemir, der angekündigt hat, beim Parteitag im Januar nicht mehr für das Amt zu kandidieren. Dass deshalb automatisch ein männlicher Realo als Nachfolger gesetzt sein soll, will Baerbock nicht mitmachen.

Habeck und Baerbock schwebt also vor, die Besetzung nach Parteiflügeln zu umgehen: "Ein Bundesvorstand, der sich nach einer Flügellogik zusammensetzt, eine Partei, die sich so versteht, dass sie vor allem den Interessenausgleich ihrer eigenen Strömungen organisiert, ist keine politische Partei", sagte Habeck im Bericht aus Berlin. Da wolle er nicht mitspielen.

"Signal für Erneuerung der Partei"

Eine Doppelspitze aus Habeck und Baerbock wäre ein starkes Signal für eine Erneuerung der Partei", sagt der Parteienforscher Thomas Poguntke im Gespräch mit tagesschau.de. "Es wären zwei frische Gesichter und im Falle von Annalena Baerbock ein echter Generationswechsel." Darin stecke eine echte Chance für die Partei, deren Spitzenpersonal auf Bundesebene im Prinzip seit dem Ende der rot-grünen Regierung wenig gewechselt habe.

Doch die Verteilung von Spitzenämtern nach dem Flügelprinzip ist eine lang bewährte Tradition bei den Grünen. An den erbitterten innerparteilichen Konflikten in den 1980er-Jahren drohte die Partei zu zerbrechen. Damals ging es noch um die Frage, ob die Grünen eine Fundamentalopposition zum etablierten System einnehmen müssten. Diese Position vertraten die sogenannten Fundis. Die Realpolitiker der Partei wollten ihre Positionen innerhalb des Systems durchsetzen und auch Regierungsverantwortung übernehmen.

Erst Anfang der 1990er-Jahre begann sich der Flügelstreit zu legen. Die Unterteilung der Partei in zwei Hauptströmungen ist ein Relikt aus dieser Zeit. "Die Berücksichtung des Flügelproporz hat sich als sinnvolles Instrument erwiesen, um den innerparteilichen Frieden zu gewährleisten", sagt Poguntke. Die Tatsache, dass je ein Vertreter beider Parteiflügel mit an den Schaltstellen saß, habe es ermöglicht, dass auch bei schwierigen inhaltlichen Fragen Kompromisse gefunden werden konnten.

"Jüngere denken nicht mehr in Flügellogik"

Ein Beispiel ist die Entscheidung zur Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistan-Einsatz Ende 2001 unter Rot-Grün. Um eine rot-grüne Mehrheit für den Einsatz zu sichern, stimmten einige der Grünen-Abgeordneten für den Einsatz - gegen ihr Gewissen.

"Es würde den Grünen gut tun, wenn sie für ihre Spitzenämter die besten und talentiertesten Politiker auswählten, anstatt sich an einen erstarrten Strömungsproporz zu klammern", meint Poguntke. Andererseits sei die Zeit dafür aber wohl noch nicht reif. "Parteien brauchen für solche strukturellen Prozesse Zeit und halten meist noch länger am Althergebrachten fest."

Gefahr von Flügelkämpfen?

Der Vorstoß sorgt jedoch für viel Unruhe in der Partei. "Es ist eine Kampfansage", heißt es aus Fraktionskreisen. Viele Parteilinke sind massiv verärgert über das Vorgehen von Baerbock und Habeck. Sie sehen die Gefahr, dass die Grünen thematisch zu glatt werden. Die Themen soziale Gerechtigkeit und Bürgerrechte, die dem linken Flügel besonders wichtig sind, könnten über Bord geworfen werden und damit könnte auch ein bestimmtes Wählermilieu verloren gehen.

Viele sehen auch die Gefahr, dass wieder massive Flügelkämpfe aufbrechen und ein großer Teil der Partei unzufrieden zurückbleibt. "Ob die Partei das riskieren will, ist die Frage", sagt der Parteienforscher Poguntke. Offen sei außerdem, ob Simone Peter es jetzt nicht erst recht schaffe, ihre Anhänger zu mobilisieren.

Was wird aus Özdemir?

Es gibt aber auch Stimmen in der Partei, die die Entwicklung nicht so kritisch sehen: Man brauche nicht groß Kaffeesatz zu lesen, um zu wissen, "dass es jetzt überall wispert: Wie kriegen wir ne gute Gesamtaufstellung her?", sagt Renate Künast. Wie das ausgehe, wisse sie auch nicht, "aber immerhin, mehr Kandidaten beleben das Geschäft". Es könnte sogar sein, dass sich jetzt noch mehr Grüne entscheiden, ebenfalls für den Bundesvorsitz zu kandidieren, heißt es aus der Partei. Dann würden die Karten womöglich noch einmal ganz neu gemischt.

Völlig offen ist darüber hinaus die Frage, was aus Cem Özdemir wird. Viele in der Partei, allen voran Winfried Kretschmann, wünschen sich ihn weiterhin in verantwortungsvoller Position in Berlin. Immerhin wurde er gerade noch für ein Ministeramt gehandelt und hat in den Jamaika-Verhandlungen deutlich an Statur und Beliebtheit gewonnen. Doch auch ihm dürften die Quotierungs- und Proporzregeln Steine in den Weg legen. Chancen auf den Fraktionsvorsitz hat er kaum, da der Parteilinke Anton Hofreiter und die Reala Katrin Göring-Eckardt beide im Amt bleiben wollen. Um Kretschmann in Baden-Württemberg zu beerben ist es noch zu früh, denn der denkt noch lange nicht ans Aufhören. Es dürfte also am ehesten auf einen Ausschussvorsitz im Bundestag hinauslaufen.

Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version der Grafik gab es einen Fehler, der inzwischen berichtigt ist. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Morgenmagazin am 12. Dezember 2017 um 7.30 Uhr.