Tsipras-Besuch in Berlin Ein bisschen Wohlfühl-Atmosphäre

Stand: 23.03.2015 17:44 Uhr

Die "Hau-drauf"-Rhetorik der vergangenen Wochen ist vorerst beendet, alle Seiten bemühen sich um versöhnliche Töne. Und Griechenlands Regierungschef Tsipras hat offenbar konkrete Reformvorschläge mit nach Berlin gebracht. Kanzlerin Merkel empfing ihn mit militärische Ehren.

Antrittsbesuch nach 57 Tagen: Erstmals ist heute Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras nach Berlin gereist. Er kam am Mittag mit einem Linienflug und wurde von Kanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren empfangen. Beim Abendessen wollen beide über die griechische Schuldenproblematik und die zuletzt angespannten deutsch-griechischen Beziehungen sprechen - in Ruhe und ohne schrille Töne und Schuldzuweisungen, wie sie zuletzt immer wieder von griechischer sowie von deutscher Seite geäußert worden waren.

Tsipras und Merkel hatten sich zuletzt Ende vergangener Woche in Brüssel getroffen. Wann genau der griechische Regierungschef die beim EU-Gipfel versprochene Reformliste vorlegt, ist jedoch unklar. Merkel hatte deutlich gemacht, dass sie die Liste nicht schon heute erwartet.

Reformliste im Gepäck?
Von Thomas Bormann, ARD-Hörfunkstudio Istanbul

Der griechische Ministerpräsident Tsipras wird offenbar einen ersten Entwurf der Reformliste mit nach Berlin bringen, um seinen Reformwillen zu unterstreichen. Nach Informationen griechischer Medien zählt die Liste auf 50 Seiten auf, wie mehr Geld in die griechische Staatskasse fließen soll: Die Regierung will die Tabaksteuer und die Alkoholsteuer erhöhen; ebenso die Mehrwertsteuer für Hotel- und Restaurant-Rechnungen. Auf den Touristeninseln in der Ägäis wird künftig die Mehrwertsteuer auf alle Produkte steigen. Dort gilt bislang nämlich ein um 30 Prozent niedrigerer Mehrwertsteuersatz, um die Inseln zu fördern. Diese Ermäßigung soll nun aber gestrichen werden. Zudem will die Regierung einige Staatsbetriebe privatisieren, so will der Staat Geld einnehmen und Investoren nach Griechenland locken. Und: Die volle Rente gibt’s in Griechenland künftig erst mit 67 - oder aber nach 40 Jahren im Arbeitsleben.
Noch ist diese Reformliste in Arbeit. In den nächsten Tagen will die Regierung in Athen diese Liste endgültig beschließen.

Neustart der Beziehungen?

Die Erwartungen an das Treffen sind hoch, auch wenn die beiden anschließend wohl kaum eine Lösung der Schuldenkrise präsentieren werden. Nicht weniger als einen "wirklichen Neustart" der Beziehungen beider Länder erhofft sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Im Bericht aus Berlin bekräftigte er einerseits, dass Deutschland helfen wolle. Andererseits aber sei das nicht ohne Gegenleistungen, also faire Abmachungen über die notwendigen Reformen, möglich.

Gabriel betonte, es müsse endlich etwas getan werden, damit die Menschen in Griechenland wieder in Arbeit kämen und die sozialen Probleme gelindert würden.

Auch andere Politiker von Regierung und Opposition meldeten sich zu Wort. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Unionsfraktionschef Volker Kauder (beide CDU) vor, mit "Schulmeisterei" gegenüber Athen die Eurozone gespalten zu haben. Er rief Merkel dazu auf, die Wogen zu glätten.

Gysi hofft auf "eine gewisse Leichtigkeit"

Linksfraktionschef Gregor Gysi hofft ebenfalls auf eine Entspannung der Beziehungen. "Es wäre von großer Relevanz, wenn die Verkrampfung überwunden, eine gewisse Leichtigkeit im Umgang und sogar ein Stück Vertrauen hergestellt werden könnten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dazu müsse auch Merkel beitragen: "Die Kanzlerin muss darauf verzichten, nur Recht haben zu wollen."

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte den "Ruhr Nachrichten", Athen werde die Krise "nicht ohne europäische Unterstützung bewältigen können". Ein Austritt des Landes aus der Eurozone hätte auch für Europa "schwerwiegende Folgen". Tsipras müsse auf seinem Reformkurs weiter voranschreiten und Merkel müsse wiederum Schäuble mit auf den Weg geben, "respektvoll statt arrogant" mit den griechischen Partnern umzugehen, sagte Özdemir der Zeitung.

Der deutsche EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) fasste seine Erwartungen im ZDF so zusammen: "Ich hoffe, das Tsipras konstruktiver ist, als ein Teil seiner Regierung es in den letzten Wochen war."

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sprach sich für ein drittes Hilfspaket für die Griechen aus. Sollte in Athen die Bereitschaft zu einem vernünftigen Reformprogramm bestehen, "sollte es ein drittes Hilfspaket geben", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Es sei an der Zeit, vernünftige Szenarien zu entwickeln. Die von den internationalen Gläubigern gesetzten Ziele seien "vollkommen unrealistisch" gewesen.

Ein drittes Hilfspaket für Griechenland hatte Unions-Fraktionschef Volker Kauder zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen. Sein Kollege von der SPD, Thomas Oppermann, knüpfte weitere Hilfen für Athen an Bedingungen. "Ohne einen glasklaren Reformwillen der griechischen Regierung läuft gar nichts", machte er klar.

Kompromiss im Streit um Reparationen?

Im Streit um Reparationen für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg kommen derweil versöhnliche Töne von der griechischen Regierung. "Man muss Wege finden, mit Deutschland rational über bestimmte Probleme zu diskutieren", sagte Außenminister Nikos Kotzias der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Er schlage deshalb einen Rat aus Wissenschaftlern beider Länder vor. "Wir müssen einen gemeinsamen Nenner finden." Kotzias hatte sich gestern mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu einem Abendessen im Auswärtigen Amt getroffen. Es sei ein "angenehmes und fruchtbares Gespräch" gewesen, teilte Steinmeier im Anschluss über Twitter mit. Den Vorschlag des griechischen Ministers für einen "Rat der Weisen" lehnte Steinmeiers Sprecher allerdings inzwischen ab. "Für uns ist das Kapitel Reparationen juristisch und politisch abgeschlossen", sagte Martin Schäfer.