Festakt in Hamburg Einheitsfeier in "herausfordernden Zeiten"
Die Deutsche Einheit als Aufgabe für die gesamte Gesellschaft - das ist der Appell der Feierlichkeiten in Hamburg. Kanzler Scholz sprach von "herausfordernden Zeiten". Die Gesellschaft sei auseinandergerückt, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Tag der Deutschen Einheit dafür geworben, neue politische Entwicklungen als Gelegenheit zur Gestaltung zu begreifen. "Wo Neues am Horizont auftaucht, bieten sich immer auch Chancen", schrieb er auf der Plattform X, vormals Twitter. "Wir verdanken dem Mut der Ostdeutschen viel: Sie schenkten unserem Land seine Einheit in Frieden und Freiheit. Auch in herausfordernden Zeiten wie diesen geht es darum, Horizonte zu öffnen."
"Wir stehen vor Umbrüchen und Herausforderungen"
Vor 33 Jahren habe Zuversicht Deutschland geeint, so Scholz. "Auch heute wieder stehen wir vor Umbrüchen und Herausforderungen. Welch ein Glück, dass wir diese als ein geeintes Land angehen", schrieb Scholz.
Festakt in der Elbphilharmonie
Hamburg richtete wegen des Vorsitzes im Bundesrat den traditionellen Festakt zum Tag der Deutschen Einheit aus, zu dem rund 1.300 Gäste in die Elbphilharmonie eingeladen waren. Neben dem Gastgeber, Bürgermeister Peter Tschentscher, sprach auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Die Repräsentanten der Verfassungsorgane wechseln sich bei den Einheitsfeiern als Redner ab - vor zwei Jahren war die damalige Kanzlerin Angela Merkel an der Reihe gewesen.
"Demokratie lebt nur, wenn wir im Gespräch bleiben"
"Die Demokratie lebt auf Dauer nur, wenn wir alle miteinander im Gespräch bleiben", sagte Harbarth. Niemand komme ohne Kompromisse aus. Das vor 75 Jahren erarbeitete Grundgesetz sei ein Leuchtturm der Freiheit und der Demokratie. "Doch auch die beste Verfassung ist nur so gut wie das, was Menschen aus ihr machen", so der Präsident des höchsten deutschen Gerichts.
Harbarth mahnte darüber hinaus, diskursfähig und diskursbereit zu bleiben. "Wir sind auch heute kein gespaltenes Land, aber wir sind auseinandergerückt", sagte der Jurist und sprach von einem "Klimawandel auch im Inneren unserer Gesellschaft".
300.000 beim Bürgerfest in Hamburg
Die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit hatten bereits am Montag mit einem großen Bürgerfest in Hamburg begonnen. Rund um Rathaus und Binnenalster kamen dazu nach Angaben des Sprechers des Bürgerfestes mehr als 300.000 Besucherinnen und Besucher. Bei der "Nacht der Einheit" konnten sie bis zu später Stunde an vielen Orten der Innenstadt ein Programm aus Live-Musik, Tanzaufführungen und Ausstellungen verfolgen.
Zu Gast war auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Er halte das Streben nach gesellschaftlicher Einheit auch 33 Jahre nach der Wiedervereinigung für zentral. "Die formale Einheit ist vollzogen, keine Frage. Aber natürlich, die gesellschaftliche Einheit ist und bleibt eine Herausforderung", sagte der 48-Jährige der Nachrichtenagentur dpa. Zwischen Ost und West und auch in vielerlei anderer Hinsicht sei es immer wieder eine Aufgabe für Politik, aber nicht nur für diese, gesellschaftliche Einheit zu schaffen.
"Ich glaube, wir müssen den Leuten schon immer mal wieder reinen Wein einschenken, wie die Herausforderungen der Zeit sind", so der CDU-Politiker. Gerade der Krieg gegen die Ukraine bringe Herausforderungen und Schwierigkeiten mit sich, an denen man zu arbeiten habe. "Den Menschen das ehrlich zu sagen, ist - glaube ich - der beste Anfang", sagte Wüst.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, Vierter von links) traf in Hamburg auch Kirchenvertreter.
Steinmeier sieht Fehler beim Westen
Verbindendes und Trennendes hatte am Vorabend Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den tagesthemen thematisiert. Der Westen habe nicht die Notwendigkeit gesehen, sich zu verändern. Das sei ein "Teil des Dilemmas". Der 3. Oktober sei "Erinnerung, Bilanz und immer mehr der Blick auf den Horizont". Bei den Erinnerungen gebe es einen unterschiedlichen Blick der Generationen.
Die Deutsche Einheit vertrage eine selbstkritische Bilanz. Er habe in Ostdeutschland viel gelernt, betonte Steinmeier. "Es geht nicht nur um das Materielle. Es geht um das Gefühl, gleichwertig zu sein." Dabei gebe es Unwuchten. Es habe in der Vergangenheit seitens des Westens das Signal für viele Ostdeutsche gegeben: "Ihr habt ein falsches Leben gelebt." Die ostdeutsche Geschichte müsse mehr Teil der gemeinsamen Geschichte werden.