Neujahrsnacht Angriffe, Unfälle und eine neue Debatte
Die meisten Menschen haben den Jahreswechsel friedlich gefeiert - aber nicht alle, und deswegen gibt es eine neue Debatte über Böllerverbote. Beispielsweise in Berlin beklagten Polizei und Feuerwehr ein hohes Maß an Aggression.
Polizei und Rettungsdienste haben nach der Silvesternacht eine gemischte vorläufige Bilanz gezogen. Während Millionen Menschen friedlich feierten, mussten sie bundesweit zu vielen Einsätzen ausrücken. Auch wegen des Wegfalls der Corona-Beschränkungen und der ungewöhnlich milden Temperaturen hatten sie wieder deutlich mehr zu tun.
Erneut klagten die Einsatzkräfte, sie seien auf ein hohes Maß an Aggression gestoßen. In Berlin seien Beamte beim Löschen eines brennenden Autos "massiv mit Böllern angegriffen" worden, erklärte die dortige Polizei. Im Ortsteil Lichtenrade versuchten laut Polizei 60 bis 80 Menschen, ein Fahrzeug mit Feuerwerk anzuzünden, Polizisten seien "sprichwörtlich unter Beschuss genommen" worden. Die Polizei in der Hauptstadt berichtete von 18 verletzten Beamten. Die Intensität der Angriffe sei "mit den Vorjahren nicht zu vergleichen" gewesen. Man habe mehr als 100 Menschen festgenommen.
"Selbst erfahrene Einsatzkräfte geschockt"
Auch der Berliner Landesbranddirektor Karsten Homrighausen verurteilte Angriffe auf Rettungskräfte auf das Schärfste. "Selbst erfahrene Einsatzkräfte waren über die Aggressivität und Gewaltbereitschaft durch zum Teil vermummte Gruppen geschockt", twitterte die Feuerwehr: "Allen 15 verletzten Einsatzkräften gute Besserung."
Als Reaktion auf die Angriffe mit Böllern und Raketen auf Polizisten und Feuerwehrleute verlangt auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, mit einem weitgehenden Böllerverbot Ernst zu machen. "Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird", kritisierte GdP-Landeschef Stephan Weh. Das müsse ein Ende haben.
Das Ausmaß an Zerstörung erschüttere sie zutiefst, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) dem "Tagesspiegel". Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erklärte, dass Rettungs- und Einsatzkräfte behindert, angegriffen und zum Teil schwer verletzt worden seien, mache sie wütend. Sie setze auf konsequente Strafverfolgung.
"Intensivste Silvesternacht der letzten Jahre"
Auch in Nordrhein-Westfalen gab es entsprechende Übergriffe. In der Bochumer Innenstadt beispielsweise bewarfen laut Polizei rund 300 Menschen Beamte mit Feuerwerkskörpern, nachdem die Polizei einem 17-Jährigen eine Pistole abgenommen hatten. In Essen bewarfen nach Polizeiangaben etwa 200 Menschen andere Menschen oder Fahrzeuge mit Böllern oder beschossen sie mit Raketen. In dem Bundesland seien 42 Polizistinnen und Polizisten verletzt worden, bilanzierte das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW vorläufig. Im Vorjahr seien es 23 gewesen.
In Hamburg sprach die Feuerwehr von einer "erschreckenden Silvester-Neujahrs-Bilanz". Einsatzkräfte seien mit Feuerwerkskörpern "aggressiv angegangen, regelrecht beschossen" worden. Auch mehrere Polizisten beziehungsweise deren Fahrzeuge wurden angegriffen. Auf St. Pauli bekam ein Polizist einen Schlag gegen den Kopf.
Auch aus Mannheim berichtete die Polizei von Angriffen. Beamte und Passanten seien mit Pyrotechnik beworfen und beschossen worden. Ein Polizist habe einen Hörschaden erlitten. Auf einen Dienstwagen der Polizei sei gezielt eine Rakete abgeschossen worden. Die Beamten seien jedoch nicht verletzt worden.
Es sei "die intensivste Silvesternacht der letzten Jahre" gewesen, erklärte auch die mittelfränkische Polizei. Im schleswig-holsteinischen Elmshorn bedrohte ein Unbekannter einen Feuerwehrmann mit einer Schusswaffe. Der Feuerwehrmann war dabei, einen brennenden Müllcontainer zu löschen.
Zwei Tote und mehrere Schwerverletzte
Auch schwere oder gar tödliche Unfälle gab es. In Leipzig verletzte sich ein 17-Jähriger beim Einsatz von Pyrotechnik laut Polizei so schwer, dass er im Krankenhaus starb. In Sachsen-Anhalt wurde ein Mann beim Böllern auf der Straße von einem Auto erfasst und getötet. Der Fahrer beging Fahrerflucht, wurde aber später von der Polizei gefasst. Die Beamten stellten 1,86 Promille Alkoholgehalt fest.
In vielen Bundesländern wurden Menschen durch unsachgemäßen Gebrauch von Pyrotechnik verletzt - einige von ihnen schwer.
"Aggressivität in noch nie dagewesener Form"
Als Reaktion auf Angriffe und schwere Unfälle nimmt die Debatte über ein generelles Verbot von Privatfeuerwerk erneut Fahrt auf. "Unsere Befürchtungen wurden von der Realität noch übertroffen", sagte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Er sei fassungslos, dass selbst der Tod des 17-Jährigen in Leipzig nicht zu sofortigen Reaktionen verantwortlicher Bundespolitiker führe. "Bundesinnenministerin Faeser hat trotz unserer Warnungen und trotz einer klaren Mehrheit der Menschen für ein absolutes Böllerverbot die schrecklichen Folgen dieser Nacht zu verantworten", sagte Resch.
Deutschland habe "eine Aggressivität in einer noch nie dagewesenen Form" erlebt. "Es ist eine Minderheit, die die Silvesternacht ausnutzt und mit Pyrotechnik die große Mehrheit terrorisiert."
Union und FDP gegen allgemeines Verbot
Politiker von Union und FDP wandten sich aber gegen ein allgemeines Böllerverbot. Das Verhalten von Kriminellen dürfe nicht bedeuten, "dass auch die vielen friedlich Feiernden einem generellen Feuerwerksverbot unterliegen sollten", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), der "Rheinischen Post". Die Kommunen könnten schon jetzt an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten Feuerwerksverbote verhängen: "Das ist vernünftig." Ähnlich argumentierte die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, in derselben Zeitung.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Castellucci, sagte der "Bild"-Zeitung, dass die Gewalt auf das Schärfste zu verurteilen sei: "Ich setze auf die Härte des Rechtsstaats." SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sprach sich für ein Böllerverbot in bestimmten Stadtvierteln aus.
Hunderte Festnahmen in Belgien und Frankreich
Auch in Belgien wurden die Neujahrsfeierlichkeiten von Krawallen überschattet. Allein in der Hauptstadtregion Brüssel nahm die Polizei in der Silvesternacht rund 160 Personen fest, wie die belgische Nachrichtenagentur berichtete. In Antwerpen gab es demnach ebenfalls mehrere Dutzend Festnahmen.
In Frankreich steckten Randalierer 690 Autos in Brand. Das seien allerdings 21 Prozent weniger ausgebrannte Autos als beim vorherigen Jahreswechsel gewesen, sagte Innenminister Gérald Darmanin. Die Polizei sei konsequent gegen Unruhestifter vorgegangen, landesweit habe es 490 Festnahmen gegeben.