Ein Mensch mit einem Regenschirm in Regenbogenfarben steht vor einer Moschee.

Queere Muslime Verbotene Liebe

Stand: 30.05.2023 05:39 Uhr

Muslime in Deutschland lehnen sexuelle Vielfalt mehrheitlich ab. Das belegen Forschungsergebnisse, die Report Mainz vorliegen. Betroffene leiden darunter - ihnen droht sogar Gewalt.

Von Eric Beres und Claudia Kaffanke, SWR

Queere Menschen aus der muslimischen Community können ihre sexuelle Orientierung oft nur im Verborgenen leben. Andernfalls sehen sie sich Ausgrenzung und Anfeindungen ausgesetzt. So wie ein Student mit türkischen Wurzeln, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will und daher hier Kemal heißen soll. Er wuchs in einer muslimischen Familie auf. Als er sich bei seinen Eltern geoutet habe, sei seine Mutter erstmal vom Glauben abgefallen. "Sie hat Allah gefragt: Warum ausgerechnet ihr Sohn? Und ob ich denn nicht wüsste, dass ich damit den gesamten Familiennamen beschmutze", erzählt Kemal.

Er habe sich überall fehl am Platz gefühlt und mit Selbstmordgedanken gespielt, berichtet er im Interview mit Report Mainz. Schließlich habe er sich von seiner Religion abgewandt - und kann jetzt seine Homosexualität offen leben.

Wer sich outet, erfährt oft Ausgrenzung und Anfeindung, berichtet Kemal.

Wer sich outet, erfährt oft Ausgrenzung und Anfeindung, berichtet Kemal.

Eine Sünde

Für Betroffene ist es sehr schwierig, den Glauben und die Homosexualität miteinander zu vereinbaren. Eine Muslimin mit alevitischem Hintergrund berichtet von ihren Ängsten, in ihrer Gemeinde geoutet zu werden: "Wenn ein Outing bedeutet, dass ich aus meiner alevitischen, meiner religiösen Gemeinde, ausgestoßen werde, dann werde ich das als religiöse Person auch nicht machen."

Homosexualität und auch Transgeschlechtlichkeit wird von vielen Musliminnen und Muslimen unter Berufung auf den Koran als Sünde betrachtet. Das schlägt sich auch in bisher unveröffentlichten Umfrageergebnissen im Rahmen des Forschungsprojekts "Radikaler Islam - radikaler Anti-islam" (RIRA) nieder. Dazu wurden im vergangenen Jahr bundesweit 2500 Menschen zu ihrer Meinung über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit befragt - zusätzlich 600 Musliminnen und Muslime.

Ablehnung unter Muslimen

Laut den Zahlen, die Report Mainz exklusiv vorliegen, stimmen 43 Prozent der Gesamtbevölkerung der Aussage zu: "Ich finde es ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen." Bei Musliminnen und Muslimen liegt der Anteil bei 65 Prozent. 

Die Aussage "Transsexualität ist etwas völlig Normales" verneinen 49 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei den befragten Musliminnen und Muslimen lehnen 71 Prozent diese Aussage ab.  

Im Interview mit Report Mainz führt der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel die Ergebnisse unter anderem darauf zurück, dass Musliminnen und Muslime ihre Religion oft dogmatischer lebten als Christinnen und Christen. "Es ist schon so, dass Musliminnen und Muslime in Deutschland sich durch das Umfeld auch verändern, an Offenheit gewinnen. Gleichwohl merkt man, dass sie eben genau mit solchen Gruppen wie Transgeschlechtlichen, Intersexuellen, Homosexuellen sehr, sehr schwer zurechtkommen. Das ist ein ungewohntes Terrain für viele", sagt Pickel, der die Zahlen ausgewertet hatte.

Religionssoziologe Gert Pickel

"Ungewohntes Terrain" für viele Muslime: Religionssoziologe Gert Pickel

Islamistische Influencer gegen sexuelle Vielfalt

Befeuert werden diese Vorbehalte von radikalen Influencern, die im Netz gegen die LGBTQI+-Bewegung agitieren. So heißt es zum Beispiel bei der Gruppierung "Muslim interaktiv", die allein auf TikTok 90.000 Follower hat: "Jedoch muss eins gesagt sein […], dass das Ausleben von LGBTQ im Islam nicht erlaubt ist und niemals sein wird. Denn der Islam ordnet sich dem Liberalismus nicht unter, nichts wird die Gesetze Allahs verändern."  

Gülden Hennemann, die im bayerischen Justizvollzug eine Einheit zur Extremismusbekämpfung leitet, sagte dazu gegenüber Report Mainz: "Wer solche Aussagen tätigt, wer solche Aussagen vertritt, unabhängig von der Frage, ob mit Gewalt oder ohne Gewalt, ist für mich eindeutig gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und passt tatsächlich auch nicht in unsere Gesellschaft."

"Feindbild LGBTQI+"

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bestätigt eine immer stärkere Instrumentalisierung queerpolitischer Themen wie Homosexualität und Transidentität durch islamistische Gruppierungen: "Das Feindbild LGBTQI+ weckt Emotionen, mobilisiert und soll zur Rückbesinnung auf eine eigene, 'islamisch' konstruierte Identität in Abgrenzung zur als 'verkommen' diffamierten liberalen, westlichen Gesellschaft dienen."

Für die Betroffenen kann die Homosexualität in muslimischen Familien und Communities schlimmstenfalls auch lebensbedrohlich werden. So berichtet ein Betroffener mit libanesischem Hintergrund, er sei von Mitgliedern seiner Familie mit dem Tod bedroht worden, nachdem er eine Beziehung mit einem Mann eingegangen und dies bekannt geworden war. Die Anfeindungen und Drohungen gegen ihn seien religiös und mit dem Etikett "schwul" begründet worden. "Damit hat man nach islamischem Recht angeblich das Recht, alles zu machen und muss sich nicht dafür rechtfertigen."   

     

Eric Beres, SWR, tagesschau, 30.05.2023 06:06 Uhr

Die Dokumentation "Verbotene Liebe? Queere Muslime, bedroht und beschimpft" von Report Mainz sehen Sie heute Abend um 21.45 Uhr im Ersten. Die Dokumentation ist auch in der ARD-Mediathek abrufbar.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet "Report Mainz" am 30. Mai 2023 um 21:45 Uhr.