Queere Menschen im Alter Immer noch ein Tabu in der Pflege?
Für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intergeschlechtliche gibt es immer noch zu wenig bedarfsgerechte Plätze. Denn in der Pflegebranche fehlt das Wissen über queere Lebensweisen.
Friedrich Wagey lacht: Er habe zwar "Super-Gene", trotzdem mache er sich so seine Gedanken, sagt er scherzhaft. Dem 69-jährigen Hamburger geht es noch gut, doch ein Thema beschäftigt ihn: die Pflege von LGBTIQ+.
Denn vor drei Jahren verlor er seinen Partner. Nach einem Hirntumor wurde sein Ehemann pflegebedürftig. Für Wagey war ganz klar: Er pflegt ihn lieber zu Hause, als ihn in eine Betreuungseinrichtung zu geben. Das wollte er nicht, obwohl ihn die Pflege an die Grenzen seiner eigenen Kräfte brachte.
Zwar unterstützten palliative Ehrenamtliche aus seinem Umfeld. Aber entscheidend für die Unterstützung sei gewesen, dass man als schwule oder queere Person offen leben kann und ein Vertrauensverhältnis mit der Pflegekraft besteht. "Pflegerinnen und Pfleger stehen unter einem enormen Stress", weiß Wagey, der selbst einmal im Pflegebereich gearbeitet hat. Deshalb sei es im normalen Pflegebetrieb wichtig, dass auch gender- und kultursensibel ausgebildet werde.
Wenig Pflegeangebote
Queersensible Pflegekräfte sind das eine - die anderen Bewohner das andere. Das verstärke die Einsamkeit noch. "Eine Vereinsamungsspirale kommt dann in Gang", befürchtet Wagey. "Finde ich keinen Anschluss bei den anderen, ziehe ich mich zurück - oder ich passe mich an und verstecke mich." Ältere Schwule, Lesben, Trans- oder Intersexuelle, die sich mit Mühe und Kampf durch ein Outing kämpfen mussten, werden so im Alter wieder unsichtbar gemacht.
Dem Medizinischem Dienst der Krankenkassen zufolge gibt es aktuell nur drei Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen spezifische Angebote für LGBT. Den enormen Bedarf kennt auch Thomas Schubert vom Hospiz Leuchtfeuer in Hamburg. Als Pfleger begleitet der 57-Jährige seine Bewohner auf ihrer letzten Lebensstation. Seit 1997 arbeitet er mit kurzen Unterbrechungen hier.
Das Hospiz Leuchtfeuer ist die erste Pflegeeinrichtung in Hamburg, das sich im Bereich "diverse Pflege" engagiert. Elf Plätze gibt es in der Einrichtung. Viel zu wenig für eine Großstadt wie Hamburg und einen Bedarf, der sich - wenn die geburtenstarken Jahrgänge immer älter werden - noch verschärfen dürfte.
Der Pfleger Thomas Schubert im Hospiz Leuchtfeuer
Vertrautes Verhältnis
"Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen, der so in die Intimsphäre eines anderen Menschen eingreift, wie der Beruf des Pflegers", bringt es Schubert auf den Punkt, während er die Medikamente für die Heimbewohner sortiert. "Ich sage es mal ganz drastisch: Ich wische anderen Menschen den Po ab. Wer findet es gut, sich von einem fremden Menschen den Po abwischen zu lassen? Was macht das mit meinem Gegenüber?"
Pflegekräfte und -bedürftige stünden in einem Hierarchieverhältnis. Die Autonomie sei weg - und die Würde werde angetastet. Da benötige es eine vertrauensvolle Basis. "Wenn ich dann als Gegenüber aber das Gefühl habe, da steht vor mir eine Pflegekraft, die mich eigentlich ablehnt, dann ist das doch unerträglich", sagt Schubert.
Wiederkehrende Diskriminierungserfahrungen
Im Hospiz Leuchtfeuer geht es immer "um eine Atmosphäre, die geschaffen wird", wie sie hier sagen. "Wie gehe ich zum Beispiel damit um, wenn man jemandem gegenüber steht, der oder die vom äußerem Bild vielleicht ein Mann zu sein scheint, sich aber selbst als Frau definiert. Oder sagt, ich kann mich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen?", sagt Schubert.
Mit solchen Fragen müssten sich auch andere Pflegeeinrichtungen viel mehr beschäftigen, denn die Bedürfnisse seien andere. "Häufig holen die Bewohner*innen ihre Diskriminierungserfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens gemacht haben, im Alter wieder ein. Sie potenzieren sich", so Schubert. Essenziell sei deshalb, dass man mit Blick auf die eigene Lebensbiografie hin gepflegt werde.
Würde ein "Qualitätssiegel" helfen?
Für das deutsche Pflegesystem, das zudem noch mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen hat, ist das eine Herausforderung. Denn in der Pflegebranche herrscht allgemein noch viel Unwissen. Der 69-jährige Wagey wünscht sich deshalb ein zertifiziertes Qualitätssiegel, das zeigt, ob die Mitarbeitenden wissen, wie man mit den queeren Personen umgeht.
In Berlin gibt es das schon. Dort vergibt die Berliner Schwulenberatung das Zertifikat "Lebensort Vielfalt" an Pflegeheime, die sich aktiv um Teilhabe queerer Menschen bemühen. In Frankfurt hat man mit dem "Regenbogenschlüssel" gute Erfahrungen gemacht, einem aus den Niederlanden übernommenen Konzept. Auch der AWO Bundesverband hat 2019 in dem Modellprojekt "Queer im Alter" einzelne Pflegeheime für Lesben, Schwule, Trans- und Interpersonen geöffnet und aus den Erkenntnissen ein Fortbildungskonzept für Pflegekräfte erarbeitet.
Bisher nur regionale Projekte
In Hamburg gab es dergleichen bis vor kurzem noch nicht. Erst vor wenigen Wochen hat sich hier das "Netzwerk LSBTIQplus Pflege und Altern" gegründet, das sich die Frage stellen möchte, wie man zu guten Wohn- und Pflegebedingungen für queere Menschen in der Hansestadt kommt. Die Verbände der gesetzlichen Pflegekassen fördern es finanziell. In dem Netzwerk will sich auch Wagey mit seinen persönlichen Erfahrungen einbringen.
Wagey hofft, dass in Zukunft auch in der gesamten Pflegebranche ein stärkeres Bewusstsein für die Bedürfnisse queerer, älterer Menschen Einzug hält. Queere Menschen im Seniorenalter müssten sichtbar werden.