Russische Opernsängerin Netrebko Putin-Freundin oder missverstandene Künstlerin?
Für die einen ist es ein künstlerisches Highlight - für die anderen ein Affront: der heutige Auftritt von Opernsängerin Anna Netrebko an der Berliner Staatsoper. Die Künstlerin steht wegen ihrer angeblichen Kreml-Nähe in der Kritik.
Star-Opernsängerin Anna Netrebko gab einen Tag vor Beginn des russischen Angriffskriegs ihr letztes Konzert in Russland. In einem Interview mit der "Zeit" sagte sie, es sei ein wunderbarer Auftritt in Moskau gewesen. Man habe abends noch mit Freunden gefeiert und am nächsten Morgen im Fernsehen gesehen, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Alle seien schockiert gewesen, damit habe niemand gerechnet. Kurz darauf habe sie ihre Heimat verlassen.
Sie lebt jetzt mit ihrem Mann in Österreich. Anna Netrebko besitzt neben der russischen mittlerweile auch die österreichische Staatsbürgerschaft.
Netrebko spielt keine Rolle mehr in Russland
Von dem Wirbel um ihre Auftritte an der Berliner Staatsoper nimmt in Russland kaum jemand Notiz. Netrebko spielt im russischen Kulturbetrieb kaum noch eine Rolle. Sie selbst hatte kurz nach Kriegsbeginn den Krieg in der Ukraine ausdrücklich verurteilt und seitdem in Russland keine Auftritte mehr.
Kritiker werfen ihr vor, dass sie sich nicht deutlich genug vom russischen Angriffskrieg distanziert habe, unter anderem, weil sie nicht explizit gesagt habe, wer dafür verantwortlich sei - nämlich Kremlchef Putin.
Und immer wieder wird Netrebko auch eine vermeintliche Nähe zum Kremlchef vorgeworfen. In der Vergangenheit hatte sie sich häufiger mit ihm ablichten lassen, hatte sich sogar in einer Petition im Jahr 2012 für dessen Präsidentschaftskandidatur eingesetzt. Sie selbst hatte dies mit Putins Engagement für Russlands Kunst- und Kulturszene begründet. Sie sei nicht die einzige Künstlerin gewesen, die ihn damals unterstützt habe, so Netrebko.
Nicht klar gegen Krim-Annexion positioniert
Aber die Vorwürfe gegen sie reichen noch weiter: Netrebko habe sich nicht klar gegen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim positioniert. 2014 hatte die Künstlerin Geld für die Musiker an der Oper von Donezk gespendet. Sie hatte dies damit begründet, dass diese monatelang kein Gehalt bekommen hätten. Bei der Scheckübergabe hatte sich Netrebko mit einem Separatistenführer vor einer Flagge Neurusslands fotografieren lassen. Aus ukrainischer Sicht ein Affront.
Noch ein Jahr vor Kriegsbeginn hatte die Star-Sopranistin ihren 50. Geburtstags mit einem Gala-Auftritt im Kremlpalast gefeiert, Putin schickte ihr Glückwünsche. Beim staatlichen Kremlpalast handelt es sich nicht um den Amtssitz des russischen Präsidenten, sondern um einen frei zugänglichen Veranstaltungsort, in dem früher auch schon internationale Künstler aufgetreten sind.
"Ich bin kein politischer Mensch"
All dies versucht Netrebko damit zu erklären, dass sie sich in erster Linie als Künstlerin betrachtet. Sie sei kein politischer Mensch. So lesen sich jedenfalls ihre Erklärungen dazu: Sie habe Putin nur eine handvoll Male getroffen, vor allem im Rahmen von Auszeichnungen für ihre Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele.
Sie sei kein Mitglied einer politischen Partei und mit keinem Führer Russlands verbündet. Auch erhalte sie kein Geld von der russischen Regierung und zahle ihre Steuern in Österreich, so Netrebko in einer Erklärung Ende März vergangenen Jahres.
Angst vor politischer Verfolgung?
Dennoch steht für viele die Frage im Raum, ob dies ausreichend ist angesichts der Tatsache, dass sie jahrelang Aushängeschild des russischen Kulturbetriebs war und viele Vorteile genoss. 2008 erhielt sie von Putin die Auszeichnung als Volkskünstlerin Russlands. Will sie sich eine Tür offen halten, oder befürchtet sie Sanktionen bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung? Andere Künstler und Schriftsteller, die sich deutlicher zum russischen Angriffskrieg geäußert haben, etwa russische Kriegsverbrechen thematisiert und sich gegen Putin positioniert haben, wurden zu ausländischen Agenten erklärt oder gar in Abwesenheit zu Haftstrafen verurteilt.
Netrebkos Management teilte zuletzt mit, sie habe keine Verbindung zur russischen Regierung oder zu dem so wörtlich "tragischen Krieg" in der Ukraine. Es gebe Leute, die erfolglos versucht hätten, ihr verschiedene Rollen zuzuweisen. Es gebe aber nur eine Rolle, die wirklich zu ihr passe: die der Sängerin.