Syrischer Arzt in Baden-Württemberg Neues Leben in der zweiten Heimat
Viele Ärztinnen und Ärzte in Deutschland kommen aus dem Ausland. Die aktuelle Debatte über Migration in Deutschland hinterlässt auch bei ihnen Spuren.
Dienstagvormittag in der Notaufnahme im Klinikum Stuttgart. Saaid Ajmman untersucht einen dreijährigen Jungen, der operiert werden soll. Er hat eine Wasseransammlung im mittleren Ohr. Um die Belüftung wiederherzustellen, muss ein kleiner Schnitt im Trommelfell gemacht werden. Ein Routineeingriff, sagt der 29-jährige Arzt.
Nach seinem Medizinstudium in Damaskus und Tübingen begann Ajmman vor eineinhalb Jahren seine Fachausbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt im Klinikum Stuttgart. "Zu uns kommen Kinder aus ganz Deutschland", erklärt der angehende Facharzt, "denn wir sind ein spezialisiertes Zentrum für Atemwegsstenosen, also Verengungen der Luftröhre, und behandeln auch komplizierte Eingriffe".
Medizin sei schon immer sein Traumberuf gewesen, so Ajmman. Zum einen sei die Entwicklung im medizinischen Bereich faszinierend, aber vor allem mache ihm der Umgang mit Menschen große Freude. Es gebe nichts Schöneres als Menschen "ein gesünderes Leben anzubieten, Schmerzen zu lindern oder Krankheiten zu heilen. Das ist ein sehr befriedigendes Gefühl".
Saaid Ajmmann mit einer 14 Monate alten Patientin und ihren Eltern
Neben Kindern betreuen Ajmman und das HNO-Team auch Erwachsene. Ein 78-jähriger Mann hat ein eiergroßes Abszess am Hals. Der junge Arzt aus Syrien informiert den Patienten über den Ablauf der Operation und versucht ihn zu beruhigen. "Wir schauen jeden Tag, wie es Ihnen geht. Wenn etwas sein sollte, sagen Sie bitte Bescheid. Wir kümmern uns um sie."
15 Prozent der Ärzte haben einen nicht-deutschen Pass
Wie Ajmman kommen viele der im Bundesgebiet tätigen Ärzte aus dem Ausland. So haben im Klinikum Stuttgart rund 200 Ärzte einen nicht-deutschen Pass. "Das entspricht dem Bundesdurchschnitt", erklärt der Arzt Jan Steffen Jürgensen, Vorstand des Klinikums Stuttgart.
Von den insgesamt 428.000 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten in Deutschland kommen fast 15 Prozent aus einem anderen Land, so die aktuelle Statistik der Bundesärztekammer. Tendenz steigend. Darunter sind auch Ärzte und Ärztinnen aus Fluchtregionen, allein aus Syrien arbeiten 6.000 Ärzte in Deutschland.
"Natürlich können wir nicht auf 15 Prozent hochqualifizierter Fachkräfte im Klinikum Stuttgart verzichten", so Jürgensen weiter. Er höre von Unzufriedenheit, insbesondere auch im Südwesten, denn es gebe Schwierigkeiten, vor allem in ländlichen Regionen, überhaupt einen Arzt oder Facharzt zu finden. "Wir haben einen demografischen Wandel, ein Generationenwechsel ist in vollem Gange und wir haben ein Nachwuchsproblem. Dazu kommt die Forderung nach mehr Qualifizierung und Studienplätzen und insofern können wir nicht nur nicht verzichten, wir bräuchten im Prinzip mehr", so Jürgensen.
Klinikum hat Charta der Vielfalt unterzeichnet
Das Klinikum Stuttgart hat die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Dort arbeiten Menschen aus etwa 100 Nationen im Pflegebereich und in der Ärzteschaft. "Wir sind froh über diese kulturelle, sprachliche und soziale Kompetenz, die wir haben." Neben der hohen fachlichen Expertise sei das ein Riesenbeitrag, um die Patienten zu verstehen und adäquat versorgen zu können. "Auf sie zu verzichten, würde dramatische Einschränkungen bedeuten."
Diskriminierende Erfahrungen im Alltag
Ajmman begann nach dem Abitur sein Studium in der syrischen Hauptstadt Damaskus. 2014 tobte der Bürgerkrieg in Syrien im dritten Jahr. Seine Eltern fürchteten um das Leben ihres Sohnes und um seine Zukunft. Sie entschieden, dass der damals 18-Jährige sein Studium in Deutschland fortsetzen sollte. "Sie hatten große Angst, dass die Situation für uns immer schlimmer wird, vor allem nach den Sanktionen." Es sei so gut wie nichts mehr nach Syrien importiert worden. Auch im medizinischen Bereich hätten immer mehr Materialien aus dem Ausland gefehlt oder seien nur geringfügig zur Verfügung gestellt worden. "Das hat natürlich auch eine Rolle gespielt", so Ajmman.
Saaid Ajmann mit seinen Eltern
Der Abschied von seinen Eltern, seinen Verwandten und Freunden war hart. Denn er kam in ein Land, das ihm fremd war. "Für mich war die Sprache die krasseste Barriere, aber es hat sich im Verlauf ganz gut entwickelt", sagt Ajmman. Im Klinikum fühle er sich wohl, die Arbeit im Team funktioniere gut und die Patienten seien immer sehr dankbar. "Da fühle ich mich aufgehoben", so Ajmman.
Doch im Privaten habe er schon einige Male diskriminierende Erfahrungen gemacht. So wurde ihm nicht nur einmal von einem Türsteher der Zutritt zu einem Club verwehrt. "Bei einem habe ich sogar gehört, 'ich bin kein Rassist, aber Dunkelhäutige und Araber machen Ärger, wenn sie reinlaufen'. Das ist tatsächlich passiert."
Zweite Heimat Deutschland
Ajmman will in Deutschland bleiben und hat vor zwei Monaten einen Antrag auf Einbürgerung gestellt, denn nach zehn Jahren fühle er sich in Deutschland beheimatet. Doch ihn störe die Art und Weise, wie aktuell über Migranten und Geflüchtete gesprochen werde. Das ärgere ihn: "Leider ist das Bild der syrischen Bevölkerung sehr beeinträchtigt worden durch die letzten Ereignisse. Nur weil einige Personen irgendwas gemacht haben, heißt das nicht, dass die gesamte Gruppe so ist."
Ajmman will sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen, jedenfalls solange sich das Klima gegen Menschen anderer Herkunft, anderen Glaubens und anderen Aussehens nicht weiter verschlechtere. Im Bürgerkriegsland Syrien sieht er keine Perspektiven, auch wenn er große Sehnsucht nach seiner Familie hat. "Die Heimat bleibt die Heimat. Das kann man ja nicht ändern. Da wird auch immer so bleiben, aber ich finde, wenn man sich wie zuhause fühlt, eine Chance hat, sich eine Zukunft aufzubauen, dann kann man auch, das zweite Land ein Zuhause nennen. Man kann auch zwei Zuhause haben, nicht nur eins".