Kliniklandschaft vor Neuaufstellung Kranke Krankenhäuser
Krankenhäuser in Deutschland schlagen Alarm: Sie warnen vor einem finanziellen Desaster und fordern beim Krankenhaustag mehr Hilfen vom Bund. Wie Kliniken vor Ort versuchen, ihr Überleben zu sichern.
Hinter Dr. Isabella Jung-Schwandt liegen acht Stunden im OP. Jung-Schwandt ist Oberärztin im Krankenhaus Altenkirchen und ist dort unter anderem für Anästhesie zuständig. Nach Hause geht es für die 54-Jährige nach ihrer Schicht aber noch nicht. Im Betriebsrat setzt sie sich mit anderen Kollegen zusammen. "Es geht um die Sanierungspläne für unser Haus. Wird das so umgesetzt, ist das der Anfang vom Ende für das DRK-Krankenhaus in Altenkirchen." Vor drei Wochen habe die Geschäftsleitung ein Reformkonzept für fünf insolvente Standorte in Rheinland-Pfalz vorgeschlagen. Seitdem kocht die Stimmung in Altenkirchen.
"Laut Sanierungsplan soll die zentrale Notaufnahme und die Intensivstation geschlossen werden. Auch die allermeisten der 170 Betten werden abgebaut. Chirurgie, Urologie und Innere Medizin wären dann weg", schildert Jung-Schwandt. Stattdessen solle die Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgebaut werden. Damit wäre die Notfallversorgung für die Bevölkerung in Gefahr, warnt Jung-Schwandt.
Schwere oder lebensbedrohliche Verletzungen könnten bis auf weiteres nur im rund 40 Kilometer entfernten Umland behandelt werden. "Wir haben hier im Durchschnitt mindestens einen lebensbedrohlichen Fall pro Woche. Diese Wege sind für die Patienten viel zu lang. Ich hoffe, dass die Geschäftsleitung nochmal nachdenkt", sagt Jung-Schwandt. "Und was soll aus den Mitarbeitern werden? Viele haben jetzt schon lange Anfahrtswege. Wenn ihre Jobs auf noch weiter entfernte Standorte verlegt werden, dann wechseln viele in andere Branchen."
Alarmstimmung in Altenkirchen
Die Sanierungspläne treiben nicht nur das Krankenhauspersonal um, sondern auch viele Bürger auf die Straße: Vor zweieinhalb Wochen zog ein Demonstrationszug mit mehr als 700 Menschen bei strömenden Regen quer durch die Ortschaft - ein Großereignis für die sonst so ruhige Region. Viele machen sich Sorgen.
Einer davon ist Alexander Stahl. Der 47 Jahre alte Gymnasiallehrer schaut nachdenklich vom Vereinsheim auf den Fußballplatz des SSV Weyerbusch. Hier spielt gleich eine Jugendmannschaft, die er trainiert. Er ist auch der Vereinspräsident. "Wir haben hier bei Spielen und natürlich auch in der Schule mal Sportverletzungen. Natürlich kann man mit einem gebrochenen Bein eine Dreiviertelstunde länger fahren. Aber was passiert bei einem echten Notfall?", fragt Stahl. "Bleibt die medizinische Versorgung in der Region wirklich gesichert?"
Stahl erzählt von einem Fall, als ein Zuschauer bei einem Spiel plötzlich Anzeichen eines Herzinfarktes hatte und schnell ins Krankenhaus Altenkirchen gebracht wurde. "Dort wurde ihm geholfen. Aber hätte er in ein deutlich weiter gelegenes Krankenhaus geschafft?"
Die Ehefrau von Alexander Stahl ist Zahnärztin. Sie beobachte schon seit Jahren, dass in der Region ein Kollege nach dem anderen die Praxis dichtmache, erzählt der Gymnasiallehrer. Es gibt keine Nachfolger und auswärtige Ärzte wollen meist nicht in die ländliche Region. "Folgt jetzt noch das Krankenhaus mit dem sehr ausgedünnten Angebot, hat das eine negative Signalwirkung. Welche medizinischen Fachkräfte kommen denn dann noch hierher?"
Alexander Stahl hat ebenso wie viele Anwohner viele Fragen an die DRK-Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz. Auch Anfragen von tagesschau.de an Geschäftsführung und Pressestelle blieben unbeantwortet.
"Eine Neusortierung der Krankenhauslandschaft"
An der Hochschule RheinMain in Wiesbaden sitzt Thomas Kolb an seinem Schreibtisch. Vor ihm liegt eine Tageszeitung mit einem längeren Artikel über die Krise am Krankenhaus in Altenkirchen. "Das ist kein Einzelfall. Wir stehen vor einer Neusortierung der Krankenhauslandschaft - und die brauchen wir auch. In naher Zukunft dürfte die Entwicklung bundesweit an Fahrt aufnehmen", erklärt Kolb.
Er hat eine Professur für Gesundheitsmanagement und Rechnungswesen an der Hochschule. Kolb ist Gesundheitsökonom. "Ich verstehe den Frust und die Sorge der Menschen in Altenkirchen. Die medizinische Versorgung im dortigen Krankenhaus ist sicher gut", sagt Kolb. "Tatsache ist aber auch, dass sich der Standort betriebswirtschaftlich nicht rechnen kann. Es gibt nur 170 Betten. Die Fixkosten für ein breit gefächertes Klinikpersonal sind dafür zu hoch."
Bei 300 Betten liege in etwa die durchschnittliche Grenze, um Häuser auch finanziell solide führen zu können. Zudem gebe es auf Dauer nicht mehr genügend Personal, um auch in der breiten Fläche jedes Krankenhaus zu unterhalten. Das gelte vor allem für die Bereiche Pflege und Reha.
Echte Strukturreformen statt mehr Geld
Mehr Geld im Gesundheitssystem brauche es eigentlich nicht, sagt Kolb. "Wir geben jeden Tag etwa 750 Millionen in der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Damit sind wir international ganz vorne mit dabei." Für den Gesundheitsökonomen rächten sich jetzt Strukturfehler der Vergangenheit: "Leider hat die Politik nicht langfristig gedacht und gehandelt. Manche Politiker und Parteien haben damit geworben, 'wenn ihr uns wählt, dann bleibt ein Krankenhaus in der Region.' So sind über Jahrzehnte viele kleine Häuser in der Fläche erhalten geblieben oder erst entstanden", erklärt Kolb.
Stattdessen bräuchte es aber eine Konzentration vieler medizinischer Angebote in den Metropolen und auf dem Land hingegen eine solide Grundversorgung, die eine akute Notfallbehandlung einschließe. Die einzelnen Bundesländer müssten jetzt auch über ihre jeweiligen Landesgrenzen hinaus die stationäre und ambulante Versorgung inklusive Reha und Pflege abstimmen und verzahnen, appelliert Kolb. Die Politik brauche jetzt auch Mut für unliebsame Reformen, die sich dann aber langfristig auszuzahlen würden. "Machen wir das nicht, dann geraten noch viele weitere Krankenhäuser in die Insolvenz. Und dann muss man sich wirklich Sorgen machen."