Unterbringung für Geflüchtete Aus Turnhallen werden wieder Unterkünfte
Bundesweit stoßen Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten an die Belastungsgrenze. Eine Entwicklung mit Ansage, sagen Kommunalpolitiker: Bund und Länder hätten Einrichtungen längst ausbauen müssen.
Eine Turnhalle, unterteilt in 24 kleine Parzellen, abgetrennt durch Plastikplanen, jede drei mal drei Meter groß. Darin stehen Betten, es gibt Steckdosen und Licht. 45 Menschen hat die münsterländische Stadt Telgte hier untergebracht, notgedrungen, weil es keinen anderen Wohnraum gibt. Die 110 Wohnungen, die die Kleinstadt bereits für Geflüchtete angemietet hatte, sind voll.
Unzumutbar nennt Wolfgang Pieper, der Bürgermeister der 20.000-Einwohner-Stadt, die Situation. Unzumutbar für die Menschen, die hier oft mehrere Monate lang leben, ohne Privatsphäre. Unzumutbar auch für die Vereine und Schulen, die auf ihre Sportstätte verzichten müssen. "Aber da wir keine anderen Kapazitäten mehr haben und gleichzeitig die Zuweisungszahlen steigen, war das die einzige Lösung, die wir kurzfristig wählen konnten", sagt der Grünen-Politiker.
Stockbetten, abgetrennt durch Plastikplanen: Eine provisorische Unterkunft in der Turnhalle in Telgte.
Kommunen am Limit
Man wolle helfen und sei gleichzeitig am Limit, sagt Pieper, und er ist damit nicht allein. Überall in Deutschland klagen Kommunen, dass sie mehr Geflüchtete aufnehmen müssen, als sie Platz haben. Es fehle nicht nur Wohnraum, sondern auch Kita- und Schulplätze, Geld und Personal, sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds.
Auch im nordrhein-westfälischen Kevelaer mussten sie wieder eine Turnhalle reaktivieren - eine zweite könnte folgen. Bis zum Sommer habe man vom Land Nordrhein-Westfalen so viele Geflüchtete zugewiesen bekommen wie im gesamten vergangenen Jahr, sagt der Bürgermeister der Stadt, Dominik Pichler.
Eine Entwicklung mit Ansage sei das, denn das Land Nordrhein-Westfalen habe eigene Einrichtungen nicht im notwendigen Maß ausgebaut, sagt der SPD-Politiker. "Und wie das so üblich ist, wird das dann weitergereicht, ans nächste Glied in der Kette. Das sind die Kommunen - und die müssen jetzt gucken, wie sie klar kommen."
Zahl der Asylanträge steigt um 78 Prozent
Bundesweit ist die Zahl der Asylanträge in diesem Jahr stark gestiegen. Von Januar bis August 2023 wurden 204.461 Erstanträge auf Asyl gestellt, wie Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zeigen. Das sind rund 77 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dazu kommen die Geflüchteten aus der Ukraine, die in den Asyl-Zahlen nicht mit erfasst werden.
Der Städte- und Gemeindebund sieht den Bund und die Länder in der Pflicht. "Wir brauchen mehr Erstaufnahme-Einrichtungen der Länder und auch des Bundes. Und wir wollen, dass nur die Personen auf die Kommunen verteilt werden, die auch eine Bleibe-Perspektive haben", fordert Hauptgeschäftsführer Landsberg. Es müsse auch mehr Geld fließen, denn in vielen Kommunen seien die finanziellen Mittel ausgeschöpft.
Sorge um schwindende Akzeptanz
Die Kommunen fürchten neben den finanziellen Belastungen auch die Folgen für das gesellschaftliche Miteinander. In Telgte sei die Motivation bei den Mitarbeitern und Ehrenamtlichen weiterhin groß, trotz aller Schwierigkeiten, sagt Bürgermeister Pieper. Auch aus der Bevölkerung komme viel Verständnis. Aber wie lange noch?
"Wenn eine deutsche Familie keine Wohnung findet, aber Geflüchtete durch die Stadt Telgte in Wohnungen untergebracht werden, dann wirft das Fragen auf. Dann bringt das Reibungspunkte", sagt Bürgermeister Pieper. "Und ich merke natürlich, dass die Luft ein bisschen dünner wird, wenn es darum geht, neue Standorte für die Unterbringung Geflüchteter ausfindig zu machen, Akzeptanz zu schaffen."
Um die Situation zumindest mittelfristig zu entspannen, baut die Stadt Telgte nun an verschiedenen Orten Containerwohnanlagen. Doch auch das kostet viel Geld. Geld, das die Stadt eigentlich nicht hat.