Kirchentag in Nürnberg Balsam für die evangelische Seele
Beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg haben sich Gläubige, Politiker und Interessierte mit den Themen Klimakrise, Krieg und Demokratie beschäftigt. Das Fazit: teils kontroverse Debatten, aber kein Populismus.
Fünf Tage in Nürnberg: fünf Tage Diskussionen, Workshops, Gottesdienste, Konzerte. Was bleibt? Zuerst das Gefühl, dass es noch etwas Anderes gibt als vergiftete Debatten, Schlammschlachten in sozialen Netzwerken, Auseinandersetzungen nach dem Gut-Böse-Schnittmuster.
Das ist der Anspruch eines Kirchentags: Menschen mit unterschiedlichen Meinungen, aus unterschiedlichen Generationen zusammenzubringen. Menschen guten Willens. Dennoch wurde auf den Podien nicht weniger leidenschaftlich, nicht weniger kontrovers diskutiert. Auseinandersetzung geht auch ohne populistische Zuspitzung.
Debattenkultur abseits von Schwarz-Weiß-Denken
Eine Sternstunde war die Diskussion, die Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Carla Hinrichs von der "Letzten Generation" führte. Die Aufmerksamkeit für diesen Termin nutzten Klimaaktivisten, um den Platz vor dem Nürnberger Hauptbahnhof zu blockieren. Habeck sagte, er finde solche Aktionen kontraproduktiv: "Dieser Protest verhindert eine Mehrheit für Klimaschutz." Carla Hinrichs sieht sich dagegen als Feueralarm: "Das Haus brennt."
Gelöst wurde der Konflikt nicht, das ist auch nicht Aufgabe des Kirchentags. Es geht um eine Debattenkultur abseits vom Schwarz-Weiß-Schema, um einen respektvollen Umgang miteinander. Oder mit den Worten von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière: "Einmal den Gedanken zulassen, der oder die andere könnte doch recht haben."
Friedensdebatte im Dilemma
Zum Beispiel bei der Diskussion um Krieg und Frieden. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche Friedrich Kramer brachte den Protest vieler Christinnen und Christen gegen Waffenexporte in die Ukraine mit zum Kirchentag. Er wurde deshalb nicht ausgebuht, nicht als Putin-Versteher verunglimpft. Auch wenn die Mehrheit der Kirchentagsgemeinde und der Kirchenspitze die Ukraine militärisch unterstützen will.
Das Dilemma der Kirche: Christlich motivierter Pazifismus verpflichtet zur Gewaltlosigkeit. Andererseits: Solidarität mit Bedrängten und Verfolgten. Auflösen lässt sich dieses Dilemma nicht - aber zur Sprache bringen.
Kirchentag als Lebenszeichen
Der Nürnberger Kirchentag war Balsam für die evangelische Seele. Endlich wieder analog treffen - nach vier Jahren Corona-Pause. Zehntausende Menschen dicht an dicht bei Konzerten und Gottesdiensten auf den Plätzen in der Nürnberger Altstadt. Vor Hallen die Schilder: "Wegen Überfüllung geschlossen".
Das ist ein Lebenszeichen nach Jahren, in denen die evangelische Kirche vor allem wegen hoher Austrittszahlen von sich reden machte. Dazu Spitzenpolitiker - vom Bundespräsidenten bis zum Bayerischen Ministerpräsidenten - die den Kirchen versichern: "Ihr seid unverzichtbar für unsere Gesellschaft." Die Kirchen dürfen sich von solchen Bekundungen nicht einlullen lassen. Das Christentum wird zur Minderheitenreligion im Land. Die Kirche muss und wird sich verändern - auch der Kirchentag.