
Mediale Berichterstattung Initiative kürt "vergessene Nachrichten 2025"
Deutsche Waffen in den Händen von Kindersoldaten, Flüchtlingslager auf Samos und verbotene NGOs in Äthiopien - das sind drei "vergessene Nachrichten". Eine Initiative macht jedes Jahr mit einer Liste darauf aufmerksam.
Deutsche Rüstungsexporte, die letztlich in die Hände von Kindersoldaten geraten, stehen auf Platz eins der Rangliste der "vergessenen Nachrichten" des Jahres 2025. Das gab die "Initiative Nachrichtenaufklärung" (INA) in Köln bekannt. Trotz internationaler Abkommen habe Deutschland seine Rüstungspolitik nicht ausreichend angepasst, um zu verhindern, dass Kindersoldaten mit deutschen Waffen ausgerüstet werden.
"In deutschen Medien wird darüber praktisch nicht berichtet", kritisiert die Initiative, die die Rangliste einmal im Jahr gemeinsam mit dem Deutschlandradio herausgibt.
Vergessenes Flüchtlingslager auf Samos
Auf dem zweiten Rang platzierte die Jury aus Wissenschaftlern und Journalisten die Zustände im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos. Demnach bemängeln sie eine "weiterhin menschenunwürdigen Zustände, mangelnde Versorgung und die Perspektivlosigkeit der Geflüchteten". Die mediale Aufmerksamkeit sei stark zurückgegangen und die drängenden Probleme somit aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, kritisiert die Jury.
Den dritten Platz belegt das Verbot von Menschenrechtsorganisationen in Äthiopien. Nach dem Ende des Krieges in der Region Tigray habe das Medieninteresse an den Vorgängen in Äthiopien stark nachgelassen, obwohl Deutschland als Mitglied des UN-Menschenrechtsrats mit seinem Abstimmungsverhalten mit dafür verantwortlich sei, dass internationale Kontrollmechanismen geschwächt worden seien. Über die Verbote von Organisationen sei praktisch nicht berichtet worden.
Wahlkampf als Negativbeispiel
"Wir sehen aktuell eine echte Nachrichtenschwemme in den Sozialen Medien und gleichzeitig eine starke Themenverengung. Beispielhaft dafür ist der jüngste Wahlkampf, in dem es fast ausschließlich um Migration, Inflation und Verteidigung ging, weil davon zunächst die Sozialen Medien geflutet wurden und der überwiegende Teil der Medien auf genau diesen Zug aufgesprungen ist", so Hektor Haarkötter, INA-Vorsitzender und Professor für politische Kommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Wir möchten dafür werben, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten und den Blick wieder zu weiten."
Auf den hinteren Plätzen der Top-Ten-Liste stehen Themen wie Wohnungslosigkeit trotz fester Anstellung, politischer Druck auf Beamte durch Änderungen im Beamtengesetz oder Bildungsungerechtigkeit für Pflege- und Heimkinder. Auch die rückläufige Zahl schwerer Arbeitsunfälle, Vorurteile gegen Migrationen im Gesundheitssystem, die nicht aufgearbeitete Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik und die sogenannte Erdrosselungsgrenze im Steuerrecht seien vom deutschen Journalismus nicht ausreichend beachtet worden.
Vollständige Liste der "Vergessenen Nachrichten" 2025
Die folgende Liste zeigt die Top 10 der "Vergessenen Nachrichten" und die wörtliche Begründung der Jury:
Platz 1: Deutsche Rüstungsexporte für Kindersoldaten
"Weltweit werden über 250.000 Kinder und Jugendliche in militärischen Konflikten und kriegerischen Handlungen eingesetzt, wobei Kleinwaffen eine zentrale Rolle spielen. Deutschland, als zweitgrößter Exporteur von Kleinwaffen, hat trotz internationaler Abkommen seine Rüstungspolitik nicht ausreichend angepasst. Exportgenehmigungen für Kleinwaffen erfolgen oft ohne strenge Kontrollen, sodass der Endverbleib der Waffen unklar bleibt. NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten werden bei Exporten bevorzugt, was den Waffenfluss in Länder mit Kinderrechtsverletzungen erleichtert. Kontrolle und Durchsetzung der Exportregeln sind mangelhaft. Ein Umdenken in der Rüstungspolitik der deutschen Bundesregierung ist bislang nicht in Sicht. In deutschen Medien wird darüber praktisch nicht berichtet."
Platz 2: Flüchtlingslager auf Samos
"Nach dem medialen Aufschrei über der Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria im Jahr 2020 wurde auf der griechischen Insel Samos ein neues "Closed Controlled Access Centre" (CCAC) errichtet, das angeblich die Lebensbedingungen der Geflüchteten verbessern sollte. Allerdings bemängeln Kritiker:innen die weiterhin menschenunwürdigen Zustände, mangelnde Versorgung und die Perspektivlosigkeit der Geflüchteten. Doch die mediale Aufmerksamkeit für die Missstände in den Lagern ist stark zurückgegangen - die drängenden Probleme sind aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Die Thematik ist auch für Deutschland relevant, da die Situation auf Samos die europäische Flüchtlingspolitik widerspiegelt und die Integration von Geflüchteten, insbesondere als Arbeitskräfte zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, eine entscheidende Rolle in der politischen Debatte über Asylrecht und Arbeitsmarkt spielt."
Platz 2 Verbot von Menschenrechtsorganisationen in Äthiopien
"In Äthiopien verschärft die Regierung die Repression. Mehrere Menschenrechtsorganisationen wurden im November 2024 verboten. Deutschland hat als Mitglied des UN-Menschenrechtsrates durch seine Enthaltung bei wichtigen Abstimmungen internationale Kontrollmechanismen geschwächt, was die Straflosigkeit im Land begünstigt. Angesichts der geopolitischen Bedeutung Äthiopiens und der anstehenden Wahlen 2026 ist verstärkter internationaler Druck notwendig, um Menschenrechte zu schützen und langfristige Stabilität zu sichern. In den deutschen und internationalen Medien aber ist Äthiopien weitgehend kein Thema mehr nach dem Ende des großen Krieges, der mit dem Einmarsch der Zentralregierung in Tigray begann und zwischenzeitlich weite Teile Äthiopiens erfasste. Über die Verbote wurde praktisch nicht berichtet."
Platz 4: Obdachlos trotz Job
"Mehr als eine halbe Million Menschen leben in Deutschland ohne Wohnung - einige, obwohl sie Vollzeit erwerbstätig sind. Die Zahl urbaner, arbeitender Nomaden hat sich in den letzten Jahren verdoppelt, denn nicht einmal in Randlagen der Städte können sie sich ein Zimmer leisten. Das Problem der Obdachlosigkeit hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht, wird von den Medien aber weitestgehend vernachlässigt."
Platz 5: Schnellere Entlassung von Beamten
"Der Bundestag hat ein brisantes Gesetz verabschiedet: Statt eines langwierigen Entscheidungsprozesses mittels Disziplinarklagen durch Gerichte sind nun Vorgesetzte durch Disziplinarverfahren dazu befähigt, über die Entlassung von Beamten mit verfassungsfeindlicher Gesinnung zu entscheiden. Das Bundesinnenministerium verspricht sich davon ein effizienteres Vorgehen gegen Extremismus in Behörden. Doch die Opposition und Beamtengewerkschaften schlagen Alarm - sie sehen darin ein massives Misstrauensvotum gegenüber Staatsbediensteten und eine Tür für potenziellen Machtmissbrauch geöffnet. Während dem Gesetz in den Medien kaum Aufmerksamkeit zugekommen ist und es öffentlich nicht kontrovers diskutiert wurde, bleibt die zentrale Frage: Ist das wirklich der richtige Weg?"
Platz 6: Bildungsrechtigkeit für Heim- und Pflegekinder
"Wenn in Familien Missstände herrschen, werden Kinder und Jugendliche häufig in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht. Dieser Bericht untersucht, ob sie dort einen angemessenen Zugang zu Bildung erhalten. Das Thema ist besonders relevant, da es sich um eine vulnerable Gruppe unserer Gesellschaft handelt, die auch in der medialen Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit verdient. Zudem wurde dieses Thema bislang in keinem größeren Medium umfassend behandelt."
Platz 7: Deutlich weniger tödliche Arbeitsunfälle
"Die Zahl tödlicher Arbeitsunfälle in Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen und hat 2023 ein Allzeittief erreicht. Verbesserte Arbeitsschutzmaßnahmen und die Zunahme von Home-Office-Arbeit haben wesentlich dazu beigetragen, das Unfallrisiko zu senken. Wenngleich in Branchen wie dem Baugewerbe und der Forstwirtschaft tödliche Unfälle nach wie vor geschehen, zeigen auch hier der Einsatz von Sicherheitsausrüstung und Schulungen Erfolge. Themen aus der Arbeitswelt erhalten in den Medien insgesamt wenig Raum, obwohl diese ein so wichtiger Bestandteil des Lebens ist. Hier ist mal eine positive Nachricht, die aber medial kaum Beachtung findet."
Platz 8: "Morbus Mediterraneus" - Wenn kulturelle Vorurteile die Diagnose beeinflussen
"Menschen aus südländischen Ländern berichteten häufig von schmerzhaften medizinischen Erfahrungen, die durch Missverständnisse und kulturelle Unterschiede verursacht wurden. Der Begriff "Morbus Mediterraneus" beschreibt diese vermeintlich übersteigerte Schmerzwahrnehmung und kam während der ersten Welle der Arbeitsmigration auf. Mediziner gehen davon aus, dass unterschiedliche Schmerzäußerungen und sprachliche Hürden zu Fehleinschätzungen führten. Studien zeigen, dass Diskriminierung im Gesundheitswesen systematisch auftritt und besonders Frauen, Muslime, Schwarze und Asiaten betrifft. Laut einer Studie mussten 34,4 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund schon ihre Ärzte aufgrund von Diskriminierung wechseln. Kulturelle Schulungen für medizinisches Personal und eine stärkere Repräsentation von Migranten im Gesundheitswesen sind notwendig, um diese Missstände zu beheben. Berichtet wird über diese Form medizinischer Diskrimierung in deutschen Medien viel zu wenig."
Platz 9: Betrug an Vertragsarbeitern aus Mosambik
"Seit über 30 Jahren kämpfen sie um das, was ihnen zusteht - und doch drohen ihre Forderungen ins Leere zu laufen: Rund 17.000 Mosambikanerinnen und Mosambiker kamen einst als Vertragsarbeitskräfte in die DDR, wurden dafür aber nie vollständig entlohnt. Bis zu 60 Prozent des Gehalts wurden einbehalten und mit Mosambiks Schuldentilgung verrechnet. Das Unrecht, das den Menschen widerfahren ist, wird zwar mittlerweile anerkannt, Entschädigungszahlungen an die Betroffenen erfolgten bislang jedoch nicht."
Platz 10: Erdrosselungsgrenze - Wenn steuerliche Belastungen die Existenz gefährden
"Hinter dem Wort Erdrosselungsgrenze verbirgt sich theoretisch ein juristischer Schutz für Bürgerinnen und Bürger. Sie stellt sicher, dass Steuern niemanden wirtschaftlich überfordern dürfen, dass Abgaben also die Abgabepflichtigen nicht "erdrosseln". Ab wann Steuern existenzbedrohend hoch sind, darüber entscheiden die Gerichte. Doch die haben noch nie festgestellt, dass diese Grenze erreicht wurde. Das Thema wird vernachlässigt, weil Medien zwar über Steuererhöhungen und deren Folgen berichten, die Erdrosselungsgrenze als rechtliche Begrenzung dabei jedoch nicht thematisieren."