Teil-Impfpflicht Ungeimpft, aber unverzichtbar
Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird zunehmend infrage gestellt. Dabei wird die Regel schon jetzt recht frei interpretiert - wenn auch nicht in jedem Bundesland.
Früher war Lisa Wolf Kauffrau für Büromanagement, saß den ganzen Tag vor dem Bildschirm und vermisste den Kontakt zu anderen Menschen. Jetzt arbeitet sie im Pflegeheim und sagt, sie habe ihren Traumjob gefunden, auch wenn der hart ist: Schichtdienst, Personalmangel, körperlicher Dauereinsatz.
Einen Ausbildungsplatz zur Pflegefachkraft hatte sie auch schon sicher, aber daraus wird vorerst nichts mehr. Wolf ist nicht geimpft und hat es auch nicht vor. Sie fürchtet sich vor Impfnebenwirkungen. Das wird ihr zum Verhängnis, denn die einrichtungsbezogene Impfpflicht verbietet es den Arbeitgebern, neue Arbeitsverträge mit ungeimpften Bewerbern abzuschließen.
Wolfs Arbeitsvertrag als Pflegehilfskraft läuft erst einmal weiter - allerdings könnte es auch mit diesem Job bald vorbei sein. Denn ihr Impfpflicht-Verfahren beim Gesundheitsamt Saarbrücken ist auf der Zielgeraden. Noch im August, befürchtet Wolf, könnte der entscheidende Brief bei ihr ankommen: Betretungsverbot. Ein Ausblick, der hilflos macht: "Wir Kollegen verstehen uns untereinander super. Und es wachsen einem ja auch die Bewohner ans Herz, irgendwo. Dann aus dem gewohnten Umfeld, aus dem guten Arbeitsverhältnis gehen zu müssen, das frustriert."
Viele Bundesländer halten sich zurück
Eigentlich ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht bundesweit gleich - doch die Praxis zeigt, dass ungeimpfte Pflegekräfte nicht in allen Bundesländern fürchten müssen, den Job zu verlieren. Nur Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz haben überhaupt schon Betretungsverbote verhängt. Die meisten anderen Bundesländer halten sich zurück. Viele verweisen auf den großen Ermessensspielraum der Gesundheitsämter - ein kaum verhohlener Wink in Richtung der Ämter, Entscheidungen großzügig zu fällen.
Das Saarland sieht das anders: "Es ist nun mal ein Gesetz, egal wie man dazu steht", sagt Landkreistag-Chef Udo Recktenwald von der CDU. "Es kann nicht sein, dass es hier einen Überbietungs- oder Unterbietungswettbewerb der Bundesländer gibt." Die "Saarbrücker Zeitung" zitiert SPD-Gesundheitsminister Magnus Jung, es sei klar gewesen, dass das Land den einen oder anderen in der Pflege verlieren würde. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei nach wie vor richtig.
Landkreistag-Chef Udo Recktenwald: "Es ist nun mal ein Gesetz, egal wie man dazu steht."
Debatte über Impfpflicht
Damit liegt Jung ganz auf der Linie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Auch der hält an seiner Meinung fest, obwohl sich immer lautere Kritik regt, zuletzt von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Zwar helfe die Impfung gegen schwere Erkrankungen, sagte deren Vorstandsvorsitzender Gerald Gaß am Mittwoch. Der eigentliche Grund der Impfpflicht - dass Geimpfte das Virus kaum mehr weitertragen - sei aber mit der Omikron-Variante hinfällig geworden. Auf absehbare Zeit könne der Bundesgesundheitsminister die Impfpflicht aussetzen.
Dass aber vorerst etwas passiert, ist unwahrscheinlich. Die Gesundheitsämter im Saarland arbeiten an den Verfahren weiter. Eine niedrige dreistellige Zahl an Mitarbeitern könnte ihren Job vorerst verlieren.
Dass Wolf dazu gehören wird, ist aber noch gar nicht endgültig, sagt Beatrice Zeiger von der saarländischen Arbeitskammer: Die Arbeitgeber könnten gegenüber dem Gesundheitsamt begründen, warum die ungeimpften Pflegekräfte unentbehrlich seien - und das sei der Fall, wenn dadurch die Versorgung der Patienten oder Bewohner zusammenbräche. "Das ist ja für die Einrichtungen ein Horrorszenario: Wenn eine Person stirbt, weil keiner daneben stehen kann, der sie pflegt."
Beatrice Zeiger von der saarländischen Arbeitskammer: "Für die Einrichtungen ein Horrorszenario: Wenn eine Person stirbt, weil keiner daneben stehen kann, der sie pflegt."
"Dünne Personaldecke"
Wolfs Chefin wird ihre ungeimpfte Mitarbeiterin beim Amt als unentbehrlich melden. "Bei der dünnen Personaldecke auch noch Mitarbeiter abzugeben, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Dass unsere Politik da so reagiert, das ist echt traurig", sagt die Heimleiterin.
Für Wolf wäre die Einstufung als unentbehrlich der glimpflichste Ausgang. Ansonsten müsste sie zurück in ihren alten Job, zurück vor den Bildschirm, zumindest bis Ende Dezember. Dann läuft die Impfpflicht aus. Eine Verlängerung ist nicht in Sicht. Dann könnte sie den nächsten Anlauf starten, endlich Pflegefachkraft zu werden.