Überflutungen im Norden und Osten Wassermassen drücken auf Häuser und Deiche
Überflutete Ortsteile, evakuierte Menschen und Tiere: In Ost- und Norddeutschland hält das Hochwasser an. Niedersachsens Ministerpräsident Weil spricht von einem "nie dagewesenen Ausmaß". Einsatzkräfte kritisieren Schaulustige.
In Teilen Nord- und Ostdeutschlands bleibt die Hochwasserlage bedrohlich. In Niedersachsen ist sie nach den Worten von Ministerpräsident Stephan Weil sogar so angespannt wie nie. "Ein Hochwasser diesen Ausmaßes hat es hier bei uns zuvor nie gegeben", beschrieb es der SPD-Politiker in einer Mitteilung. "Experten warnen seit Langem davor, dass die immer häufigeren Wetterextreme mit dem Klimawandel zusammenhängen", so Weil. Man müsse in der Zukunft das Engagement in der Hochwasserprävention weiter verstärken sowie den CO2-Ausstoß dringend weiter reduzieren.
Laut Weil sind im Bundesland mehr als 100.000 Menschen im Einsatz gegen das Hochwasser. "Die Bilder gleichen sich und doch sind sie vielerorts erschreckend: Riesige Wassermassen dort, wo sich sonst vergleichsweise kleine Flüsse durch die Landschaft schlängeln, mit Sandsäcken verstärkte Deichanlagen, Pumpen im Dauerbetrieb." Mehrere Bundesländer helfen mit Sandsäcken und Feuerwehrhilfstrupps.
In Niedersachsen sei bis zum Nachmittag in sechs Landkreisen sowie der Stadt Oldenburg ein sogenanntes außergewöhnliches Ereignis festgestellt worden, teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit - unter anderem in Verden an der Aller. Durch die Feststellung eines außergewöhnlichen Ereignisses können Landkreise beispielsweise einfacher auf Hilfskräfte zugreifen.
Niedersachsens Ministerpräsident besuchte Hodenhagen an der Aller.
Wasser in Wohngegenden gedrückt
Im Serengeti-Park im niedersächsischen Hodenhagen wurden erste Tiere evakuiert. In einigen Stallungen der Dschungel-Safari mit mehr als 200 Affen sei Wasser eingedrungen, sagte eine Sprecherin. Neben Lemuren und Varis mussten auch Präriehunde und Erdmännchen ihre Gehege verlassen und seien nun woanders auf dem Gelände nördlich von Hannover untergebracht.
Aus Verden an der Aller berichtete ARD-Korrespondentin Sophie Mühlmann von aufgeweichten Böden. Das Wasser steige "viel, viel schneller", als die Feuerwehr erwartet habe. Es werde in Wohnstraßen in Ufernähe gedrückt, Häuser teils unterspült. Trotz des Einsatzes von etwa Sandsäcken seien Gemäuer wie Boden durchweicht.
Zahlreiche Pegel lagen über der höchsten Meldestufe - insbesondere im südlichen Teil des Bundeslands, wie der Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz (NLWKN) mitteilte. In Drakenburg bei Nienburg an der Weser wurde den Angaben nach der historische Wasserstand von 1981 mit 834 Zentimetern überschritten. Der Scheitel werde dort in dieser Nacht erwartet, weiter flussabwärts in Richtung Bremen erst in der Nacht zu Samstag.
Schaulustige, Diebstahl und Streit
Die Hochwasserlage in Lilienthal nördlich von Bremen ist ebenfalls weiter angespannt. In der Gemeinde wurden in den vergangenen Tagen an mehreren Stellen Deiche stärker beschädigt. Inzwischen wurde wegen des befürchteten Deichbruchs Entwarnung gegeben. In Meppen haben zahlreiche Schaulustige die Arbeit von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk (THW) behindert. Der Hochwassertourismus gefährde den Einsatz, kritisierte Feuerwehrsprecher Sven Lammers.
Die Feuerwehren haben noch mit anderen Problemen zu kämpfen: Ihnen werden Hilfsmittel geklaut. "Sandsäcke, die an Deichen verbaut sind, werden von Anwohnern weggeholt, weil sie selber keine Sandsäcke haben, um ihre Häuser zu schützen", sagte der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbands, Karl-Heinz Banse. Es gebe Beleidigungen und Diskussionen mit Betroffenen, warum in bestimmten Straßen zuerst Wasser abgepumpt würde. "Warum hat mein Nachbar vorher die Feuerwehr im Keller als ich? Da gibt es viel, viel Streitereien", sagte Banse.
Das 150 Jahre alte Pretziener Wehr wurde zuletzt vor zehn Jahren geöffnet.
Wehr im Raum Magdeburg geöffnet
Zur Entschärfung der Situation im Raum Magdeburg öffnete der Landesbetrieb für Hochwasserschutz am Donnerstag das etwa 135 Meter lange Pretziener Wehr. Damit wird jetzt etwa ein Drittel des Elbe-Wassers an den Städten Magdeburg und Schönebeck vorbei durch einen Kanal geleitet, ehe es wieder in die Elbe fließt.
Die Wasserstände in den sächsischen Flüssen fallen inzwischen wieder - mit einer Ausnahme. Das Hochwasser der Elbe stieg in Sachsen noch langsam. Am frühen Nachmittag wurde in Dresden ein Pegelstand von 5,92 Meter gemessen. Das war weiterhin knapp unter der Sechs-Meter-Marke, ab der die zweithöchste Alarmstufe gelten würde. Die Landeshochwasserzentrale rechnete damit, dass diese Grenze am Morgen überschritten wird - allerdings mit maximal 6,01 Meter nur sehr geringfügig. Üblich ist in der Elbe in der Landeshauptstadt ein Wasserstand von zwei Metern.
Aus der Talsperre Kelbra in Sachsen-Anhalt war bereits zuvor Wasser abgelassen worden. Dadurch stieg der Wasserstand des Flusses Helme und gefährdet nun nach Behördenangaben einen Ortsteil im Kyffhäuserkreis in Thüringen. Einsatzkräfte bauen laut Innenministerium dort Sandsäcke am Flussufer auf, um ein Überlaufen des Wassers in den kleinen Ort mit etwa 30 Häusern zu verhindern. Am Nachmittag entschieden die zuständigen Behörden beider Bundesländer, den in Sachsen-Anhalt liegenden Helme-Deich gezielt zu öffnen, um das Wasser auf umliegende Felder abzuleiten.
Rückkehr nach Windehausen möglich
Die Bewohner des wegen Hochwassers evakuierten Ortes Windehausen in Thüringen können indes in ihre Häuser zurückkehren. Er habe die Anordnung zur Evakuierung am Vormittag aufgehoben, sagte Bürgermeister Matthias Marquardt. Nachdem Stromversorgung und Abwasserentsorgung wieder funktionierten, seien die Gründe für die Evakuierung weggefallen.
Windehausen war Weihnachten von Schmelzwasser aus dem Fluss Zorge und nach oben gedrücktem Grundwasser überflutet worden. Am ersten Feiertag hatte das Wasser dem Bürgermeister zufolge um die 70 Zentimeter hoch auf den Straßen gestanden. 400 der 500 Einwohner folgten der Aufforderung zur freiwilligen Evakuierung.
Eine komplette Entspannung deutet sich bei der Hochwasserlage weiter nicht an. Zwar werde in den nächsten Tagen insgesamt nicht mehr so viel Regen wie um Weihnachten erwartet, so Meteorologe Marcel Schmid vom Deutschen Wetterdienst (DWD). "Allerdings ist jeder Tropfen eigentlich einer zu viel." Am Freitag könne es immer wieder einmal regnen - insbesondere im Umfeld von Harz, Bergischem Land, Sauer- und Siegerland.