Das Wort "Impfung" steht auf dem Boden einer Apotheke.
faq

Hersteller von Covid-19-Vakzinen Welche Aussichten haben Klagen wegen Impfschäden?

Stand: 03.07.2023 06:29 Uhr

Zwei Gerichte in Deutschland verhandeln heute über Klagen gegen Hersteller von Covid-19-Vakzinen wegen vermuteter Impfschäden. Wann aber liegt überhaupt ein Impfschaden vor? Und wie aussichtsreich sind diese Klagen?

Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion

Wie viele Klagen gibt es?

Mehr als 192 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 wurden in Deutschland seit Beginn der Impfkampagne verabreicht. Die Bundesregierung warb seinerzeit ausdrücklich für die Vakzine. Kritiker dagegen befürchteten, dass in der Bevölkerung massenweise Impfschäden auftreten.

Keine Einigung in Rottweiler Prozess gegen BioNTech wegen vermuteten Impfschäden eines Klägers

Jenni Rieger, SWR, tagesschau, 03.07.2023 20:00 Uhr

Gemessen an der Zahl der verabreichten Impfungen ist die Zahl der Fälle, die bislang vor Gericht gelandet sind, überschaubar. Es sind vor allem zwei Kanzleien, die nach eigenen Angaben den Großteil der Mandanten vertreten, die Schadensersatz wegen möglicher Impfschäden geltend machen. Insgesamt hätten sie bis Juni laut Nachrichtenagentur dpa rund 350 Klagen eingereicht.

Worüber genau verhandelt das Landgericht Rottweil?

Einer der Kläger ist Dietmar S. Er verlangt vom Mainzer Unternehmen BioNTech Schmerzensgeld in Höhe von 150.000 Euro. Das Landgericht im schwäbischen Rottweil verhandelt nun mündlich über diesen Fall. S. hat auf einem Auge nahezu die vollständige Sehkraft verloren. Er sieht die Ursache dafür in der kurz zuvor erhaltenen Impfung mit dem BioNTech-Vakzin "Comirnaty".

Das Unternehmen selbst sieht es anders: "Wir haben die vom Kläger dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der Grundlage aller zur Verfügung gestellten Informationen sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klage unbegründet ist", sagte eine Sprecherin.

Wo liegen die rechtlichen Knackpunkte bei Klagen gegen Hersteller?

Vor Gericht wird es bei diesen Klagen im Wesentlichen um zwei Punkte gehen: Zunächst darum, ob die von den Klägerinnen und Klägern geltend gemachten Schäden mehr sind, als bereits bekannte Nebenwirkungen. Nur falls dem so ist und diese Schäden zudem auch tatsächlich auf die Covid-Impfungen zurückzuführen sind, wären es "richtige" Impfschäden.

Was wäre kein Impfschaden?

Nach Paragraf 84 Arzneimittelgesetz (AMG) ist der Hersteller zum Schadensersatz verpflichtet, wenn das Arzneimittel (oder eben der Impfstoff) bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die "über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen".

Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits bekannte Nebenwirkungen vertretbar sind, wenn das Arzneimittel zugelassen ist. "Deshalb sind Verletzungen nicht ersatzfähig, die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat eingeordnet werden, weil und soweit sie beim Gebrauch von Arzneimitteln vom Verkehr hingenommen werden", hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden.

Der jeweils geltend gemachte Impfschaden müsste also zunächst "mehr" sein als nur eine bekannte Nebenwirkung, auf die schon vorab hingewiesen wurde. In dem Karlsruher Fall ging es zwar nicht um eine Covid-19-Impfung, aber diese Maßstäbe gelten auch für solche Fälle.

Der Münchner Rechtsanwalt Thomas Klindt, Fachmann für Produkthaftungsrecht, erklärt dazu: "Die allermeisten Medikamente und Impfstoffe können Nebenwirkungen haben, aber das akzeptieren wir, weil der Nutzen dieser Mittel das Risiko der Nebenwirkungen überwiegt." Wenn sich dann aber eine der bekannten möglichen Nebenwirkungen verwirkliche, könne man gerade nicht den Hersteller dafür haftbar machen.

Inwiefern muss der Schaden auf die Impfung zurückzuführen sein?

In einem zweiten Schritt müsste dann geklärt werden: Ist dieser Schaden auf die Impfung zurückzuführen? An diesem Punkt erleichtert der zweite Absatz des Paragrafen 84 AMG Klägern und Klägerinnen die Sache: "Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist", heißt es da.

Die Kausalität zwischen Schadenseintritt und Impfung wird also vom Gesetz zunächst mal unterstellt. Voraussetzung dafür ist allerdings: Der Impfstoff muss pharmakologisch überhaupt geeignet sein, einen entsprechenden Schaden hervorzurufen. Diese Unterstellung kann allerdings widerlegt werden. Denn sie gilt nicht, wenn im konkreten Fall ein anderer Umstand geeignet ist, den Schaden zu verursachen. "An dieser Stelle wird es in diesen Verfahren wohl nicht ohne aufwändige medizinische Gutachten gehen", vermutet Jurist Klindt. "Denn an dieser Stelle werden dann Kläger und Beklagte darum streiten, ob auch andere Ursachen für den konkreten Schaden in Frage kommen."

Kommen auch weitere Ansprüche in Betracht?

Neben den Klagen gegen die Hersteller der Impfstoffe könnten Opfer von Impfschäden auch Geld vom Staat verlangen. Um solche Ansprüche geht es in den aktuellen Zivilverfahren ausdrücklich nicht.

Aber: Der Gesetzgeber hat im Infektionsschutzgesetz (IfSG) ausdrücklich einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat festgeschrieben. Nach Paragraf 60 IfSG zahlt der Staat bei Impfschäden durch die Covid-19-Schutzimpfung für die Heil- und Krankenbehandlungen und womöglich auch eine Rente.

Das nennt man auch einen "Aufopferungsanspruch". Der Gedanke dahinter: Die Menschen impfen sich nicht allein zum eigenen Schutz, sondern auch im Interesse des Staates zum Schutze anderer. Deshalb sollen sie versorgt sein, wenn ihnen dabei etwas passiert. Voraussetzung ist, dass die Impfung von einer zuständigen Landesbehörde empfohlen wurde.

"Impfschaden" heißt, dass die Folgen über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen. Normale Impfreaktionen wie Ausschläge, Fieber, Kopfschmerzen gehören nicht dazu. Ob ein Impfschaden vorliegt, muss dann in jedem Einzelfall geklärt werden. Auch bei den Personen, die bereits mit heftigen Nebenwirkungen zu kämpfen hatten.

Bei dem Versorgungsanspruch gegen den Staat spielt aber keine Rolle, ob die Nebenwirkung vorher bekannt war. Auch nach einer korrekten Aufklärung und Einwilligung verliert man den Anspruch nicht. Allerdings gibt es hier keine Möglichkeit auf Schmerzensgeldzahlungen, wie sie Gegenstand der aktuellen Klagen gegen die Hersteller sind.