Blick auf den August-Bebel-Park vor dem Drogenberatungszentrum Drob Inn am Hamburger Hauptbahnhof

Tödliche Droge aus den USA Fentanyl ist auch in Deutschland angekommen

Stand: 30.06.2024 08:19 Uhr

Bislang war das Opioid Fentanyl vor allem aus den USA bekannt. Stichproben zeigen, dass es inzwischen auch in Deutschland angekommen ist. Ein Grund könnte die Verknappung der Heroinproduktion durch die Taliban in Afghanistan sein.

Auf der Rückseite des Hamburger Hauptbahnhofs in einem kleinen Park liegen sie am Boden: oft schlafend oder weggetreten, Obdachlose und Drogenabhängige. Immer wieder werden sie vom Sicherheitsdienst oder Helferinnen und Helfern weggeschickt.

Das künstlich hergestellte Opioid "Fentanyl" ist unter Drogenabhängigen auf dem Vormarsch

Svea Eckert, NDR, tagesschau, 26.06.2024 12:00 Uhr

Viele laufen zum nur wenige Meter entfernten "Drob Inn", eine spezielle Einrichtung der Drogenhilfe mit sogenannten Drogenkonsumräumen. Dort können Abhängige straffrei Drogen konsumieren, es gibt saubere Spritzen, aber auch Ansprechpartner und soziale Angebote.

Erste Fälle in Deutschland

Hier und in 17 weiteren solcher Einrichtungen hat die Deutsche Aidshilfe - gemeinsam mit verschiedenen Partnerinnen und Partnern - in einer ersten Stichprobe Heroin untersuchen lassen, um herauszufinden, inwiefern Fentanyl in Deutschland bereits angekommen ist.

Und tatsächlich: Im Zeitraum März bis August 2023 wurde in jeder der insgesamt sieben untersuchten Städte Fentanyl als Beimengung zu Heroin gefunden. Besonders auffällig waren dabei: Hamburg, Düsseldorf und Münster. Aber auch in Berlin, Frankfurt am Main, Hannover und Wuppertal gab es einige positive Tests.

Man rechne damit, dass das in Zukunft noch mehr werde, sagt Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe. Das sei ein Problem, denn Fentanyl ist schon in kleinen Mengen tödlich. Deshalb könne es sehr schnell zu einer Überdosierung kommen.

Die Zahl der Drogentoten steigt seit einigen Jahren wieder an. 83 Tote durch synthetische Opioide waren es im Jahr 2022. Zu einer Überdosierung käme es oft dann, wenn den Konsumierenden nicht bekannt ist, dass das Heroin mit Fentanyl versetzt ist oder wenn das Streckmittel zum Beispiel in Tabletten ungleichmäßig verteilt ist.

Fünfzigmal stärker als Heroin

Bislang ist Fentanyl hierzulande vor allem als Schmerzmittel bekannt. Es wird als Pflaster in der Palliativmedizin etwa bei Tumorerkrankungen eingesetzt, dann wenn andere Medikamente nicht mehr helfen. Das synthetische Opioid dämpft vor allem Schmerzen, soll Ruhe und Glückgefühle auslösen.

Es wirkt fünfzigmal stärker als Heroin und hundertmal stärker als Morphin. Bereits zwei Milligramm können tödlich sein. Für Laien sei es deshalb in seiner Reinform nicht dosierbar, sagt Ingo Schäfer, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf. Im Entzug verursache es zum Beispiel heftige Muskelschmerzen, mache stark körperlich abhängig, so der Experte.

Lieferung per Post nach Europa

Die Herstellung von Fentanyl gilt als einfach. Die Grundprodukte lassen sich illegal über das Internet bestellen. Viele der Chemikalien stammen aus China, teilweise werden Vorläufer importiert, die zur Herstellung legaler Produkte verwendet werden. Sogar in sozialen Netzwerken finden sich Accounts mutmaßlich chinesischer Händler, die angeben Grundstoffe zu verschicken.

Auch Kartelle aus Mexiko sollen den Handel und Import synthetischer Opioide in Europa voran treiben. Weil die Mengen, die für einen Rausch benötigt werden, so gering sind, lässt sich die Droge vergleichsweise einfach schmuggeln, sie kann per Post verschickt werden.

Dass dies zugenommen habe, das läge möglicherweise am Anbauverbot für Schlafmohn durch die Taliban in Afghanistan, heißt es von der Deutschen Aidshilfe. In einschlägigen Reports, wie dem "Afghanistan Opium Survey 2023", heißt es Anbau und Export seien im vergangenen Jahr um 95 Prozent gesunken. Dadurch könne es zu einer Verknappung von Heroin auf dem Schwarzmarkt kommen, so dass das billig herzustellende Fentanyl diese Lücke füllen könnte.

Opioid-Krise in den USA

In den USA haben synthetische Opioide längst eine Krise ausgelöst. Verwahrloste und offensichtlich unter Drogen stehende Menschen prägen das Bild in zahlreichen Innenstädten, zum Beispiel in San Francisco oder in Philadelphia.

Dort betrifft das Drogenproblem vor allem junge Amerikanerinnen und Amerikaner, eine Überdosierung ist die häufigste Todesursache in der Altersgruppe zwischen 19 und 45 Jahren - vor Waffen- und Verkehrstoten. In den sozialen Medien berichten zahlreiche Jugendliche von ihrer Fentanyl-Abhängigkeit, es sei die "schlimmste Droge", die sie je genommen hätten. Eltern posten Trauervideos mit Bildern ihrer verstorbenen Teenager.

Andere Situation in Deutschland

Die Situation in Deutschland sei allerdings anders, sagt Experte Schäfer. In den USA seien über Jahrzehnte Opioide wie Oxycodon oder Fentanyl unkritisch bei einer Vielzahl von Schmerzen verschrieben worden. Viele Patientinnen und Patienten seien so in eine Abhängigkeit geraten und wären dann auf den illegalen Markt ausgewichen.

Auch die Deutsche Aidshilfe geht nicht davon aus, dass sich synthetisches Fentanyl hierzulande ähnlich stark verbreitet. "Trotzdem müssen wir vorbereitet sein", sagt Holger Wicht. Die Aidshilfe fordert deshalb eine breitere Bereitstellung von Naloxon. Ein Notfallmedikament, das als Nasenspray verabreicht, einen tödlichen Atemstillstand bei Überdosierung verhindern kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 27. Juni 2024 um 17:21 Uhr.